Verborgenes will entdeckt werden

Innenausstattung der Hofkellerei in der Residenz Würzburg
in: BAUKULTUR 2-2007 (S. 12-14)

Der staatliche Hofkeller Würzburg kann als ältestes deutsches Weingut auf eine fast 900-jährige Tradition zurückblicken. Die weitläufigen Gewölbekeller tief im Inneren der Würzburger Residenz gehören mit zu den Planungen des Barockbaumeisters Balthasar Neumann, die heute durch die UNESCO als Weltkulturerbe geschützt werden. Nicht nur die besondere Lage und die damit verbundenen baulichen Einschränkungen, sondern vor allem auch die deutlich gestiegenen technischen Anforderungen an den Kellereibetrieb ergaben zunehmende strukturelle Probleme. Vor diesem Hintergrund entwickelte das Würzburger Architekturbüro archicult - breunig architekten gemeinsam mit Marketingspezialisten und Historikern ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept zur Neuausrichtung des Hofkellers, das in enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen unter Berücksichtigung der historischen, städtebaulichen und weintechnischen Gegebenheiten und Notwendigkeiten entstand. Kerngedanke des Konzeptes ist der Verbleib des Weinausbaues in der historischen Umgebung in Verbindung mit Sortenverschlankung und Qualitätssteigerung auf höchstem Niveau. Der progressive Geist der Traditionsmarke in der historischen Umgebung wurde in eine klare und zeitgemäße Architektursprache gebracht und nach außen sichtbar macht.
Um die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Kellerbetriebs zu steigern und zugleich eine Neuausrichtung zum „Event- und Veranstaltungskeller“ zu ermöglichen, wurden in einem ersten Bauabschnitt in drei Bereichen der Gewölbekeller umfangreiche Umbau- und Sanierungsmaßnahmen vorgenommen.

Ausgangslage
Die vorgefundenen Räumlichkeiten im Keller der Residenz zeichneten sich aus durch beengte Verhältnisse, die teilweise eher abschreckend als einladend wirkten und vom Nutzer ein hohes Maß an Improvisation erforderten. Die Haustechnik war veraltet, Oberflächen wirkten abgewirtschaftet und unansehnlich, ein Brandschutzkonzept fehlte. Sehenswerte Bereiche waren durch Lagerhaltung den Besuchern verborgen.
Nach ausführlichen Diskussionen wurde gemeinsam mit der Staatlichen Hofkellerei und der Schlösser- und Seenverwaltung die grundsätzliche Entscheidung gefasst, der historischen Umgebung respektvoll, aber mit deutlichen zeitgemäßen Mitteln zu begegnen. Dies zeigt sich in den verwendeten Grundmaterialen, die zum einen dem im Keller vorgefundenen Bestand entsprechen: Stein-Eisen-Eiche, und zum anderen mit neuen Mitteln ergänzt wurden: Glas, Grafik und Licht. Zur Verbesserung der betriebsinternen Abläufe und zur Steigerung der Besucherfreundlichkeit wurden die vorgefundenen Funktionen neu definiert und geordnet.

Vinothek und Schatzkammer
Die beiden Räume sind das Herzstück für den eigentlichen Verkauf. Stilistisch gestalten sich diese beiden Räume als eine Weiterentwicklung im Sinne moderner Weinkultur. In der Vinothek kann der Besucher Weine kosten und kaufen, ebenso werden wertvolle Weinaccessoires, Weinliteratur und Informationen über den Weinbau in Franken angeboten. Anstatt der in der in den 1960er Jahren eingerichteten versteckten Schatzkammer werden jetzt in einem leuchtenden „Schrein“ besondere Jahrgänge als das Wertvollste des Würzburger Hofkellers deutlich sichtbar präsentiert. Die Schätze heben sich aus der Masse ab und werden erst durch die Bewegung der Schatzsucher sichtbar. Möglich wurde dies durch den Einsatz spezieller Folien, die den Durchblick erst ab einem bestimmtem Blickwinkel freigeben.

Hofkeller
Der 63m lange Wirtschaftsgang aus den 1960er Jahren, der den Nord- und Südflügel der Keller verbindet, ist als „Zeitstrahl“ inszeniert. Direkt auf die Betonwand aufgesprüht werden die Höhen und Tiefen von 900 Jahren Weinbau plakativ dargestellt und im provozierend hinterleuchteten Farbverlauf von Weinblattgrün bis Bordeauxrot grafisch interpretiert. Mit jedem vierten Schritt passiert der Besucher eine Bodenmarke von 50 Jahren.

Barriquekeller
Eine verborgene und erst mit der Zeit zu entdeckende Lichtachse zwischen Decke und Boden weist im Barriquekeller auf die ursprüngliche Nutzung des Eiskellers als „Kühlschrank“ der Residenz hin. Heute wird der Raum für Weinproben genutzt. Durch den golden glänzenden, historischen Eis-Einwurfschacht dringt ein gebündelter LED-Lichtstrahl in eine mit Glas abgedeckte Bodenöffnung, worunter sich in 2m Tiefe, auf dem ehemaligen Niveau, der „blaue Glanz des Eises“ widerspiegelt. Die rot hinterleuchteten Barriquefässer werden durch Kerzenlicht angestrahlt und unterstreichen die fast schon sakrale Atmosphäre des Raumes.

Rotweinkeller
Als Hauptveranstaltungsraum bietet der Rotweinkeller Platz für Weinproben, Lesungen und musikalische Festlichkeiten für 100 Personen.
Der durch alte Kanalleitungen großflächig zerstörte Sandsteinbelag wurde in den Restflächen belassen und mit einer speziell eingefärbten, oberflächenbehandelten Betonplatte überdeckt. Metallwinkel und eine Schüttung aus Mainkies halten respektvoll den Abstand zu den Gewölben und sichern die Entwässerung des Kellers.
Um der Mischnutzung von Kellereibetrieb und Veranstaltungsraum gerecht zu werden, entwarfen archicult - breunig architekten einen Klapptisch aus Edelstahl und Eichenholz, der die Funktionalität und das designorientierte Ambiente des Rotweinkellers untermalt. Der Tisch ist unter der Bezeichnung „Flip No.1“ patentiert, seine Vermarktung wird derzeit vorbereitet. Als Bestuhlung dient der äußert leichte, stabile und stapelbare Bellini Chair. Die Bar mit Kühlanlage, Lager und Lichtsteuereinheit für die Kleinbühne und den Keller stellt das Pendant zur Vinothek im Bacchuskeller dar. Auch in diesem Teil des sanierten Kellers sind Licht, Grafik und innovative Materialien bzw. Oberflächen die Hauptgestaltungsmittel, um eine vermarktungsfähige „Event-Atmosphäre“ zu erzeugen.

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