Schiller-Karree

Nach 100 Jahren Erneuerung für ein Gessner-Haus

in: BAUKULTUR 5-2008 (S. 24)

Der denkmalgeschützte Gebäudekomplex "Schiller-Karree" in Berlin-Charlottenburg wurde im Jahr 1907 nach Plänen des Architekten Albert Gessner fertiggestellt. Er war ursprünglich Teil eines größeren Ensembles, das zwischen Bismarckstraße und Schillerstraße einen halben Block umfasste. Das jetzige Schiller-Karree hat davon als einziges Gebäude den Zweiten Weltkrieg überlebt. Es umfasst im Bestand rund 70 große, zum Teil ausgesprochen repräsentative Wohnungen auf insgesamt 5 Etagen.
Albert Gessner, der vom Lande nach Berlin kam, konnte den einförmigen Fassaden und sich wiederholenden Grundrissen der Mietskasernenstadt nichts abgewinnen. Er übernahm Elemente des Landhausbaus, spielte mit unterschiedlichen Fassadengliederungen und Fensterformaten und gab den Innenhöfen des Ensembles mit individuellen Farben jeweils einen eigenen Charakter.

Konzept
Im Jahr 2004 entschloss sich die Königstadt Gesellschaft als Eigentümer, die erforderliche Grundsanierung des stark vom Echten Hausschwamm befallenen Dachbodens mit einem Dachausbau zu verbinden. Die citynahe und dennoch ruhige Lage ließ eine gute Vermietung hochwertiger Wohnungen erwarten. Das Berliner Büro Bertsch Architekten wurde mit der Planung und später auch mit allen weiteren Leistungsphasen beauftragt.
In Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde wurden Gestaltungselemente für den Dachausbau entwickelt, die Stilmittel Gessners aufgreifen und modern interpretieren. Langgestreckte Gaubenbänder sollten die Ruhe der komplexen Dachlandschaft erhalten und gleichzeitig viel Raum im Inneren schaffen. Die großen Giebel wurden mit Fenstern versehen, die in ihrer eigenwilligen Form an andere Gebäude von Gessner erinnern. Auch die Pergolen der Dachterrassen zitieren Skizzen Gessners, die zur Bauzeit nicht umgesetzt wurden.

Dachausbau
Das Dach bot mit zum Teil über 7 m Höhe im Inneren genügend Raum, 2-geschossige Wohnungen mit Galerien zu planen. Aus Rücksicht auf den Denkmalschutz stellen sich die Galerien aber nach außen nicht dar - die Belichtung erfolgt über die Innenhöfe und rückwärtigen Fassaden. Auf der Galerieebene befinden sich zudem großzügige Dachterrassen, ohne dass diese die Straßenansicht stören. Insgesamt entstanden 11 neue Wohnungen. Sie wurden repräsentativ gestaltet, mit großzügigen Eingangsdielen und hochwertiger Ausstattung. Keine Wohnung gleicht der anderen. Aufgrund der komplexen Struktur des Bestandes hat jede Wohnung einen ganz individuellen Charakter. Die Größen reichen von 122 bis 276 qm. Zur Erschließung wurden die 4 Haupttreppenhäuser und die dazugehörigen Aufzüge verlängert.

Außenbau und Fassaden
Neben dem Dachausbau wurden umfangreiche Instandsetzungsarbeiten ausgeführt. Aufgrund von im Dachboden gefundenen Ziegelresten konnte die ursprüngliche schwarze Dachdeckung wiederhergestellt werden. Auch der ockergelbe Fassadenton der Straßenfassade und ein hellfliederfarbener Farbton auf der Rückseite wurden restauriert.

Treppenhäuser
Besonderes Augenmerk wurde auf die Restaurierung der Treppenhäuser gelegt. Schon vor Beginn der Arbeiten wurde in einem Gutachten die historische Farbgebung der Treppenhäuser ermittelt. Somit konnte das alte, Gessnersche Farbkonzept wiederhergestellt werden. Es ist geprägt durch einen kräftigen Ockerton in den Wandpaneelen, ergänzt durch cremefarbene Wandflächen und Zierleisten sowie schwarze und in einigen Treppenhäusern auch dunkelgrüne Elemente. Im neuen Bereich der verlängerten Treppenhäuser wurde die Farbgebung in abstrahierter Form aufgegriffen.

Bauablauf
Anfang 2007 wurde mit den Baumaßnahmen begonnen. Die Sanierung der schwammbefallenen obersten Decke und das Entfernen schadstoffbelasteter Hölzer und Dachbahnen standen an erster Stelle. Danach folgte der sukzessive Ausbau des Daches. Da das gesamte Gebäude weiterhin bewohnt war, setzte die Königstadt Gesellschaft mit der BBT Treuhand eine Mieterberatungsgesellschaft ein, die den Mietern als Ansprechpartner und "Kummerkasten" bei den vielfältigen Beeinträchtigungen durch Gerüste, Baulärm und Schutt zur Verfügung stand. So konnten die Maßnahmen zügig abgeschlossen und die ersten Wohnungen im Dach zum 1. März 2008 vermietet werden.
Im Baugenehmigungsverfahren gestaltete sich das Abstandsflächenrecht schwierig. Das Bauaufsichtsamt war der Ansicht, dass durch den Ausbau auch der Bestandsschutz für die Abstandsflächen des bestehenden Gebäudes verloren ginge und diese neu bewertet werden müssten. Obwohl der Dachausbau keine neuen Abstandsflächen außerhalb des eigenen Grundstücks auslöste, musste dennoch die Zustimmung von zwei Nachbarn eingeholt werden, da Teilflächen des Bestandes ihre Abstandsflächen auf den Nachbargrundstücken hatten - und dies 100 Jahre nach der Errichtung.

Das Schiller-Karree ist ein gelungenes Beispiel für die Verbindung des behutsamen Umgangs mit denkmalgeschützter Substanz, wirtschaftlicher Optimierung der neugeschaffenen Mietflächen und eigenständiger, moderner Architektur.

Genderhinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in unseren Inhalten bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern überwiegend die männliche Form. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Informiert bleiben, Partner finden, Baukultur erleben!

Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. Mitgliederzeitschrift Mitglied werden