Prof. Christian Baumgart, DAI Präsident
(in: BAUKULTUR 4_2013, S. 3)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der BAUKULTUR,
Umfragen renommierter Demoskopen belegen den Trend, viele nehmen ihn wahr und für etliche ist er zwischenzeitlich zu einem Reizwort geworden: die Energiewende. Ursprünglich Positives hat sich ins Gegenteil verkehrt: zu abstrakt, zu unkonkret, zu kompliziert. Gerade bei der Energieeffizienz ist nicht zuletzt durch die Aktivitäten der planenden und bauenden Berufe Bewegung in die Diskussion gekommen. Bedauerlicherweise jedoch passiert vieles unkoordiniert und kontraproduktiv. Oftmals entscheiden Schnittstellen über Wohl oder Wehe von Vorhaben in einer Dimension wie bei der Energiewende. Allein die Tatsache, dass ca. 40 % des Primärenergieverbrauchs auf den Betrieb des Gebäudebestandes zurückzuführen sind, verdeutlicht den Einfluss der gebauten Umwelt und ihr Potenzial.
Mit der vorliegenden Ausgabe unserer BAUKULTUR thematisieren wir ein weiteres Mal das Gesicht der Architektur, zweifellos Bestandteil der angesprochenen Schnittstellen. Jede Gebäudehülle steht in vielfältigen Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung. Neben der zunächst naheliegenden unmittelbar ästhetischen Wahrnehmung geht es auch um die technischen Aspekte. Wie bietet ein Gebäude Schutz, Komfort und Behaglichkeit? Welche Wechselwirkungen entfalten Hülle oder Fassade mit ihrer Umgebung, was wird aus der Umwelt aufgenommen, was wieder dorthin abgegeben? In Ausgabe 2_2013 hatten wir uns ausführlicher mit den Zusammenhängen befasst. Wichtig ist aber auch die städte-bauliche Wirkung, die Einbindung ins Orts- oder Stadtbild. Mit Stadtentwicklungspolitik befasst sich der DAI seit geraumer Zeit intensiv. Hier geht es um öffentliche Förderprogramme und ihre Finanzausstattung in den kommenden Jahren, beginnend beim Stadtumbau über Fragen der Städtebauförderung und der Nachbesserungen bis hin zur sozialen Stadt.
Im Juni fand der „7. Bundeskongress nationaler Stadtentwicklung“ in Mannheim und Ludwigshafen statt. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Editorials lässt sich nicht auf die Ergebnisse vorgreifen. Wichtig wird auch künftig einer der Diskussionspunkte sein: Wer treibt die Stadtentwicklung voran? Sind es eher privatwirtschaftlich orientierte Akteure oder ehemals öffentliche oder halböffentliche Konzerne, sind es große Wohnungsbaugesellschaften oder bleibt die Entwicklungs- und Planungskompetenz auch weiterhin konsequent bei den Trägern einer demokratischen Planungshoheit gebündelt? Seit geraumer Zeit bezieht der DAI immer wieder Stellung gegen den Abbau von Fachkompetenz in der öffentlichen Bauverwaltung. Letzten Endes geht es auch um die Frage der kommunalpolitischen Kontrolle und Selbstverwaltung, ein hohes Gut in der Systematik unseres Staates. Hier kann die weitere Entwicklung die planenden und bauenden Berufe nicht kalt lassen.
Davon können Städte wie Stuttgart, Berlin oder Hamburg ein Lied singen, in denen Großprojekte massiv in die Kritik geraten sind. Stets sind die ersten „Tatverdächtigen“ dort die Planer und Architekten, denen schnell und umfassend die Schuld zugeschoben wird. Dabei liegt die Ursache der Fehlentwicklungen doch wohl offenkundig in erster Linie in der Komplexität solcher Vorhaben. Zu viele planende Einheiten, zu viele ausführende Gewerke, zu komplizierte technische Zusammenhänge müssen koordiniert und aufeinander abgestimmt werden, unter unklaren finanziellen Rahmenbedingungen, höchstem Zeitdruck und mit lautstarker politischer Begleitmusik. Gesellen sich dazu noch widerstreitende Inter-essen verschiedener Bauherrenvertreter, sind Konflikte bis hin zum Scheitern vorprogrammiert. Dankenswerterweise hat die Bundesregierung das Thema nun aufgegriffen und eine „Reformkommission Bau von Großprojekten“ einberufen. Ob sich hieraus plausible und praktikable neue Ansätze ergeben, ist derzeit nicht auszumachen, umso wichtiger ist eine flankierende Begleitung dieses Prozesses für unsere Berufsstände. Unabhängig von Wahl- oder Legislaturperioden müssen wir Kontinuität in der Planung und Umsetzung solcher Großprojekte anmahnen, entsprechende Strukturen schaffen und vor allem gemeinsam in der Öffentlichkeit dafür werben, dass einmal getroffene Entscheidungen auch zu akzeptieren sind.
Wie Sie sehen, liegen breit gefächerte Diskussions- und Tätigkeitsfelder vor uns, der DAI wird hier auch weiterhin im Sinne der planenden und bauenden Berufe tätig sein. Gerne kommt das gesamte Präsidium dazu auch mit Ihnen direkt ins Gespräch, z. B. bei unserem DAI Tag vom 27.–29.9.2013 in Koblenz, zu dem ich Sie erneut herzlich einlade.
Herzlichst Ihr
Prof. Dipl.-Ing. Christian Baumgart
DAI Präsident