Tropische Verhältnisse

Restaurierung des Großen Tropenhauses in Berlin
in: BAUKULTUR 6_2009 (S. 23-25)

Vorgeschichte
Erbaut in den Jahren 1906/07 ist das Große Tropenhaus bis heute das größte Gewächshaus des Botanischen Gartens Berlin. Die 60 m lange und fast 27 m hohe stützenfreie Stahlkonstruktion galt seinerzeit als technische Pionierleistung und stolzes Repräsentationsprojekt der kaiserlichen Reichshauptstadt. Ein außenliegendes Tragwerk aus stählernen Dreigelenkbögen trug die in das Tragwerk eingehängte thermische Hülle, ihre filigranen Holzsprossen fassten Hunderte von Einzelscheibchen. Diese nach innen versetzte Fassade war im Zweiten Weltkrieg durch die Druckwelle eines nahen Bombentreffers zerstört worden - das tragende Stahlgerüst indes überdauerte. Mitte der 1960er Jahre baute man das Tropenhaus unter Verwendung von 1 x 2 m großen Acrylglastafeln wieder auf. Diese galten damals zwar als besonders innovativ, zerstörten aber das ursprüngliche, kleinteilige Erscheinungsbild des heute denkmalgeschützten Gebäudes.

Foto: Dirk Altenkirch

Restaurierungskonzept
Die im September 2009 abgeschlossene Restaurierung des Großen Tropenhauses wurde durch das Berliner Architekturbüro Haas Architekten BDA durchgeführt. Zum Sanierungsbeginn im August 2006 mussten zunächst etwa 4.000 bis zu 160 Jahre alte Pflanzen in ein eigens errichtetes provisorisches Gewächshaus und andere Zwischenlager umgesiedelt werden. Die Acrylglasfassade wurde inklusive ihrer Pfosten-Riegel-Konstruktion komplett rückgebaut. Die anschließenden Sanierungsarbeiten am historischen Stahltragwerk, wie das Entfernen von Farbe und Korrosion durch Sandstrahlen, der Austausch schadhafter Bauteile und ein neuer Farbauftrag, erforderten die staubdichte Verhüllung des Tropenhauses für die folgenden zwei Jahre.
Neben der Wiederherstellung des filigranen originalen Fassadenbildes zählte die Halbierung des jährlichen Energiebedarfs zu den Hauptzielen der Sanierung. Zuletzt verursachte das Gebäude jeden Winter Heizkosten in Höhe von 200.000 Euro. Undichtigkeiten und Haarrisse in der spröde gewordenen Acrylhülle ließen Wärme entweichen und beeinträchtigten den Lichteinfall.

Foto: Haas Architekten

Um im Inneren des Gebäudes bei vertretbaren Kosten ganzjährig eine konstante Temperatur von mindestens 25 C. zu halten, war eine hoch wärmedämmende Isolierverglasung gefragt. Eine konventionelle Isolierverglasung hätte einen deutlich geringeren Lichttransmissionswert aufgewiesen und kein UV-Licht durchgelassen, was ein unnatürlich schnelles, aber zugleich auch weniger kräftiges Wachstum der Tropenpflanzen bewirkt hätte; fast alle der hier untergebrachten Pflanzen sind auf das gesamte Spektrum natürlichen Sonnenlichts angewiesen. Dies waren die widerstreitenden Anforderungen, die die neue Sanierung technisch so anspruchsvoll machten.

Neuverglasung
Für das Tropenhaus wurde eine gänzlich neuartige Kombination von Gläsern und Beschichtungen entwickelt. Die Basis bildet ein hochweißes Floatglas, das durch seinen geringen Eisenoxidanteil die spektrale Verteilung des Sonnenlichts nur minimal beeinflusst. Dieses Glas bildet im Überkopfbereich und an den bodennahen, dem Publikum zugänglichen Bereichen als thermisch vorgespanntes Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG-H) die äußere Hülle der Fassade. Um ihre Lichttransmission noch zu verbessern, wurden die Scheiben innenseitig mit einer Anti-Reflex-Beschichtung versehen. Die isolierende Funktion übernimmt die innere Scheibe: In den zugänglichen Bereichen der Fassade besteht sie aus 6 mm starkem Einscheiben-Sicherheitsglas, im Überkopfbereich verwendete man einen Verbund aus zwei Mal 4 mm dickem extra weißem Floatglas. Es ist jeweils zum Scheibenzwischenraum hin mit einer Isolierbeschichtung versehen und im Scheibenzwischenraum mit dem Edelgas Argon gefüllt, was die Dämmwirkung zusätzlich unterstützt und den Wärmedurchgangswert im Vergleich zu den Acrylglasscheiben um mehr als 80 % auf 1,1 W/m² 2K senkt.
Das entscheidende Detail der Neuverglasung bildet jedoch der Aufbau des Verbund-Sicherheitsglases im Überkopfbereich der Halle: Die Zwischenlage besteht hier aus einem UV-stabilen, klaren und hochfesten Kunststoff. Angesichts der komplexen Funktionsanforderungen des Gebäudes ist der hierdurch erzielte Lichttransmissionsgrad von 81% als sehr hoch einzustufen.

Stahlkonstruktion
Zum Schutz vor Kondenswasserbildung wurde die Stahlkonstruktion mit beheizten Profilen versehen. Hierfür sind in den Stahlprofilen Rohrleitungen ausgespart, durch die auf einer Gesamtlänge von 7,3 km 36 C. warmes Wasser fließt. Diese Fassadenheizung strahlt Wärme in den Innenraum ab. Sie hält die Glasinnenseite auch bei niedrigen Außentemperaturen kondenswasserfrei.

Detailzeichnung: Haas Architekten

Die Profile selbst wurden in Abschnitten von 8 x 2 m angeliefert, mit dem Kran zwischen den historischen Stahlträgern und dem Baugerüst eingefädelt und als Pfosten-Riegel-Konstruktion zu einem 4.500 m² großen Gitternetz zusammengeschweißt. Die Verbindungen zwischen dem historischen Tragwerk und der eigentlichen Fassade sind als Gelenke ausgebildet, damit sie den Druck starker Windlasten weich abfedern können. Die verbindenden Edelstahlschwerter sind zudem in ihrer Wärmeleitfähigkeit minimiert.

Projektdaten
Beginn der Sanierung: 1.8.2006
Wiedereröffnung: 16.9.2009

Bauherr: Freie Universität Berlin
Architekt und Generalplaner: HAAS Architekten BDA, Berlin
Statik: IB Herbert Fink GmbH, Berlin
Haustechnik: IB Dittrich, Waren
Bauphysik: CRP, Berlin
Verglasung: Glas Trösch GmbH, Ulm-Donautal
VSG-Zwischenlagen: DuPont (Deutschland) GmbH, Neu-Isenburg

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