Tresorartig bewahrend

Das Haus der Essener Geschichte in Essen
in: BAUKULTUR 5_2010 (S. 34-35) 

Im Jahr 2005 schrieb die Stadt Essen einen europaweiten Wettbewerb zum Umbau und zur Erweiterung der 1906 errichteten Luisenschule aus. Ziel war es, die unzureichend und an verschiedenen Orten gelagerten Stadtarchivalien, die Verwaltung des Stadtarchivs, deren öffentliche Bibliothek, einen Vortragssaal und einen Museumsbereich zur jüngeren Stadtgeschichte, mit dem Schwerpunkt Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich, unterzubringen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war, das nur noch zum Teil für Schulzwecke genutzte Baudenkmal Luisenschule als kulturelles Erbe zu bewahren und sinnvoll weiter zu nutzen. Im Februar 2010 ist das „Haus der Essener Geschichte“ eröffnet worden. Im Rahmen des Architekturpreises der Stadt Essen 2010 ist es mit einer Anerkennung bedacht worden.

Ahlbrecht_HEG_2Haus der Essener Geschichte, Altbau (Foto: Deimel und Wittmar, Essen)

Nutzungskonzept
Die geforderten Nutzungen ließen sich gut in die historische Gebäudesubstanz der Schule bzw. in den bestehenden Anbau aus den 1950er Jahren integrieren. Der neue Erweiterungsbau für das Magazin wurde als massives 4-geschossiges Gebäude errichtet und schließt eine städtebauliche, kriegsbedingte Wunde der ehemals vorhandenen Blockstruktur. Es beherbergt die erforderlichen 17 Regalkilometer, untergebracht in Rollregalsystemen.

Schulgebäude
Der unter Denkmalschutz stehende Altbau wurde denkmalgerecht wieder hergestellt. So wurden historische Fensteröffnungen wieder geöffnet, weitere historische Elemente, die nicht mehr erkennbar waren, wie z.B. Terrazzoböden, Fliesen, Garderobennischen etc. wurden freigelegt und in die Planung integriert. Störende Einbauten wurden entfernt.
Die kreuzgratgewölbte Halle bildet das gemeinsame Foyer für Schüler, Besucher und Mitarbeiter des Hauses der Essener Geschichte und auch den Auftakt für die Ausstellung, die in den ehemaligen Klassenräumen ihren Platz gefunden hat. Um die Ausstellung sinnvoll als Rundgang schließen zu können, wurden die alten Klassenräume durch Durchgänge miteinander verbunden und der breite Flur in die Raumabfolge integriert. Entsprechend den Anforderungen des Stadtarchivs wurden auch die Büros in ehemaligen Klassenräumen untergebracht. Der Vortragssaal liegt nahe des Foyers zur Bismarckstraße. Der Lesesaal und die Verwaltung befinden sich in dem ruhigeren Anbau aus den 1950er Jahren.
Das Untergeschoss nimmt im Anschlussbereich zum Magazin die Archivalienübernahme mit Werkstätten auf. Die ehemaligen Klassenraumanbauten im Souterrain werden als Seminar- und Computerraum zur Nachbereitung von Ausstellungsbesuchen genutzt. Der seit 65 Jahren fast unveränderte Luftschutzkeller wird in seinem authentischen Zustand als Erweiterung in die Ausstellung einbezogen.

Ahlbrecht_HEG_1Das neue Magazingebäude des Hauses der Essener Geschichte
(Foto: Deimel und Wittmar, Essen)

Magazingebäude
Das 4-geschossige, nicht unterkellerte Magazingebäude ist über eine gläserne Fuge mit dem 1950er Jahre-Anbau verbunden. Ein neuer Aufzugsturm mit behindertengerechtem Aufzug gleicht die Höhenunterschiede aus. Die Anlieferung erfolgt ebenerdig über den Innenhof. Durch den Anschluss an die Bibliothek, den Lesesaal und die Büroräume sowie an den Bereich der Archivalienübernahme und Werkstätten ergeben sich optimale, funktionale Beziehungen. Alle Geschosse sind durch Betonwände in 8 gleich große Kompartimente unterteilt und an eine zweite Fluchttreppe angeschlossen.
Die Fassaden des neuen Magazingebäudes sind mit Cortenstahl verkleidet. Dieses sich stetig verändernde Material steht für den Wandel der Zeit und wirkt gleichzeitig tresorartig bewahrend. Darüber hinaus stellt es auch einen Verweis auf die Geschichte der ehemaligen Stahl-Stadt Essen dar.
Die Gliederung der Fassadenöffnungen spiegelt auf spielerische Art die im Innern liegenden, flexibel genutzten Fahrregalanlagen wider. Raumhohe, schräg in die Fassade eingelassene Lüftungsöffnungen durchdringen die Fassade, vermindern die direkte Sonneneinstrahlung und unterstützen durch ihre unterschiedlichen Richtungen die Luftzirkulation. Die 24 cm starke Betonaußenwand ist außen gedämmt. Die Wände und die Stahlbetondecken sind zur Luftfeuchtigkeitsregulierung mit einem 2,5 cm hochhydraulischen Kalkputz ausgestattet.
Das Gebäude ist mit Außentemperaturfühlern und etagenweise installierten Messgeräten ausgestattet. Über eine intelligente Steuerung wird jede Etage separat mit Querlüftung bzw. Heizwärme über konventionelle Radiatoren versorgt.
Eine extensive Begrünung bildet die obere Abdeckung des Daches. Eine natürliche, kontrollierte Belüftung wurde für das Magazin konzipiert. Auf eine Klimaanlage konnte verzichtet werden.

Außenräume
Vorplatz und Innenhof sind durch ein einheitliches Material- und Beleuchtungskonzept gestalterisch verbunden. Der Hauptzugang zum Haus der Essener Geschichte wurde durch einen „Läufer“ aus schmalen Cortenstahlstreifen im Wechsel mit breiten Werkstein-Bändern betont. Die Außenraumgestaltung ist nutzungsflexibel und ermöglicht Aufenthalt, Spiel, Parken, Anlieferung sowie kleine und große Veranstaltungen.

Projektdaten
Europaweiter Wettbewerb: Ahlbrecht und Scheidt Architekten BDA, 2005, 1. Preis
Fertigstellung: 2010
Bauherr: Immobilienwirtschaft Stadt Essen
Planung: AFS Ahlbrecht - Felix - Scheidt Generalplaner GmbH, Essen-Dresden-Berlin
Entwurf: Ahlbrecht - Scheidt - Kasprusch, Essen-Berlin

Genderhinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in unseren Inhalten bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern überwiegend die männliche Form. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Informiert bleiben, Partner finden, Baukultur erleben!

Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. Mitgliederzeitschrift Mitglied werden