Mobile Bürowelten

TU-Darmstadt gewinnt Wettbewerb "mobile working spaces"
(in: BAUKULTUR 3_2011, S. 21-23) 

Wieder einmal hat sich die TU-Darmstadt zum Thema des Nachhaltigen Bauens mit größtmöglicher Energieeinsparung erfolgreich geäußert. Nach dem bereits zweimal gewonnenen internationalen Wettbewerb „Solar Decathlon“ in den Jahren 2007 und 2009 steht dieser Erfolg innerhalb des Wettbewerbs „mobile working spaces“ nun im Kontext der zukünftigen Bürowelten.

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Gewinnerbeitrag "openOffice"
Der Experimentalbau "openOffice“ der TU-Darmstadt ist eines von 5 Teilprojekten des Gesamt-Wettbewerbs "mobile working spaces - Mobile Büroeinheiten für das 21. Jahrhundert“ auf dem Areal des Weltkulturerbes Zeche Zollverein. Anfang 2008 war dieser Beitrag als Sieger aus einem zweistufigen, internationalen Wettbewerb hervorgegangen. Ende September 2010 wurde das energieautarke Gebäude im Rahmen des Zechenfestes der Zeche Zollverein von Architektenstudenten der TU-Darmstadt in Begleitung des Architekturbüros bk2a architektur der Öffentlichkeit präsentiert.

Wie bei den beiden Wettbewerbsbeiträgen innerhalb des Solar Decathlon hat sich auch hier das Institut für das Bauen mit Kunststoffen e.V. (IBK) – die Informations- und Netzwerkplattform für das Thema Kunststoffe im Bauen – mit einzelnen seiner Mitglieder dem Projekt "openOffice" zugewandt und tatkräftig unterstützt. Absolute Neuerungen im Kunststoff-Materialbereich konnten zum ersten mal einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.

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Konzept
Der Aspekt der „mobilen Architektur“ basiert auf einer Reihung von modularen Gebäudekörpern, die in ihrem Standort relativ leicht verändert werden können. Die 167 m2 große Bürofläche mit ihrer Infrastruktur kann entweder von einer einzelnen Büroeinheit komplett oder von zwei separaten Einheiten parallel genutzt werden. Die Raumstruktur kann entsprechend dem Wachstum des jeweiligen Unternehmens anpasst werden.Die planerische Grundidee beschäftigt sich primär mit dem Thema der Bürolandschaft im Kontext heutiger Standards unter der besonderen Berücksichtigung der Energieeffizienz und der Nachhaltigkeit des gesamten Gebäudes. Das Ergebnis ist ein reversibler Büro-Container mit ineinander fließenden Arbeitszonen und einem zentralen Besprechungsraum mit angeschlossener Nasszelle/Teeküche und einem recht vollen Technikraum. Flankiert wird das Gebäude von großen, klappbaren Glasfassaden und einem direkten Zugang zu den angeschlossenen Terrassen-Decks im Außenbereich.
Um die große Raumtiefe der Arbeitsbereiche gut zu belichten, besteht die gesamte Dachfläche des zentralen Besprechungsraums aus einem außergewöhnliches Oberlicht mit einer hochdämmenden PLEXIGLAS® Eindeckung.

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Realisierung
Das Projekt openOffice wurde mit großer Unterstützung aus der Material- und Bauindustrie realisiert. Die eigentliche Besonderheit des Gebäudes bezogen auf die Planvorgabe der nachhaltigen Architektur lag bei der hohen Innovationsrate der jeweiligen Bauprodukte. Die teilweise absolut neuen Produkte sind bei diesem Projekt zum ersten mal einer Öffentlichkeit präsentiert worden und beweisen über den Einbau und der nachgeschalteten Nutzung ihre Alltagstauglichkeit in einer energieoptimierten Zukunft der Architektur. 

Modulbauweise
Die Kubatur des Gebäudes basiert auf einem innovativen Modulbausystem. Mit den vorfabrizierten Stahlrahmen wurden in einer Bauzeit von nur 12 Stunden 540m3 Raum generiert. Sämtliche Komponenten wurden auf einem einzigen Tieflader antransportiert und mittels eines Krans montiert und auf vorpositionierten, leicht entfernbaren Punktfundamenten abgesetzt. Der Ausbau der Rahmenstruktur erfolgte in Holzrahmen-Bauweise.

Gebäudehülle
In der gesamten Hüllfläche des openOffice wurden zahlreiche Experimente im Maßstab 1:1 durchgeführt. Die Hohlräume der Holz-Ständerwände wurden mit rezyklierter Zellulose als Dämmstoff befüllt und mit einer klimaaktiven Membran vom Innenraum abgegrenzt. An den Stirnseiten des Gebäudes kam eine hocheffiziente Vakuumdämmung zum Einsatz, die bei einer Dämmstärke von 50 mm einen vollfunktionierenden Vollwärmeschutz im Bereich der Stahlrahmen schafft.

Für die geschlossenen Hüllflächen (Dach + Fassade) wurden linear zu verarbeitende Dachbahn-Werkstoffe gewählt, die den modularen Charakter des Gebäudes betonen. Drei unterschiedliche Systemaufbauten wurden hierfür spiegelsymmetrisch verbaut:

  1. Bitumendachbahn mit chemisch aktiver Beflockung zur Absorption und Neutralisation von CO2 aus der Luft
  2. Foliendach-System mit Belegung von flexiblen, polykristallinen Photovoltaik-Dachbahn (45m2 PV-Fläche). Die generierte elektrische Energie wurde im Zusammenhang des Heizsystems genutzt.
  3. Reflektierende aluminiumkaschierte Bitumen-Dachbahn zur Reduktion des Wärmeeintrags in Hitzephasen während der Sommermonate

Das zentrale transluzente Oberlicht wird durch eine großflächige hochdämmende und extrem leichte spezielle PLEXIGLAS® Eindeckung belichtet. Die Eindeckung sitzt in einem geometrisch komplex geformten Oberlicht und erzeugt ein angenehmes, schattenfreies Tageslicht im Zentrum des Gebäudes. Aufgrund der Kombination U-Wert bei gleichzeitiger Reduktion von Gewicht und Materialstärke konnte das selbsttragende Rahmensystem des Oberlichts sehr filigran ausgeführt werden.

Gebäudetechnologie
Bei der Planung des energieautarken openOffice wurden zunächst alle natürlichen Aspekte berücksichtigt, die einen maximal energieoptimierten Lebenszyklus unterstützen. Die günstige Ausrichtung der transparenten Fassaden generiert solare Gewinne für die Wintermonate und eine gute Querlüftung gegen eine Überhitzung in den Sommermonaten. Darüber hinaus ist das mobile Bürogebäude mit einer hochwertigen Gebäudetechnik ausgestattet, die zahlreiche Experimente unterstützt.

Als Heizsystem sind in den Wandflächen Lehmbauplatten montiert, die mit Karbon-Fasern und einem Latentwärmespeicher (Phase-Change-Material, PCM) durchsetzt sind. Die Karbon-Fasern können unter Spannung gesetzt werden und erzeugen Wärme, die zum einen Teil direkt abgestrahlt wird und zum anderen Teil durch das PCM absorbiert wird. Dieser weltweit erste, prototypische Einsatz strebt eine Einspeisung des photovoltaischen Stroms in das PCM an und generiert damit eine phasenverschobene Heizmöglichkeit durch Sonnenstrom auch in den Nachtstunden. Dadurch wird eine autarke Energieversorgung angestrebt.

Um dieses besondere Experiment zu ermöglichen, ist ein EIB-Bussystem etabliert worden, das eine integral gesteuerte Haustechnik ermöglicht. Im zentralen Modul befindet sich die Technik-Einheit mit allen Hausanschlüssen, Serverschrank, Konvertern und Transformatoren. Eine über Touchscreen gesteuerte Bedieneinheit visualisiert die Steuerungsoptionen für den Nutzer.

Um den offenen Charakter des Gebäudes zu erhalten, wird die gesamte Elektroinstallation über den Boden geführt und ist über Bodentanks nutzbar.

Um die energetische Performance des Gebäudes zu verbessern, ist ein kontrolliertes Raumluftsystem montiert worden, das die großen Büroflächen mittels Weitwurfdüsen mit Frischluft versorgt und in den Kernbereichen die verbrauchte Luft ansaugt und einer Wärmerückgewinnung zuführt.

Die Warmwasserversorgung des Gebäudes erfolgt durch einen Solar-Röhrenkollektor, der ein zirkulierendes Umlaufsystem über einzelne Bereiche der Gebäudehülle bildet.

Team

Die Realisierung des Projekts erfolgte durch ein Team von 13 Studierenden der TU-Darmstadt, geleitet durch das Fachgebiet Entwerfen und Industrielle Methoden der Hochbaukonstruktion, Prof. M. Hauschild / Prof. Rüdiger Karzel, in enger Zusammenarbeit mit den industriellen Unterstützern, deren Ingenieuren, Facharbeitern, Handwerkern und dem Architekturbüro bk2a architektur.

Die beteiligten Studierenden hatten die Gelegenheit, alle Aspekte eines zukünftigen realen Bauvorhabens zu durchlaufen - von der Planungsphase über die Kooperation mit der Bauindustrie bis hin zur Ausführungsplanung und Realisation. Dies exemplarisch in der Lehre zu übertragen, dafür steht das openOffice. Den Aspekt der Nachhaltigkeit auch in der Ausbildung birgt es gleich mit sich.

Fazit
Das Thema Nachhaltigkeit in der Architektur entwickelt sich immer mehr zur zentralen Fragestellung im Kontext eines zukunftsfähigen Bauens. Die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft – veranlassen u.a. die Architekten, schon innerhalb der Entstehung eines Gebäudes über den kompletten Lebenszyklus und damit eventuell auch über die Verwertung in mehreren Jahrzehnten nachzudenken. Dieser Aspekt ist für das Bauen relativ neu und beeinflusst in Zukunft immer mehr die Entwurfs- und auf jeden Fall die Realisierungsphase von Gebäuden. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass die Industrie mit ihren Bauprodukten sich diesen Überlegungen stellt – was bereits sehr intensiv geschieht, wie es diesjährige BAU 2011 in München mit ihren Leitthemen gezeigt hat. Genau in diesem Zusammenhang können vor allem die Kunststoffe den Aspekt der Nachhaltigkeit von Gebäuden positiv beeinflussen. Die notwendigen Konzepte für ein Bauen mit Kunststoffen im Kontext der sich weiter verschärfenden Gesetzgebung im Hinblick auf den Energieverbrauch von Gebäuden bei gleichzeitiger Verknappung von nicht-regenerativer Rohstoffen gehören zu den Hauptthemen des IBK. Als Informations- und Netzwerkplattform arbeitet das IBK sehr intensiv mit seinen Mitgliedern an entsprechenden Aufgaben. Das openOffice – Büro / Labor / Werkstatt – entstand im Rahmen der Ausstellungsreihe "Ruhr2010 - Kulturhauptstadt Essen/Ruhrgebiet" und steht für den Zeitraum von 2-10 Jahren seinen Besuchern offen und ist somit leider eine Interimslösung, aber erfahrungsgemäß - hält nichts länger als eine Interimslösung. 

Weitere Informationen:
www.mobileopenoffice.de

www.ibk-darmstadt.de

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