BAUKULTUR 3_2023: Editorial

(in: BAUKULTUR 3_2023, S. 3)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der BAUKULTUR,

nach mehr als vier Jahren Pause eröffnete Mitte April in München die BAU, die sich als Weltleitmesse für Architektur, Materialien und Systeme versteht. In diesem Jahr lag der Fokus auf Klimaneutralität und Nachhaltigkeit. Nachdem Wissenschaftler und Ingenieure seit Jahren diesem Thema die höchste Dringlichkeit einräumen, war nun auch die Baumesse in der Gegenwart angekommen – so könnte der Eindruck sein. Tatsächlich ist das Thema in der Bau- und Gebäudewirtschaft – mit einem Anteil von mehr als 38 % der globalen CO2-Emissionen – bereits seit Jahren heftig in der Diskussion. Es wird sich aber zeigen müssen, welche echten Innovationen die Branche vorstellen kann. In mehr als 40 Vorträgen gaben namhafte internationale Planer Einblicke in ihre Lösungswege in eine zukunftsweisende Architektur. Die vorgestellten Perspektivwechsel waren im besten Fall weitreichender, als es das werbende Vokabular auf den Etiketten der „nachhaltigen, klimafreundlichen und ressourcenschonenden“ Bauprodukte verspricht.

Unsere Zeitschrift BAUKULTUR nahm sich in den letzten Jahren in jeder Ausgabe des wichtigsten Themas einer nachhaltigen Planungs- und Baukultur an. Kein Editorial war hiervon ausgenommen. Was mich und viele andere heute zusätzlich bewegt, ist ein bereits eingetretener Klimaschaden: Das Klima der Angst. Zahlreiche Veröffentlichungen beschreiben die „Klimaangst“ und deren Auswirkungen auf die Menschen. „Wo verläuft die Grenze zwischen normaler Sorge und lähmender Krankheit?“, schrieb die SZ bereits 2020. UNO-Generalsekretär António Guterres hatte vier Jahre nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens im Februar 2020 festgestellt, dass das größte Problem der Welt – der Klimawandel – weder gestoppt noch gebremst sei, sondern sich weiter beschleunige. Fast drei Jahre später benennt er anlässlich des G20-Gipfels den Kampf für unsere Sicherheit heute und das morgige Überleben als einen „life-or-death struggle“. In der folgenden Weltklimakonferenz COP 27 warnte er darüber hinaus: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle mit dem Fuß noch auf dem Gaspedal.“ Die Enttäuschung der Teilnehmer dieser Konferenz fasste Bundesumweltministerin Steffi Lemke als „extrem bitter“ zusammen.

Es braucht offenbar diese drastischen verbalen Zuspitzungen, welche die Realität einer verfehlten Klimapolitik überdeutlich machen. Gleichwohl müssen wir uns aber fragen, wie eigentlich die heranwachsende Generation mit diesen täglichen Botschaften des Untergangs umgeht? Es besteht meines Erachtens die Gefahr, dass Initiativen einer „letzten Generation“ im Widerspruch zu dem eigentlichen Bestreben nicht aufrütteln, sondern Resignation und Duldungsstarre erzeugen. Wie klären wir auf, wie sprechen wir miteinander und mit unseren Kindern? Und woher schöpfen wir den Mut und die Energie, uns dem Klimawandel entgegenzustellen?

Der Klima-Volksentscheid in Berlin war so ein Ausdruck von Mut und Tatendrang, er ist gescheitert und hat doch ein wichtiges Signal gesetzt: Das Bestreben, die in einem vorhandenen Gesetz genannten Ziele der Klimaneutralität von 2045 auf 2030 vorzuziehen und verbindlich zu machen, erschien den Berlinern als zu ambitioniert. Die Initiative steht dabei allerdings im Einklang mit 70 weiteren Städten in Deutschland, die sich das Ziel gesetzt haben, bis 2035 klimaneutral zu werden. In Europa unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 „klimaneutral“ und „intelligent“ werden wollen. Die neue Landesregierung in Berlin hat nun bereits erklären lassen, dass sie das Erreichen der Klimaziele um 10 Jahre auf 2035 vorziehen will. Die Initiative ist also nicht erfolglos geblieben.

Was beim globalen Klimagipfel als Scheitern erkannt wird, kann auch bei den regionalen Initiativen beobachtet werden. Aus dem Elfenbeinturm heraus lassen sich keine Mehrheiten organisieren. Die derzeitigen Diskussionen um den Ausstieg aus der Kernenergie, dem europaweiten Verbot der Neuzulassungen von Verbrennermotoren und dem Stopp der Neuinstallationen von Gas- und Ölheizungen zeigen, wie schwer es ist, Fakten und Meinungsmache voneinander zu trennen. Im Ergebnis sollten wir weniger ideologisch und tatsächlich auch technologieoffen miteinander diskutieren. Es nützt nichts, sich im Glanze der als wahr empfundenen eigenen Erkenntnis zu sonnen, sondern wir müssen untereinander den Ausgleich suchen, die Bedürfnisse der anderen erkennen und somit gesellschaftlich konsensfähig werden. Das ist nicht allein eine Aufgabe von Ingenieuren, aber es ist ein Teil unseres Selbstverständnisses.

Wir müssen reden – das hilft auch gegen die „Klimaangst“.

Herzlichst,
Ihr Arnold Ernst
DAI Präsident

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