Fritz Schumacher und der Charakter des Bauplatzes

Die Feuerwache an der Alsterkrugchaussee und die Davidwache am Spielbudenplatz
in: BAUKULTUR 5_2009 (S. 38-41)

In Hamburg tragen über 200 Staatsbauten die Handschrift des Architekten und Stadtplaners Fritz Schumacher. Als Leiter des Hochbauwesens und später als Baudirektor (1909-1920) und Oberbaudirektor (1924-1933) hat er in über zwei Jahrzehnten fast alle diese Gebäude selbst entworfen. Schumacher verstand sich als Architekt einer sozialen Kultur, der den Großstadtmenschen eine neue Heimat schaffen wollte. Architektur und Städtebau waren für ihn Teil einer sich wechselseitig ergänzenden Sinngebung aller Lebensbereiche. Nichts in Schumachers Werk ist losgelöst von der sozialen Situation. Der Vergleich zweier zeitgleich entstandener Bauten aus seinem Frühwerk macht seine Architekturauffassung deutlich: Die Feuerwache an der Alsterkrugchaussee und die Davidwache am Spielbudenplatz zeigen eindrücklich, was Fritz Schumacher unter dem „Charakter des Bauplatzes" verstand und wie gekonnt er sich mit dem jeweiligen städtebaulichen Umfeld auseinander setzte.

Foto: Fotodesign Gebler

Feuerwache an der Alsterkrugchaussee
Als Fritz Schumacher 1913-1914 die Feuerwache an der Alsterkrugchaussee (früher Feuer- und Rettungswache Alsterdorf) errichtet hatte, war dieses Gebiet noch ländlich geprägt. Seine Überzeugung, dem Charakter eines Bauplatzes entsprechend zu bauen, bewegte ihn zu einem langgestreckten Gebäude im Landhausstil. Ihm schwebte ein Gebäude vor, das „breit und behaglich unter den Kronen der herrlich alten Bäume" liegen sollte. In der stützenfreien Remise, die auch auf der Rückseite zum Hof eine breite Ausfahrt hat, werden auch heute noch Rettungswagen untergebracht.
Im Dachgeschoss des Gebäudes befand sich ursprünglich die Dienstwohnung des „Oberfeuermanns" und seiner Familie, die aus 4 Zimmern, Küche und Bad bestand. Die Loggia mit weiß gestrichenem, geschnitztem Holzwerk betonte den privaten Raum. Heute dient der einstige Wohnbereich unter anderem als Schrankraum für die Ausrüstung, als Aufenthalts- und Ruheraum.

Foto: Fotodesign Gebler

Der Schlauch- und Steigeturm für Kletterübungen auf der Rückseite des Gebäudes wird seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Da er aber - für Schumacher typisch - nicht nur eine Funktion erfüllte, sondern gleichzeitig integraler Bestandteil der Architektur sein sollte, ist er als gestalterisches Merkmal erhalten geblieben: direkt über dem Rundbogen-Tor auf der Rückseite, neben dem dunkel gebrannten Klinker, als hohe Holzkonstruktion, grün-weiß gestrichen.

Eine erste Erweiterung der Feuerwache war 1960 nötig. Quer zum Haupthaus entstand aus hellem Klinker eine Remise für drei Löschfahrzeuge, bei deren Planung jedoch die Harmonie des Hauptbaus und die feine Gliederung seiner Bauteile zugunsten einer schlichten Zweckmäßigkeit nicht aufgegriffen worden sind. 1998/99 wurde der Anbau im Zuge der umfangreichen Grundsanierung und Umstrukturierung des Hauptbaus verlängert, um dem wachsenden Raumbedarf entgegen zu kommen: Ruheräume, Ausbildungsräume, Dusch- und Umkleideräume für 130 Männer und Frauen wurden geschaffen. In dieser Zeit wurden auch das Dach des Altbaus denkmalgerecht neu gedeckt, die Fassaden saniert, sanitäre Anlagen eingebaut, alle Fenster und Türen erneuert und die haustechnischen Installationen auf den neuesten Stand gebracht. Betrachtet man den historischen Grundriss des Innenausbaus, fällt auf, dass zwei Räume ihre Funktion nie verändert haben: Die Großküche und die angrenzende Kantine. Sie wurden ebenfalls 1998/99 erneuert.

Trotz aller Funktionalität kommt bei der Feuerwache an der Alsterkrugchaussee der Charakter eines Landhauses auch heute noch deutlich zum Tragen. Dies wissen auch die Mitarbeiter zu würdigen, wenn sie die Blumenkästen „ihrer" Loggia im Sommer mit roten Geranien bepflanzen und gewissenhaft jeden Donnerstag die Turmuhr auf dem Dachfirst aufziehen. An den einstigen ländlichen Charakter des Bauplatzes, wie ihn Schumacher betont hatte, erinnert heute hingegen lediglich noch die historische Grundstücksbegrenzung: Eine hüfthohe Ziegelmauer, auf der ein weiß gestrichener Gitterzaun aus Holz aufgesetzt ist. Verschwunden jedoch sind die „herrlich alten Bäume" und das Gartenland hinter dem Haus.

Davidwache
Die Davidwache (Polizeikommissariat 15) am Spielbudenplatz ist eines der berühmtesten Gebäude in Hamburg. Fritz Schumacher stand in den Jahren 1913-1914 nur ein sehr schmaler Platz für die erforderliche Baumasse zur Verfügung, sodass das Gebäude „Gefahr lief, zu den niedrig gehaltenen Nachbarhäusern in starken Gegensatz zu treten".

Foto: Fotodesign Gebler

4 Verwaltungszweige mussten untergebracht werden: Eine Polizeiwache, das Meldeamt, eine sittenpolizeiliche Untersuchungsstation und eine Gruppe von Dienstwohnungen für die Revierführer samt Familie. Um der „Gefahr" zu entgehen, aus dem Gesamtbild des Ensembles herauszufallen, zog er das Dach auf der Giebelseite bis zur Traufe des zweiten Obergeschoss herunter und baute das Dachgeschoss voll aus. Damit erreichte er, dass die Baumasse „sowohl in sich als auch im Verhältnis zur Umgebung (...) natürliche und harmonischere Verhältnisse bekommt".
Die Ziegelfassade wird sowohl zum Spielbudenplatz als auch zur Davidstraße durch scharf gebrannten Klinkerschmuck aufgelockert, dessen Lasuren in grünen, gelben und blauen Tönen auf tiefbraunem Untergrund glänzen. Die hoch aufragende Fassade zur Davidstraße wird durch zwei fein gegliederte Erker mit einer Reihe von Schmuckelementen und keramischen Figuren des Bildhauers Richard Kuöhl aufgelockert. Schumacher wollte keine abweisende Polizeifestung, sondern ein freundliches Äußeres, das die bürgerliche Ordnung repräsentiert.
Bauliche Veränderungen im historischen Teil wurden behutsam vorgenommen. So sind die einstigen Dienstwohnungen für den Polizeibetrieb umfunktioniert, auch der Eingangsbereich musste umgestaltet werden. Sorgsam ausgebessert wurden dabei die alten Wandfliesen, der elegant geschwungene Handlauf des Treppenaufgangs wurde originalgetreu restauriert. Das abgerundete Treppenhaus auf der Rückseite des Gebäudes, durch das einst die Prostituierten, verborgen vor den Blicken der Passanten, zur Hygiene-Untersuchung hinaufsteigen konnten, blieb zumindest in seiner Form erhalten. Die 6 Einzelzellen im Kellergeschoss vermitteln dagegen noch die ursprüngliche Atmosphäre. Allerdings sind sie mit moderner Klima- und Überwachungstechnik ausgestattet.

Um die Polizeiwache 15 und das Polizeikommissariat 15 in einem Gebäude zusammen zu führen, lobte die IMPF Hamburgische Immobilien Management Gesellschaft mbH 2002 einen Wettbewerb aus. Der 1. Preisträger, Bernhard Winking, stand wie einst Fritz Schumacher vor der Aufgabe, auf einem kleinen Eckgrundstück direkt hinter dem Altbau ein großes Raumprogramm zu erfüllen: „Die Bauten Schumachers erfordern ausgeprägte und sinnfällige städtebauliche Ergänzungen - sie reagieren auf unbedachte Veränderungen und fordern Besseres heraus", so die Analyse Winkings. Deswegen wurde erst gar nicht versucht, den idyllisch anmutenden Altbau zu imitieren. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass hier der späte Schumacher mit seinen strengen kubischen Bauteilen, die teilweise in Glasflächen aufgelöst sind, inspirierend gewirkt hat.
Das neue Bauwerk hebt sich deutlich vom Altbau ab: Zwei übereinander gesetzte kantige Baukörper mit klar gegliederten und in die Klinkerfassade über drei Stockwerke ausgesparten Fensterfronten geben dem Gebäude eine gewisse Leichtigkeit. Die dunkel gestrichenen Fensterteilungen, die im Sparverband gemauerte Fassade, der schmucklose, im dunklen rot-violett-braun glänzende Wittmunder Vormauerziegel stehen im harten Kontrast zu den hellen, matten Ziegeln des Altbaus, seinen schmückenden Erkern und feingliedrigen weißen Sprossenfenstern. Eine spannende, selbstbewusste und attraktive Koexistenz der Epochen.
Selbst der Übergang zwischen Alt- und Neubau setzt auf Kontrast: Der Übergang im 1. Obergeschoss - aus Sicherheitsgründen nicht wie ursprünglich geplant aus Glas - ist weiß verputzt. Leider verdeckt er das runde Treppenhaus auf der Hofseite des Schumacher-Hauses, was aber unvermeidbar war, um einen nahtlosen betrieblichen Ablauf zu garantieren.

Knapp 500 m² zusätzliche Hauptnutzfläche sind - bei laufendem Betrieb - in 16 Monaten entstanden. Die vierstöckige Stahlbetonkonstruktion nimmt 15 Büroräume auf. Unter dem Dach bietet der Konferenzraum mit seiner großzügigen Fensterfront einen weiten Blick über die Stadt, im 1. Obergeschoss liegt ein Warteraum für Besucher, im Parterre ist Platz für die Technik, und im Untergeschoss liegen die Umkleide- und Waschräume. Mit seiner pointierten Eckstellung fügt sich der Neubau harmonisch in das Gesamtspiel der Nachbarbauten aus der Gründerzeit ein.
Vom AIV Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e.V. wurde der Bauherrin HGV Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement/ IMPF Hamburgische Immobilien Management mbH im Jahr 2004 der Bauherrenpreis für das Bauwerk verliehen. Der BDA Bund Deutscher Architekten Hamburg hat die Erweiterung 2008 als eines der besten Hamburger Bauwerke der vergangenen 20 Jahre ausgewählt.
Ursula Gröttrup

Projektdaten

Gebäudeeigentümerin: HGV Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH, Hamburg

Pächterin/Vermieterin/Baumanagement: IMPF Hamburgische Immobilien Management Gesellschaft mbH, Hamburg

Planung Neubau Davidwache: Prof. Bernhard Winking, Hamburg

Genderhinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in unseren Inhalten bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern überwiegend die männliche Form. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Informiert bleiben, Partner finden, Baukultur erleben!

Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. Mitgliederzeitschrift Mitglied werden