Topoi Engelsbrand

Wohnen im Nordschwarzwald
in: BAUKULTUR 2_2010 (S. 22-23)

In Engelsbrand im Nordschwarzwald verwandelte der Architekt Florian Stocker aus Remshalden ein weitläufiges Anwesen in einen philosophischen Landschaftsgarten mit bewohnbaren und nicht bewohnbaren Bauten. Während die Sanierung und Erweiterung des Bestandsgebäudes bereits seit 2008 abgeschlossen sind, ergänzt seit Sommer 2009 ein neues Wohnhaus das Ensemble.

Bestandsbau „Panta Rhei“
Mit dem Auftrag, das elterliche Wohnhaus zweier Brüder zu sanieren und zur Landschaft zu öffnen, begann im Jahr 2007 die Planung für das 98 a umfassende Grundstück. Das zum Großteil verschlossene und kleinteilige Bestandsgebäude wurde hierfür in zwei Hälften getrennt.

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Bestandsbau "Panta Rhei" (Foto: Florian Stocker)

Durch den Hauptteil wurde eine 19 m lange brückenartige Holzplattform geschoben, in deren Schwerpunkt ein skulpturaler Kamin und die Küche den Mittelpunkt des Gebäudes bezeichnen. Durch Faltungen und Klappen finden in der Plattform die Küchengeräte, eine Bar, eine Sommerküche und Liegeplätze auf den Decks ihren Platz.
Der kleinere Gebäudeteil, das Wandelhaus mit den privaten Räumen, wurde um eine Raumeinheit verlängert. Es passt sich den ändernden Bedürfnissen der Familie an. Das Wandelhaus wird im Außenbereich von einem 30 m langen Holzsteg begleitet, der zum Schwarzwaldhorizont fluchtet. Der Wandelgang im Innern nimmt diese Leichtigkeit mit einem Tatamimattenbelag (Reisstrohmatten) auf. Gang und Steg verschmelzen durch eine klassische Stützenreihe hindurch.
Die 26 m lange Empfangsachse mit Glasdach und Wasserspielen wurde beibehalten und durch eine Lichtachse im Boden unterstrichen.
Im Zuge der Umbaumaßnahmen wurde ein Bachlauf durch das Gebäude geleitet, der die Außenräume durch das Haus hindurch verbindet. Die beiden getrennten Gebäudeteile werden mit einer gläsernen Brücke, über den Bachlauf hinweg, wieder verbunden. Gänge und Wegachsen begleiten das Gelände durch das Haus. Heute fasst das Bestandsgebäude mit künstlicher Landschaft das ausgedehnte Gelände.

 „Gleich mit jedem Regengusse
Ändert sich dein holdes Tal,Ach, und in dem selben Flusse,
Schwimmst du nicht zum zweitenmal“
(Johann Wolfgang von Goethe nach Heraklit)

Wohnhaus „Hexaeder“
Nach der Erweiterung des elterlichen Wohngebäudes wurde zwei Jahre später der Bau eines weiteren Wohnhauses erforderlich. Der im Sommer 2009 fertig gestellte Neubau bildet an der tiefsten Stelle des Hanggrundstücks gewissermaßen den Auftakt zum Gelände.

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Neubau "Hexaeder" (Foto: Brigida Gonzalez)

Das Gebäude ist als mathematisch exakter Sichtbetonwürfel aus hellem Hochofenzement hergestellt. Die Sichtbetonaußenschalen mit regelmäßigen Schalungsankern formen den leicht überhöhten, in seiner Außenwirkung streng anmutenden Würfel. Im verspielten Innenraum wechseln sich niedrige Geschosse mit hohen Lufträumen über zwei Geschosse ab. Die hellen Räume werden über große zweigeschossige Minimalfenster und gebäudehohe Lichtschlitze belichtetet. Persönliche kleinteilige Ausbauten - ein Arbeitsplatz in der begehbaren Bibliothek, eine in die Kaminecke integrierte Sitzbank oder eine Sitznische im Bad - schaffen Rückzugsräume im alle Geschosse durchdringenden Raumkontinuum, bis hin zu einem dunklen Tatamimattenraum mit meditativem Charakter. Es wurden umfangreiche Schreinerarbeiten als integraler Bestandteil des Gebäudes ausgeführt. Treppenläufe gewendelt und gerade führen in einer weichen Choreografie aus dem Garagengeschoss auf die Aussichtsterrassen. Holz einer 200-jährigen durch Blitzschlag vor Ort gefällten Eiche, lokaler Maulbronner Sandstein und weitere lokal gewonnene Materialien fanden beim Ausbau Verwendung.

Die Fertigstellung des Rohbaus wurde zum Ende der Sonnenfinsternis am 8.7.2008 um 12.15 Uhr mit einem Richtfest gefeiert.

 „Der Stoff sehnt sich der Form entgegen“
(Heinrich Wölfflin nach Aristoteles)

Philosophischer Landschaftsgarten
Die heimische geschützte Flora wird vom „wilden“ Naturraum (Bosco) zum artifiziellen Garten (Boskett). Gewässer im natürlichen Verlauf versorgen bzw. geben den Raum für verschiedene Weiher, Becken und ein Schwimmbecken. Sie werden im natürlichen Tiefpunkt des Geländes, am Beginn der künstlichen Landschaft,  in einer Rigole gefasst und ihrer Nutzung auf dem Gelände zugeführt.

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Modellansicht der "Topoi Engelsbrand"

Zum Zeitpunkt Sonnenaufgang Sommersonnenwende scheint die Sonne durch eine freigelegte ca. 250 m lange Geländeachse. Verschiedene landschaftliche „Follies“ finden neben den beiden Wohnhäusern ihren Platz im landschaftlichen Bezug und stecken einen philosophischen Garten ab:

a. Die Falsifikationsschaukel schwingt als 7 m hohe Kettenschaukel auf der Achse der Sommersonnenwende. Sie führt ein archaisches Experiment mit dem eigenen Körper durch und prüft unser Denken: „Unser Wissen ist ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, ein Gewebe von Vermutungen“ (nach Karl Popper).

b. Die Villa Anseri als romantisches Relikt, mit der eine klassische Vergänglichkeit in den Garten einzieht, hinter der sich ein Gänsestall verbirgt: „Et in arcadia ego“ (nach Giovanni Francesco Barbieri).

c. Die Feuerstelle in der Wildnis als Tetraeder: „Der Mensch ist Nachbar des Seins“ (nach Martin Heidegger).

d. Das Mikrogefüge im wilden Biotop als Oktaeder aus Cortenstahl: „Alles ist Zahl“ (nach Platon/ Pythagoras).

e. Die rationale Sommersonnenwendachse: „Cogito ergo sum“ (nach Descartes).

Die Landschaft wird begleitet von der Suche nach der „quinta essentia“ mit Hilfe einer poetischen Wissenschaft, nach dem fehlenden fünften Element eines von der rationalen Wissenschaft geprägten Weltbildes.

Genderhinweis
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