Sanierung und Umnutzung des "Hotels Silber" in Stuttgart
(in: BAUKULTUR 6_2019, S. 26-27)
Das ehemalige „Hotel Silber“ in Stuttgart ist ein historischer Ort. Ein Ort des organisierten NS-Terrors und mehr als ein halbes Jahrhundert lang in mehreren politischen Systemen – ein Ort der Polizei. Wandel Lorch Architekten haben diesen Ort zu einem Lern- und Gedenkort umgestaltet.
Historie
Mitte des 19. Jahrhunderts als Gasthaus und Hotel erbaut, wird es nach dem Ersten Weltkrieg als Verwaltungsgebäude genutzt und ab 1928 zum Sitz des Polizeipräsidiums, in der weiteren Folge schließlich zum Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Gestapo
für Württemberg und Hohenzollern. Nach dem Wiederaufbau nach Kriegszerstörung dient das Haus bis weit in die 1980er Jahre zur Unterbringung für Teile der Stuttgarter Polizei. Dank des Einsatzes der bürgerschaftlichen Initiative Lern- und Gedenkort „Hotel Silber“ e.V. werden 2011 der Erhalt des Gebäudes und die Errichtung eines Gedenkortes beschlossen. Unter der Bauherrschaft des Landes Baden-Württemberg und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg wie auch der Beteiligung der Initiative werden das Haus saniert und die Dauerausstellung eingerichtet.
Sichtbarmachen der neuen Nutzung
Das Gebäude behauptet sich heute durch seine angemessene Präsenz im Stadtraum. Zur Adressbildung und Sichtbarmachung der neuen Nutzung als Erinnerungsort sind in einige Fensteröffnungen Begriffe wie „Ausgrenzung“, „Mut“, „Würde“, „Verfolgung“ auf Werksteintafeln eingeschrieben, die erahnen lassen, was sich im Inneren des Gebäudes einst abspielte. Diese Elemente sorgen nach außen für eine dem Inhalt entsprechende Hermetik und bringen transluzent diffuses Licht in die Ausstellung im Innenraum.
Anstelle des verlorenen Eckturmes verdeutlicht eine abstrahierte Nachbildung des Erkers als bedrucktes Zeichen die neue Nutzung und schwebt über dem wiederhergestellten Haupteingang des einstigen Restaurants. Als Schnittstelle zur Öffentlichkeit gelangt man hier auf direktem Wege in den „Wechselraum“, früher Frühstücksraum und Restaurant des Hotels, der im alltäglichen Betrieb Foyer mit Ticketing ist. In seiner zweiten Funktion ist der „Wechselraum“ ein Veranstaltungsort für Vorträge, Podiumsdiskussionen und andere Formate. Die Servicebereiche liegen im Untergeschoss, wo auch die ehemaligen Verwahrzellen noch zu sehen sind und einen Eindruck der ursprünglichen Enge der Zellenräume geben.
Ausstellungsrundgang
Die Dauerausstellung befindet sich im 1. Obergeschoss. Hier wird die Geschichte des Hauses in ihren Kontinuitäten und Brüchen verdeutlicht. Unter Beibehaltung der räumlichen Struktur der Zellenbüros leitet der Rundgang durch die Ausstellung und beschäftigt sich mit dem Selbstverständnis der Polizisten in Demokratie und Diktatur, setzt sich mit Tätern und Opfern auseinander und beleuchtet die Strukturen, die den bürokratisch organisierten Staatsterror ermöglichten. Das 2. Obergeschoss wurde weitgehend von den Innenwänden befreit, um eine große Fläche für Wechselausstellungen zu schaffen.
Abschälen historischer Schichten
Im Flur des 1. Obergeschosses steht der Besucher zunächst den Tätern gegenüber. Taucht er in der Folge in die strukturell erhaltenen kleinteiligen Kabinette ein, findet er sich am authentischen Ort wieder und begegnet an Schreibtischvitrinen den Tätern wie auch den Einzelschicksalen der Opfer. Hier ist das Mittel des Abschälens historischer Schichten zum maßgeblichen Werkzeug der Sanierung geworden. Wand- und Bodenbeläge wurden entfernt und mit atmosphärisch und der Nutzung angemessenen Materialien belegt. Als Zitat der Büronutzung wurde graues Linoleum verlegt. Die Wände wurden abgeschält und wenn nötig gespachtelt. An einigen Stellen wurden historische Spuren und die heterogene Bausubstanz sichtbar gemacht. Orientiert wird der Besucher durch ein mattschwarzes Band an der Wand, das die chronologische Entwicklung der Institution und Staatsmacht Polizei darstellt. An den Trennwänden zwischen den ehemaligen Zellenbüros wird die Auswirkung des Handelns der Täter beschrieben. In einer zusätzlich übergeordneten Ebene im Flur wird der allgemeine geschichtliche Diskurs in der jeweiligen Zeit verortet.
Behutsame Sanierung
Umbauten in den 1950er und 1980er Jahren hatten das Gesicht des Hauses verändert und überformt. Die zur Errichtung des Erinnerungsortes notwendigen baulichen Eingriffe blieben im 1. Obergeschoss dennoch relativ gering, da hier die ursprünglich vorhandene Bürostruktur zum Gestaltungsmittel des Ausstellungsrundganges wurde. Die Wechselausstellungsfläche
im 2. Obergeschoss und auch die Wiederherstellung des ehemaligen Frühstücksraumes im Erdgeschoss erforderten jedoch umfangreichere statische Eingriffe. Die für eine öffentliche und museale Nutzung notwendigen Maßnahmen, wie die brandschutztechnische Ertüchtigung, klima- und haustechnische Neuerungen oder Anforderungen an die Barrierefreiheit, wurden mit Blick auf den Bestand möglichst zurückhaltend umgesetzt.
Absicht der Gestaltung war, eine Balance zu schaffen zwischen der scheinbaren Bleiwüste der Akten und der Monstrosität der Verbrechen, die von diesem Ort ausgingen, und dabei einen atmosphärischen, aber keinen überzogenen Stimmungsraum zu generieren.