Zwischen Expressionismus und Moderne

Evangelische Matthäuskirche in Karlsruhe
Serie: DAI Mitglieder im Blickpunkt: Hiegel Architekten, Ingenieure & Stadtplaner, Karlsruhe

in: BAUKULTUR 2-2009 (S. 8-9)

Sanft verschmutzte Wände, rustikale Holzverkleidungen, eine verwaschen verstaubte, aller Farbe verloren gegangene Holzdecke und ein desolater Fußboden hatten den Charakter der Matthäuskirche, wie sie Ende der 1920er Jahre durch den Architekten Hermann Alker geplant wurde1, im Jahr 2008 radikal entstellt. Bonjour tristesse.
Somit erschien die an den verantwortlichen Architekten gestellte Aufgabe, die Atmosphäre des Innenraums mit kargstem Budget ins Klare und Lichte zu erhöhen, fast unerreichbar. Engagierte Diskussionen, weiter offene Fragen nach Konsequenzen Herder'scher Sprachhandlung2 - und trotzdem - nach fünf Jahren Vorbereitungszeit: das Licht am locus classicus erstrahlt neu.


Weiß gehaltene Wände und ein roter Linoleumbelag bestimmen den Innenraum nach der Sanierung
(Foto: N. Kazakov)

Architektonisches Konzept
Reagierend auf die restauratorische Befundanalyse durch Ute Friederike Schlee wurde das Holzwerk gereinigt, deckend gestrichen oder/und mit neuer Farbe versehen. Der Putz wurde aufgehellt und farblich differenziert. Das architektonische Konzept sah die interpretierende Wiederherstellung der weißen Raumrahmen, der gelblichen Fensterumrandungen als auch der farbig gestreiften Decke vor. Zusammen mit dem Bauherrn Michael Bossert, dem Elektro- und Lichtplaner Heinz Tomaschewski und Pfarrer Dr. Thomas Schalla als spiritus rector wurde das Konzept entwickelt.3 Vorhandene Leuchtkörper wurden nachgerüstet, die Helligkeit in einer der Bausubstanz gegenüber kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung durch neue, in palladianisch inspiriertem Rhythmus angeordnete Mittelschifflampen und eine indirekte seitliche Beleuchtung erhöht. Einer zusätzlichen pragmatischen Funktion unter der Empore wurde durch den Einbau von Kugelleuchten, die historische Form im Foyer aufgreifend, entsprochen.

Viermal Apostel und viermal Matthäuskirche
Schon über viele Jahre zieht sich in der von Hochhäusern und Grüngürtel geprägten Stadt Frankfurt die öffentliche Diskussion um die zwischen Hauptbahnhof und Messe gelegene Matthäuskirche hin. In Berlin gar wird, fast als Utopie, das Kulturforum samt Hochhäusern von den Architekten Helmut Kleine-Kraneburg und Martin Gruber neu skizziert. In Stuttgart wird aus der Matthäuskirche das Projekt „Modell" im Rahmen der Überlegungen eines Kirchbautages.
Herbstliches Eisenach, Katharinengeläut für Fritz Thomas aus Stein im Sinn: In der Weinbrenner-Stadt Karlsruhe wird in Anlehnung an die Geometrie von Andrea Palladio eine Bearbeitung der Alker´schen Matthäuskirche vorgenommen, die nur für den Besucher des Innenraumes erkennbar wird. Geformt als neues Zeichen, nach außen strahlend: Himmel und Erde verbinden sich.

Anmerkungen
1 Zum architektonischen Kontext jener Zeit siehe Franzika Bollery: Der grüne Prophet - Martin Wagner und das wachsende Haus, in: Ezelsoren, Vol.1, 2008, Nr.1, S.33 ff.
2 Rainer Volp: Liturgik - Die Kunst, Gott zu feiern, Gütersloh 1994, S.786 ff.
3 Im Büro H. R. Hiegel wirkten am Projekt Matthäuskirche seit 2004 zu unterschiedlichen Zeiten mit: D. Reuter, G. Peroganakis, A. Ranoarivary, H. Wehmann, J. Benitez

PROJEKTDATEN
Bauherr: Evangelisches Stadtkirchenamt Karlsruhe
Architekt: H. R. Hiegel, Karlsruhe
Dokumentation: archEtrans e.V., Patrik Scholz, Karlsruhe
Statische Beratung: Harrer Ingenieure, Karlsruhe
Restauratorische Befundanalyse: Ute Friederike Schlee, Karlsruhe
Orgelbauer: Matz & Luge, Rheinmünster
Elektro- und Lichtplanung: Heinz Tomaschewski, Karlsruhe
Bodenbelag: Linoleum von Armstrong DLW AG, Bietigheim-Bissingen
Farben: Keimfarben GmbH & CO. KG, Diedorf

ZUM BÜRO
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Alte Friedrichstr. 4 | 76149 Karlsruhe-Neureut
Tel. 0721 - 356 300 | 0171 - 6 456 500
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gegründet 1982 | 3 Mitarbeiter
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Tätigkeitsschwerpunkte: Wohn- und Gewerbebauten, Kindergärten und Schulen, Banken, Denkmalschutz, Sanierung und Restaurierung, Kulturveranstaltungen, Architekturtheorie, Stadtplanung

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