(in: BAUKULTUR 6_2024, S. 3)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der BAUKULTUR,
Trump kommt, die Ampel geht. Man könnte meinen, die glücklose Koalition habe sich im Windschatten der Weltereignisse weggeduckt, das Weite gesucht und die Tür hinter sich zufallen lassen. Tatsächlich war aber das Ende der Koalition nach Monaten des Streits und der Handlungsunfähigkeit überfällig und vorhersehbar. Sieht man auf die Aufgaben, die für Deutschland und Europa anstehen, so ist der Zeitpunkt der deutschen Regierungskrise so ungünstig wie lange nicht.
Die Koalition war vor drei Jahren angetreten, die Ökonomie, die Ökologie und eine sozial gerechte Gesellschaftspolitik mit den drei Parteien bereits in deren Grundkonstellation abzubilden. Nach Jahrzehnten von Wachstum und Entwicklung im Frieden hat der russische Überfall in der Ukraine eine Energie- und Wirtschaftskrise ausgelöst, die in der Folge weitere Defizite aufgedeckt hat, die nun entschlossenes Handeln erfordern. Das Embargo des russischen Gases hat die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Öl und Gas deutlich gemacht. Der befürchtete Energienotstand konnte zwar im ersten Winter abgewendet werden, jedoch machen die hohen Energiekosten der deutschen Wirtschaft schwer zu schaffen. Für wichtige deutsche Industrieunternehmen stellt sich erneut die Standortfrage. Die großen Unternehmen sind bereits international aufgestellt, die Verlagerung der Produktion gefährdet aber heimische Arbeitsplätze. Es sind vor allem die mittelständischen Unternehmen, die tiefer in die Krise geraten. Jahrzehntelang hat die deutsche Wirtschaft von der weltweiten Öffnung der Absatzmärkte profitiert. Handelsbeschränkungen zwischen Europa und China gefährden nun nicht nur die deutsche Automobilindustrie. Der neue amerikanische Präsident macht ebenfalls keinen Hehl daraus, dass er seine heimische Industrie durch Strafzölle schützen will.
Es heißt, Europa muss näher zusammenrücken. In diesen Zeiten braucht es eine funktionierende deutsche Regierung, die durch entschlossenes Handeln einen weitreichenden Strukturwandel für Deutschland angeht. Die ökologischen Themen müssen weiter auf der Agenda bleiben. Die begonnene Energiewende ist dabei auch ein Standortvorteil, der aber erkannt und gefördert werden muss. Die Infrastruktur braucht Investitionen, die zu lange eingespart wurden. Aber auch soziale Themen, wie etwa eine Rentenreform, sind zu lange liegen geblieben. Die demografische Entwicklung ist schon lange erkannt, jedoch traut sich keine politische Partei an dieses Thema heran. Das Festhalten an der umstrittenen Schuldenbremse hat bisher die entscheidenden Zukunftsinvestitionen verhindert. Es braucht nun einen gesellschaftlichen Konsens, der eine handlungsfähige zukünftige Regierung unterstützt und der auch die Bereitschaft für Zugeständnisse einbringt. Wir brauchen eine solidarische Gesellschaft.
Das Ergebnis der Wahlen in Amerika zeigt eine eklatant ungleiche Wohlstandsverteilung zwischen jenen Menschen, die ein College-Diplom besitzen, und jenen, die höchstens über einen Schulabschluss verfügen. Der Reichtum ist so ungleich verteilt wie in keiner anderen Volkswirtschaft. Ein großer Teil der Menschen in den USA ist von der Teilhabe am Bildungs- und Gesundheitssystem ausgeschlossen. Trump hat die Wut darüber ins Weiße Haus getragen. Diejenigen, die ihn wählten, taten dies zum Teil gegen ihre eigenen Interessen. Dass Harris nicht das Vertrauen von mehr Frauen an sich binden konnte, erklärt sich vor allem dadurch, dass progressive Politik als Sündenbock für alles, was in jenem Land schief läuft, herhalten muss. Frauenrechte, Umweltbewusstsein, faire Gesundheitspolitik und leider auch der Respekt vor dem anders Denkenden bleiben in der öffentlichen Diskussion auf der Strecke.
Solidarität und gerechte Teilhabe bleiben der Schlüssel bei der Entwicklung von lebenswerten Städten und Gemeinden. Der nachhaltige Umgang mit Grund und Boden erfordert einen Interessensausgleich nicht nur der Menschen untereinander, sondern mit allen Lebewesen und der Natur. Unsere Innenstädte funktionieren zum Teil nicht mehr. Der Handel mit Waren und die Bedeutung des automobilen Individualverkehrs nehmen ab, das Bedürfnis nach attraktiven und resilienten Orten nimmt zu. Wir sollten dies als Chance wahrnehmen, aus unseren Städten Orte der Teilhabe zu machen, für Bildung und Gesundheit, und vor allem Begegnungsstätten, in denen miteinander gehandelt und verhandelt wird. Wenn wir verlernen, miteinander zu reden, verlieren wir die Grundlagen für die demokratische Gesellschaft. In den dicht besiedelten Städten Europas gibt es diese Räume noch. Wir müssen sie erkennen, schützen und weiterentwickeln.
Dies wünscht sich und Ihnen
herzlich aus Athen
Ihr
Arnold Ernst
DAI Präsident