Zur Weiter- und Nachnutzung leerstehender Kirchen

DNK Fachexkursion nach Westfalen
in: BAUKULTUR 6_2009 (S.16-17)

Immer weniger Menschen besuchen in Deutschland den Gottesdienst. Entsprechend steigt die Zahl der vom Leerstand betroffenen Kirchengebäude. Für sie gilt es, neue Nutzungen zu finden. Um die Diskussion vor Ort anhand aktueller Beispiele aufzugreifen, veranstaltete das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK) Ende Mai 2009 eine Fachexkursion nach Westfalen.

Gemeindeleben im Wandel
Der allgemein in Deutschland zu beobachtende demographische Wandel wirkt sich spürbar auch auf das Gemeindeleben der Kirchen aus. So ist die Zahl der Taufen seit 1990 um fast 40% gesunken, bei den Trauungen sind es sogar fast 60%. Rückläufig ist grundsätzlich auch der Anteil der Gottesdienstbesucher von rund 22% aller Kirchenmitglieder im Jahr 1990 auf rund 14% im Jahr 2007. Laut Statistiken der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) umfasst der Anteil der Kirchenmitglieder im gesamten Bundesgebiet derzeit rund 63% der Bevölkerung (~ 52 Mio. Menschen).
Angesichts dieser Zahlen sind die Kirchen seit einigen Jahren dazu übergegangen, einzelne Gemeinden zusammenzufassen und „zentrale" Kirchen für die Gottesdienste zu bestimmen. In der Folge wächst die Anzahl leerstehender Kirchengebäude, für die es gilt, neue Nutzungen zu finden, beständig weiter. Längst praktiziert werden Vermietungen an Dritte, Verkäufe und Umwidmungen. Doch nicht immer werden verträgliche Lösungen gefunden. Dann bleibt der Abriss als letzte Möglichkeit. Wie schwer den Anwohnern derartige Veränderungen fallen, bestätigt, dass Kirchen im Stadtraum nach wie vor zu einer enormen Identifikation beitragen, sei es aus sozialen, religiösen oder städtebaulichen Gründen.

Konflikte
Im Blickpunkt der DNK-Fachexkursion standen Kirchenbauten aus den 1950er und 1960er Jahren - also Architekturen, die ohnehin nur mühsam Akzeptanz finden, wenn über Denkmalpflege diskutiert wird. Als Anfang der 1980er Jahre in Bezug auf die Berliner Großkirchen des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Rahmen von Fachtagungen erstmals Grundsatzfragen zur Umnutzung sakraler Räume erörtert wurden, stand deren Denkmalwert außer Frage. Für die Wertschätzung der Nachkriegsarchitektur fehlt im allgemeinen jedoch die Distanz. Ihr baukünstlerischer Wert muss oftmals erst mühsam vermittelt werden, bevor über Konzepte zur Erhaltung nachgedacht werden kann.
Am Beispiel der westfälischen Kirchen wurde sehr schnell deutlich, wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Belange der Denkmalpflege, der Stadtplanung und der Bistümer zu berücksichtigen. Allerdings wurde auch deutlich, dass angesichts der Fülle überzähliger und gleichzeitig baukünstlerisch hochrangiger Kirchenbauten die Diskussion noch viele Jahre andauern wird. Zwar ist die Notwendigkeit eines „entschleunigten" Umgangs mit dem baulichen Erbe längst erkannt; auch helfen Mediatoren professionell über die nicht auszubleibenden Interessenskonflikte hinweg. Doch stellt das Ringen um eine wirtschaftlich praktikable, den Besonderheiten des Objekts und der Lage angemessene Lösung immer wieder von neuem eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar.

Lösungen und Grenzen
Sowohl die katholischen als auch die evangelischen Bistümer achten sehr genau darauf, was aus ihren Kirchen wird. So werden die Gebäude im Zuge einer Umnutzung zwar entweiht, doch werden ehemalige Kirchen nicht für alle Nutzungen frei gegeben. Der Umgang ist durchweg ein sehr behutsamer und dient zumeist sozialen oder kulturellen Zwecken. Ganz anders als z.B. in Frankreich oder auch in den Niederlanden, wo allein schon aus finanziellen Gründen (keine Kirchensteuer) Umnutzungen schon sehr viel länger umgesetzt werden. Ein leerer Kirchenraum wird hier nüchtern als Halle betrachtet, in der ein Supermarkt oder ein Hotel durchaus seinen idealen Platz finden kann. Auch in Deutschland wird im Zuge von Kirchenverkäufen inzwischen der Begriff „Immobilie" verwendet, was zeigt, wie schnell sich die Wahrnehmung wandelt. Dass auch drastische Lösungen mitdiskutiert werden müssen, zeigen die Zahlen: Allein in Westfalen wurden in den letzten 10 Jahren über 30 evangelische Kirchen geschlossen, bei den katholischen Kirchen waren es annähernd 100. Das Bistum Essen deklariert ungenutzte Kirchen als „weitere Kirchen" und übergibt sie in die Verantwortung der Kirchengemeinden, die jedoch selten über das nötige Geld zur Erhaltung verfügen. Grenzen bei der Umnutzung bestehen insofern, als eine Übernahme leerstehender Kirchen durch nichtchristliche Konfessionen bislang nicht akzeptiert wird. Als abendländisches Kulturgut sollen auch aufgegebene Kirchen erkennbar bleiben.

Heilig Kreuz in Bottrop
Eine Umnutzung zum Kolumbarium war für die Katholische Kirche lange Zeit ein schwieriges Thema, ist die Feuerbestattung doch seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überhaupt erst zulässig. Angesichts der schwierigen Situation, aber auch aufgrund der hohen Akzeptanz findet diese Form der Umnutzung jedoch mehr und mehr Verbreitung. So steht z.B. auch die


Foto: Susanne Kuballa

Gemeinde der 1957 durch den Architekten Prof. Rudolf Schwarz fertig gestellten Kath. Kirche Heilig Kreuz in Bottrop dieser Idee aufgeschlossen gegenüber, seitdem das Bistum Essen sie - trotz Denkmalschutz und baukünstlerisch herausragender Ausstattung - als „weitere Kirche" abgegeben hat. Seit nunmehr zwei Jahren wartet die Gemeinde auf eine Entscheidung.

St. Konrad in Marl
Die ehemalige Kath. Kirche St. Konrad in Marl, 1956 durch den Architekten Emil Steffan errichtet, wird bereits seit 2006 als Kolumbarium genutzt. Die Profanierung wurde hier auf den Altarbereich beschränkt, d.h. Aussegnungen können weiterhin in der Kirche stattfinden.

Foto: LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen

Für die Trauergäste blieben die vorderen Sitzreihen erhalten. Im hinteren Bereich jedoch ist der Kirchenraum durch das Architekturbüro Pfeiffer, Ellermann, Preckel in Abstimmung mit der Denkmalpflege zum Urnenfriedhof umgestaltet worden. Zwei schlichte U-förmige Wände aus Beton beherbergen die gleichförmig ausgebildeten Nischen für die Urnen. Selbst die Schriftart der Namen und Daten ist vereinheitlicht. Die Ruhezeit beträgt 15 Jahre, danach gelangt die Asche in ein Sammelgrab vor dem Altar. Das Kolumbarium ist tagsüber geöffnet, sodass Trauernde die Urnengräber besuchen können.

St. Bonifatius in Münster
Für die ehemalige Kath. Kirche St. Bonifatius in Münster gelang es auf ganz andere Weise, eine humane Weiternutzung des Kirchenraumes zu ermöglichen. 1964 durch das Architekturbüro Kleffner erbaut, ist in der denkmalgeschützten Kirche seit 2006 ein christlicher Verlag eingerichtet. Das Architekturbüro agn Niederberghaus & Partner fügte eine dreigeschossige eigenständige Konstruktion in das Kirchenschiff ein, in der die für den neuen Nutzer erforderlichen Büroräume eingepasst werden konnten. Der Chorraum wird von einer von der Fassade abgerückten Regalwand gesäumt und bietet Platz für Konzerte oder Lesungen etc. Während die Einbauten reversibel gehalten sind, gab es jedoch an der

Foto: LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen

Fassade teils erhebliche Eingriffe in die Substanz. Eine Seitenwand ist als Durchbruch zum benachbarten Gemeindezentrum fast vollständig erneuert, steht gestalterisch aber im sichtbaren Kontrast zum Altbau. Entscheidend für die veränderte Raumwirkung ist jedoch sicherlich das Fehlen aller Buntglasfenster. Sie mussten gemäß Vorgabe des Bistums wegen ihrer religiösen Bildthemen eingelagert werden und wurden durch Klarglasfenster ersetzt.

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