Historisches Kleinod

Instandsetzung einer Holzbrücke über die Zwickauer Mulde
(in: BAUKULTUR 6_2020, S. 18-19)

Die Röhrenstegbrücke über die Zwickauer Mulde ist weit über 200 Jahre alt und gilt als älteste überdachte Holzbrücke in Sachsen. Nun wurde das Bauwerk saniert. Die Planung hatte das Ingenieurbüro May aus Chemnitz übernommen.

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Das vermutlich auf 1535 zurückgehende Bauwerk existiert in seiner jetzigen Form seit 1790 als überdachte Brücke mit offenen Vorlandbrücken. Zur Zeit seiner Erbauung waren drei doppelte Hängewerke in Reihe angelegt gewesen. Inzwischen basiert nur noch der Mitteltrakt auf einem doppelten Hängewerk. Das doppelte Tragsystem der beiden uferseitigen Hängewerke wurde in einer früheren Umbauphase aufgelöst und durch ein jeweils außenliegendes neues Stützjoch in ein einfaches Hängewerk überführt.

Schadensbild
Bei der Begutachtung der Brücke fanden sich mehrfach Deformationsschäden an überlasteten Knotenpunkten. Dem historischen Tragwerk fehlte es sowohl in Längs- als auch in Querrichtung an aussteifenden Elementen. Zudem hatte die zu hohe Beweglichkeit der einzelnen Tragwerksteile zu teilweise irreversiblen Verformungsschäden geführt. Die Schadensprogressivität war durch eine Vielzahl konstruktiver Unzulänglichkeiten noch verstärkt worden. Falsche Materialwahl, z. B. von nicht ausreichend resistentem Nadelholz, hatte ebenso zur Schädigung der Holzbauteile geführt wie die zu geringe Restquerschnittsfläche stark beanspruchter Bauteile in den Anschlussbereichen.

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Sanierungskonzept: vom Rückbau…
Der Schwerpunkt der Brückensanierung lag daher auf der Sicherung der Unterbauten und der Ertüchtigung der hölzernen Tragwerke. Priorität hatte die Konservierung der erhaltenswerten historischen Bauteile, wobei Lösungen notwendig waren, die eine dauerhafte Ertüchtigung des historischen Tragwerkes nach geltendem Regelwerk ermöglichten. Im Zuge der Sanierung wurden die schadhaften Bauteile und nicht fachgerechten Reparaturen der Vergangenheit daher zunächst konsequent rückgebaut. Die stark geschädigten äußeren Hängewerke wurden demontiert und bis auf ausgewählte ausreichend tragfähige Einzelbauteile erneuert.

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…über die Stabilisierung der Hängewerke...
Zur Verbesserung des konstruktiven Holzschutzes wurde die Überdachung bis auf die Endfelder der anfälligen äußeren Hängewerke verlängert. So genannte Opferbretter schützen künftig alle schlagregenbeanspruchten horizontalen und schwach geneigten Holzbauteile. Die stark der Bewitterung ausgesetzten Neubauteile des Haupttragwerks sind durchgehend in Eiche ausgeführt.
In die äußeren Hängewerke wurden stabilisierende Rahmenstützen integriert. Besonders anspruchsvoll dabei: die hochgradig beanspruchten Anschlusspunkte. So greift die holzkonservierende Gerbsäure der Eiche unedle Metalle an. Handelsübliche Holzverbindungen konnten jedoch mangels verfügbarer Materialien und der hohen Belastung nicht verwendet werden. Mit Hilfe historischer Zimmermannsbücher wurden daher Vorlagen ermittelt, welche eine Adaption historischer Anschlüsse in moderne Verbindungen nach geltendem Regelwerk ermöglichen. Das Hängewerk in Strommitte konnte weitestgehend im Bestand erhalten werden. In den Hauptachsen angeordnete biegesteife Stahlwalzprofile innerhalb der Jochüberdachung stellen die Queraussteifung sicher.

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…und des grundsätzlichen Tragwerks...
Alle Jochstützen mussten aufgrund ihres flächigen Kontaktes mit den Massivbauteilen überarbeitet werden. Aufgrund ihrer aussteifenden Funktion wurden die Jochstützenfüße in spezielle Schweißprofilauflager mit ausreichend konstruktivem Abstand zu den Massivbauteilen gefasst. Die historischen eichernen Holzstempel wurden zum Teil erhalten oder durch tragfähige Teile aus dem Rückbau ersetzt. Bei den historischen Jochträgern hatten Bohrwiderstandsmessungen tiefreichende Schäden aufgezeigt. Diese wurden daher beidseitig mit Schweißprofilen verstärkt, wobei die hohen konzentrierten Lasten und deren Einleitung in die Jochstützen berücksichtigt werden mussten. Zur weiteren Verbesserung der Tragwerksstabilität kamen in der Ebene der Zugbänder, in der Gespärrebene und in allen Querrahmen druckschlaffe Verbände zum Einsatz. Die Dachebenen konnten durch kraftschlüssige Verbindungen der robusten und dichten Lattung ausgesteift werden.

…bis hin zur Dachdeckung
Die historische Schindeldeckung wurde mit Eichenschindeln erneuert. Diese wurden im grünen Zustand manuell gespalten und mit einer Dreifachverlegung montiert. Die so weitgehend sanierte Brücke ist inzwischen wieder für den Verkehr freigegeben. Zwar stehen die Sanierung der Unterbauten sowie die Herstellung des Kolkschutzes noch aus – doch in Bezug auf Tragfähigkeit und Optik ist das historische Kleinod schon jetzt für die nächsten 200 Jahre bereit.

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