Restauratorische Instandsetzung von Sichtbetonflächen

Der Swarovski Campus in Männedorf am Zürichsee

(in: BAUKULTUR 1_2011, S. 31-33)

Das Bauen mit Sichtbeton ist seit nunmehr 90 Jahren immer wieder in unterschiedlicher Ausprägung „modern“. Als Gestaltungs- und konstruktives Element ist Sichtbeton kaum noch aus der zeitgenössischen Architektur wegzudenken. Insbesondere die Materialität verbunden mit den sichtbaren Spuren der handwerklichen Herstellung begeistern nicht nur Architekten, sondern auch Bauherren und Eigentümer.

Michnia_2Der Swarovski Campus in Männedorf am Zürichsee (Foto: HG Esch, Hennef)

Wertigkeit und Akzeptanz
Die Akzeptanz von Sichtbetonarchitektur hängt jedoch wesentlich von der Qualität des gebauten Sichtbetons ab. Je höher die optische Qualität des verbauten Sichtbetons, desto höher auch die Akzeptanz bei Bauherren, Eigentümern und Nutzern. Dies gilt nicht nur für aktuelle Sichtbetonbauten, sondern in zunehmendem Maß auch für die Architektur der 1960er und 1970er Jahre. Hier findet eine starke Auslese statt, die eher durch die Qualität der Betoninstandsetzung als durch die Qualität der Architektur vorgegeben wird. Eine mit handelsüblichen Betonsanierungsprodukten überarbeitete Sichtbetonfläche verliert ihre Authentizität und Materialität und wird dadurch beliebig. Gleichzeitig verlieren die beschichtete Betonoberfläche und damit auch das Gebäude an Wertigkeit und an Akzeptanz. Erfahrungsgemäß steigt die Akzeptanz für ein älteres Sichtbetongebäude erst nach einer hochwertigen restauratorischen Instandsetzung der Sichtbetonflächen stark an. Früher hätte man einen Abriss und Neubau durchaus akzeptiert und in manchen Fällen sogar favorisiert.
Die in der Instandsetzung von älteren Sichtbetonbauten gemachten Erfahrungen gelten auch für aktuelle Sichtbetonarchitektur. Oftmals wird die Intention des Architekten und des Bauherrn, hochwertigen Sichtbeton zu erhalten, nicht erfüllt. Da Sichtbeton ein handwerklich hergestellter Baustoff ist, unterliegt er dementsprechend auch Toleranzen, die einer hohen ästhetischen Anforderung entgegen stehen. Die Fehlerquellen sind mannigfaltig und können auch nicht immer ausgeschlossen werden, so viel Mühe sich die ausführenden Firmen auch geben. Daher gibt es einen Bedarf an Möglichkeiten, diese partiellen optischen Fehler adäquat zu beheben.
Wird dann mit handelsüblichen Materialien und Techniken nachgebessert, wird das ästhetische Erscheinungsbild des Sichtbetons oftmals derart herabgestuft, dass nur noch die Entscheidung nach flächigem Abspachteln und Streichen bleibt. Damit aber verliert das Gebäude an architektonischer Aussagekraft, Materialität, Individualität und an Wertigkeit. Und verliert an Akzeptanz.
Sowohl für die restauratorische, denkmalpflegerische Instandsetzung älterer Sichtbetonbauten als auch für die restauratorische Instandsetzung aktueller Sichtbetonbauten gilt als generelle Maxime:

  • Maximale Erhaltung der Sichtbetonflächen
  • Partielle Nachbildung der Oberflächen in geschädigten Bereichen entsprechend des umgebenden Sichtbetons in Farbigkeit und Oberflächentextur
  • Mineralische Materialien zur Ergänzung und Retusche, die eine dem Sichtbeton ähnliche Bewitterung zulassen

Um diese hohen Ziele verwirklichen zu können, mussten sowohl Materialien als auch Techniken entwickelt werden. Und auch in Zukunft wird es immer wieder Bedarf an neuen Techniken und Materialien geben, da die Vielfalt an Oberflächentexturen stark zunimmt (z.B. durch Nutzung von Matritzen). Auch werden immer neue Einsatzgebiete für den Sichtbeton erschlossen, der eine immer weiter entwickelte Arbeitstechnik erfordern wird.

Restauratorische Betonkosmetik
In der restauratorischen Betonkosmetik wird – entsprechend der restauratorischen Instandsetzung von älteren Sichtbetonbauten – in der Regel partiell gearbeitet. Es werden lediglich störende Bereiche partiell überarbeitet, wobei sich die Reparaturstelle sowohl farblich als auch von der Oberflächentextur an die Umgebung anpassen sollte. Insbesondere bei glatten Schalungen ist dies eine Herausforderung, weil man im Streiflicht jede abweichende Körnung oder Textur deutlich sieht. Auch den Glanzgrad der Oberflächen wird man anpassen müssen. Schnell wird klar, dass es für eine solche Form der Instandsetzung spezieller Materialien und Arbeitstechniken bedarf.

Swarovski Campus in Männedorf
Um ein Beispiel für eine derartige Sichtbetonbehandlung zu geben, wird hier das Projekt Swarovski Campus in Männedorf am Zürich See vorgestellt. Architekt dieses Projekts ist Ingenhoven Architects aus Düsseldorf. Die Bauausführung wurde an ein Schweizer Generalunternehmen vergeben.
Die Sichtbetonflächen sind mit viel Sorgfalt hergestellt worden. Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass sich partiell Lunker, zu große Luftporen, Entmischungen oder  Farbabweichungen zeigten, die von Seiten des Bauherrn und der Architekten nicht akzeptiert werden konnten. Nach längeren Vorbereitungen wurde entschieden, diese Bereiche partiell restauratorisch zu überarbeiten.
Die Arbeitsweise sah ein flächiges leichtes Schleifen und Reinigen der Sichtbetonoberflächen vor, was vom Generalunternehmen übernommen wurde. Das partielle Spachteln von Fehlstellen, Entmischungen etc. wurde dann mit einem hochwertigen, eingefärbten Kalkspachtel vorgenommen, der nach Trocknung ebenfalls fein geschliffen wurde. Ein Vorteil dieses Materials ist die Feinheit der erzielbaren Oberfläche, die sich gut in glatte Sichtbetonoberflächen integriert.

Michnia_vorher_nachherSichtbetonflächen vor (links) und nach (rechts) der Restaurierung (Foto: Betocare)

Die gespachtelten Bereiche wie auch Bereiche mit stärkeren Farbabweichungen wurden abschießend mit mineralischen Lasuren partiell retuschiert. Auf diese Weise konnten die überwiegend gut gelungenen Sichtbetonflächen ohne Behandlung erhalten werden.
Die Aussagekraft an Materialität und handwerklicher Identität unterstreichen nun die Authentizität der Architektur - sehr zur Zufriedenheit des Bauherrn und der Architekten.

Die vorgestellte Form der Sichtbetonbearbeitung soll kein Appell zur nachlässigen handwerklichen Ausführung von Sichtbeton sein. Ganz im Gegenteil, sie zeigt Wege auf, nicht gelungene Teilbereiche ästhetisch so zu integrieren, dass eine hochwertige Sichtbetonästhetik in allen Bereichen erzielt werden kann.

PROJEKTDATEN
Interview Verfahren: 2007, 1. Preis
Bauzeit: 2008-2010
BGF: 19.089 m²

Bauherr: Swarovski Immobilien AG, Feldmeilen (Schweiz)

Planung: ingenhoven architects, Düsseldorf; Zweigniederlassung CH - Männedorf
Tragwerksplanung: Werner Sobek Ingenieure, Stuttgart
Betonrestaurierung: Betocare e.K., Troisdorf
Ausführung: Betocare Bonn UG und Betocare Dresden UG
Produkte: Betocare Reparaturspachtel fein, Betocare Betonlasur

Genderhinweis
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