Interview mit dem Fassadenkünstler Christian Awe
(in: BAUKULTUR 4_2013, S. 18-19)
Früher hat er illegal Häuserwände besprüht, jetzt ist er einer der erfolgreichsten Künstler Berlins: Christian Awe hat an der Universität der Künste in Berlin studiert und war Schüler von Georg Baselitz und Meisterschüler bei Daniel Richter. Er malt farbintensiv auf PVC und Leinwand – oder auf Fassaden. Seine Werke sind in Miami, Istanbul, Perm und Berlin zu sehen. Marion Uhrig-Lammersen sprach mit ihm in Berlin.
Nach einer europaweiten Ausschreibung hatte die Wohnungsbaugesellschaft HoWoGe 2012 Ihnen den Auftrag erteilt, den 500 m² großen Giebel einer Plattenbau-Fassade gegenüber der ehemaligen DDR-Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg zu gestalten. Was interessiert Sie an der Fassadenmalerei?
Fassadenmalerei wird oft nur als eine Art Gestaltung oder Dekoration wahrgenommen. Aber ich widme mich wirklich der Kunst an der Fassade. Sie will Menschen miteinander verknüpfen, Kommunikation in den Bezirk bringen und nicht nur nette Farben auf die Wand. Bei meiner Fassadenkunst gehe ich immer auf den Ort und seine Geschichte ein. So war es auch bei dem Wohngebäude in der Frankfurter Allee, früher Straße der Befreiung, gegenüber der ehemaligen Stasi-Zentrale. 1945 ist die Rote Armee hier in Berlin eingefahren im Kampf gegen Hitler. Das ist übrigens der Grund, warum ich Blau für das Bild gewählt habe. Blau ist die Farbe der Freiheit, die Farbe des Denkens, die Farbe der Sehnsucht und auch die Farbe der Romantik, durchzogen von Rot-Orange-Tönen wie Blutadern, die Kraft, Energie und die Kreativität der Stadt widerspiegeln.
Das Wohngebäude in der Frankfurter Allee in Berlin-Lichtenberg wurde 2012 durch den Fassadenkünstler Christian Awe künstlerisch umgestaltet (Foto: Dombrowski)
Warum lassen Sie die Bewohner an Ihren Projekten mitwirken?
Ich will den Menschen nicht nur etwas vor die Nase setzen. In Berlin integrierte ich sie, indem ich eine offene Werkstatt vor Ort eingerichtet und die Nachbarschaft zum Mitmachen eingeladen habe. Nicht direkt an der Wand – das ging natürlich aus Sicherheitsgründen nicht – sondern ich habe mit ihnen Schablonen gemalt, geschnitten und die besten Schablonen an der Wand integriert. So konnte ich den Leuten nachher sagen – hör zu, deine Schablone hängt 10 m hoch, 3 m nach rechts. Und somit hat das Bild auch unglaubliche Akzeptanz in der Nachbarschaft erreicht. Es war so wunderbar, einer gewissen Skepsis am Anfang gegenüber zu stehen und dann den unglaublichen Stolz der Hausbewohner auf „ihr“ Bild zu erleben. Ich fand es einfach schön, etwas für die Gesellschaft dort zu tun.
Wie reagieren Sie, wenn man Sie als Sprüher oder Kleckser bezeichnet?
Ich reagiere etwas allergisch, wenn man mich als Graffiti-Sprüher oder Streetart-Künstler bezeichnet. Auch wenn es mein Ursprung ist. Ich habe mit 11 Jahren angefangen, auf Berliner Wänden zu malen, illegal – habe aber sehr schnell gemerkt, dass ich mir mehr Zeit wünsche, mich künstlerisch damit auseinanderzusetzen. Deshalb habe ich auch Kunst studiert. Ich sehe mich als Künstler, der vermehrt auf der Straße arbeitet, weil Kunst und Kultur nichts Elitäres sind. Ich versuche, Kunst aus den Galerien heraus zu holen und damit vielleicht eine Hemmschwelle zu brechen. Ich versuche, die Kultur an die Haustür der Menschen zu bringen.
Wie haltbar ist ein Kunstwerk an der Fassade?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Befindet sich die Malerei auf der Sonnenseite, bleicht sie schneller aus. Liegt sie auf der Regenseite oder an einer befahrenen Straße, setzt sich Schmutz ab. Ich schätze, dass meine Fassadenkunst zwischen 10 und 15 Jahre hält. Das liegt auch an einer neu entwickelten Farbe mit bestmöglichen Pigmenten. Ich möchte leuchtende und glänzende Farben haben. Gold und Silbertöne – das gab es bisher nicht.
Christian Awe bei der Gestaltung der Pädagogischen Universität in Perm (Foto: Gushchin)
Muss die Fassade vor dem Farbauftrag verputzt werden?
Das ist pauschal nicht zu beurteilen. Kunst sollte zur Umgebung passen oder gerade nicht. Bei einer ungedämmten Brandmauer kann es schön sein, die Ziegelstruktur zu erhalten und vielleicht temporäre Lösungen zu finden, Beklebungen oder Bemalungen, um vielleicht auch die Narben der Stadt zu zeigen. Kunst kann etwas erhöhen, Kunst kann etwas umgestalten oder neu definieren, charakterisieren. Aber im Idealfall stärkt sie einfach das, was da ist.
Bevorzugen Sie kleine oder große Flächen?
Ich male gerne groß: 2 x 4 m ist ein wunderbares Format für eine Leinwand. Draußen zu arbeiten, ist natürlich etwas anderes. Ich habe angefangen, dort erst zu sprühen, dann wurden die Bilder größer, im letzten Jahr waren es 150 m², ca. 11 x 14 m. In der russischen Stadt Perm habe ich den Preis des Bürgermeisters gewonnen und die Pädagogische Universität bemalt. In Berlin habe ich wirklich meinen Horizont gesprengt mit 495 m², 33 x 15 m. Das erforderte eine sehr konkrete Planung. Man steht so nahe an der Wand, man kann nichts mehr sehen, man verliert das Gefühl für das Größenverhältnis. Man kann nicht nur mit einer Hebebühne arbeiten, sondern braucht tatsächlich ein Gerüst.
Worin lag der Reiz der Fassade in Perm?
In Russland sollte das Wandbild die Studenten dazu bewegen, auf ihre Universität stolz zu sein. Es ist eine Art kreativer Funke. Das Bild heißt „Egnite“ (loslegen, losblitzen, losgehen). Das funktionierte gut, sie sind wirklich stolz darauf, und mittlerweile ist die Wand so etwas wie ein Wahrzeichen der Stadt geworden.
Was wünschen Sie sich als nächstes Projekt?
Mein Fassadenbild in Lichtenberg kam so gut an, dass ich vom Land Berlin den nächsten Auftrag bekommen habe. Derzeit plane ich, das Kulturhaus Karlshorst künstlerisch in Szene zu setzen. Und das zweite Gebäude ist wieder in Lichtenberg. Ein Neubau mit ca. 150 m² Fläche wird diesen Sommer fertig sein. Künstlerische Ambitionen? Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gerne Flugzeuge und Schiffe gestalten.
Sollte es mehr Fassadenmalerei geben?
Ich unterscheide stark zwischen Gestaltung und künstlerischer Bemalung. Ich freue mich über alles, was Farbe ist im Generellen. Mir ist jede Farbe, gestalterische Lösung lieber als keine. Ich würde mir wünschen, dass tatsächlich mehr Bauherrn den Mut haben, Künstler für den Prozess der Fassadengestaltung mit ins Boot zu holen und ihren Visionen gemeinsam Ausdruck zu verleihen.