Offen und öffentlich

(in: BAUKULTUR 2_2015, S. 20-21)
Markthalle in Rotterdam

Rotterdam hat ein neues architektonisches Wahrzeichen: Im ehemaligen historischen Zentrum an der Binnenrotte wurde der erste niederländische überdachte Markt fertig gestellt. Für die Planung zeichnet das Team um Architekturbüro MVRDV und Projektentwickler Provast verantwortlich.

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Die neue Markthalle in Rotterdam gehört zu den Preisträgern des World Architecture News (WAN) Award 2014 (Foto: Ossip van Duivenbode)

Entwurfskonzept
Die neue Markthalle umfasst eine Fläche von 95.000 m² und mehr als 90 Stände auf Erdgeschossebene, die mit einem Tonnengewölbe überdacht sind. Die Halle ist in ihrer Art einzigartig, weil sie Marktstände, Restaurants, einen Supermarkt, eine Tiefgarage und Wohnungen verbindet. Die Lösung, wie das Raumprogramm aus Wohnen, Parken und Marktständen kombiniert werden sollte, lag auf der Hand: zwei Wohntürme verbunden durch eine Flachdachkonstruktion als Halle. MVRDV und Provast kannten diese Art von Markthallen aus Südeuropa, oftmals untergebracht in dunklen, abgeschlossenen Gebäuden, die wenig mit ihrer Umgebung verbindet. Rotterdams Markthalle sollte jedoch gleichzeitig einen wichtigen Impuls liefern für die Erneuerung des Laurensquartiers und des östlichen Innenstadtgebiets. Dies verlangte nach einem äußerst öffentlichen wie offenen Gebäude mit guter Verkehrsanbindung. Das Team drehte die beiden Wohntürme und den Markt einfach um, wodurch eine große Halle mit zwei breiten Öffnungen zur Stadt hin entstand. Um Licht in die Wohnungen zu führen, sind die Kanten abgerundet, aber nur so weit, dass gewöhnliche Aufzugschächte eingepasst werden konnten. Durch die Erweiterung der Verkaufsflächen im Erdgeschoss entstand die Form des Gewölbes, 120 m lang und 40 m breit wie hoch.

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Die beiden Seilnetzfassaden an den Stirnseiten der Markthalle sind die größten ihrer Art in Europa (Foto: Ossip van Duivenbode)

Glasfassade als Seilnetzkonstruktion
Das Gebäude sollte so offen wie möglich gestaltet sein, zum Schutz vor Regen und Wind mussten die großen Öffnungen an den Stirnseiten jedoch geschlossen werden. Für Transparenz und Lichtdurchlässigkeit sorgt eine Seilnetzfassade mit einfacher Verglasung, die aus nur wenigen konstruktiven Bauteilen besteht. Die Öffnungen an den Stirnseiten bilden einen steifen Rahmen, in den vorgespannte Stahlseile in einem Raster befestigt sind. Die einzelnen Glasscheiben sind mittels Halterungen zwischen die Stahlseile geklemmt. Dadurch ist es möglich, das Kunstwerk im Inneren des Gebäudes auch von außen zu betrachten, dessen Farben und Formen zum Betreten einladen sollen.
Auf den Stahlseilen der Glasfassade steht eine Spannung von 25.000–30.000 kg, wodurch sich die Seile um 9–15 cm ausgedehnt haben. Bei schweren Stürmen kann die Glasfassade um bis zu 70 cm nach innen gedrückt werden. Die Seile verlängern sich dann nochmals um weitere 4 cm.
Die Verkleidung des äußeren Baukörpers besteht aus grauem Naturstein, der in Rotterdam auch als Pflasterstein verwendet wird, um das farbenfrohe Innere der Halle hervorzuheben.

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Die Hälfte der Wohnungen hat Fenster zum Markt: Diese sind dreifachverglast, sodass die Bewohner weder durch Geruch noch Lärm belästigt werden (Foto: Daria Scagliola und Stijn Brakkee)

Kunstwerk „Das Füllhorn"
Für den Innenbereich hat das Künstlerpaar Arno Coenen und Iris Roskam das großformatige, farbenprächtige Kunstwerk mit dem Titel „Das Füllhorn" entworfen. Abgebildet sind Obst- und Gemüsesorten neben Brot, Fisch, Blumen und sogar der Kirchturm der Laurenskirche. Das Füllhorn ist eine Reminiszenz an die Stillleben der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts, an die griechische Mythologie und an Wandmalereien, wie sie z. B. in der Sixtinischen Kapelle in Rom zu sehen sind. Das Kunstwerk soll das Gefühl vermitteln, auf dem Rücken liegend nach oben auf eine Wiese und zum Himmel zu schauen und weiter durch das Dach der Markthalle. Die Sonne repräsentiert das Füllhorn, aus dem die frischen Produkte herunter auf die Erde fallen. In der Mitte des Bildes ist ein Bereich weiß gelassen: Das Jahr über ist hier eine Projektion zu sehen, die sich den Jahreszeiten und Produkten anpasst. Das 11.000 m² große Kunstwerk ist als 5-schichtiger Digitaldruck realisiert, der aus 400.000 Megapixeln besteht. Die Datenmenge für den Druck umfasste 1.470 GB. Das Kunstwerk wurde auf 4.500 Aluminiumpaneele mit einer Größe von jeweils 152 x 152 cm gedruckt, die auf Akustikplatten geschraubt wurden. Die 2 mm dicken Aluminiumpaneele sind ab einer Höhe von 8 m perforiert, um die Akustik in der Halle zu verbessern.

Nachhaltigkeit
Die Markthalle wurde schon vor ihrer Fertigstellung mit einem BREEAM Very Good Zertifikat ausgezeichnet. Das Gebäude wird mit Fernwärme beheizt; zusätzlich befindet sich unter der Halle ein Wärmespeicher, der einige Gebäude in der Umgebung mit Energie versorgt. Für ein angenehmes Raumklima bei möglichst geringem Energieeinsatz wurde eine umfassende Untersuchung durchgeführt. Die Halle wird natürlich belüftet; über Öffnungen unter der Glasfassade wird sie ständig mit Frischluft versorgt, die nach oben steigt und durch Lüftungschächte in der Decke wieder nach draußen abzieht. Dieses thermische Prinzip kommt ohne technische Installationen aus. Eine Überwachungsanlage regelt den Wärme- und Kälteaustausch zwischen den einzelnen Nutzungen. Die Installationstechnik des Gebäudes konnte dank der Kombination aus Wohnungen, Einkaufscenter, Parkhaus und Markthalle effizienter gemacht werden.

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