Editorial Ausgabe 4-2011

Susanne Kuballa, Chefredakteurin der Zeitschrift BAUKULTUR
(in: BAUKULTUR 4_2011, S. 3)


Liebe Leserinnen und Leser,

als im März 2011 ein Tsunami den Nordosten Japans verwüstete und in der Folge große Mengen Radioaktivität aus dem Atomkraftwerk in Fukushima freigesetzt wurden, brachte dies in Deutschland eine Debatte über Kernenergie in Gang, die die Energiepolitik schon in naher Zukunft grundlegend verändern wird.

Die Fragen zur Sicherheit der Atomenergie sind konkreter geworden. Halten die Schutzhüllen einem Flugzeugabsturz stand? Sind die Abklingbecken erdbebensicher? Sicher ist bereits, dass statt der im Herbst 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke nun ein beschleunigter Ausstieg geplant wird. Dabei entsteht eine Lücke in der Energieproduktion, die langfristig – innerhalb der nächsten beiden Jahrzehnte – durch den stetigen Ausbau erneuerbarer Energieformen geschlossen werden kann. Bis dahin wäre die verstärkte Nutzung fossiler Energieträger möglich, würde aber nach heutiger Technik hohe zusätzliche CO2-Emissionen verursachen und damit den Treibhauseffekt verstärken. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine rasche Absenkung des Energieverbrauchs an Bedeutung. Durch Steigerung der Energieeffizienz kann der Energieverbrauch gedrosselt werden, ohne Lebensqualität einbüßen zu müssen.
Etwa ein Drittel der Primärenergie wird in Deutschland von Privathaushalten verbraucht, davon der Löwenanteil – ca. 75 % – für die Erzeugung von Raumwärme.  Während der heutige Gebäudebestand in der Bundesrepublik noch einen spezifischen Heizenergiebedarf von 150 kWh/m² aufweist, kann dieser – je nach zugrundegelegtem Szenario - bis 2030 um ein Drittel oder sogar um die Hälfte abgesenkt werden.1

Was hat nun die Energiedebatte mit der vorliegenden Ausgabe, der glasBAUKULTUR, zu tun?

Als die Bundesregierung infolge der Erdölkrise 1974 im Jahr 1977 die erste Wärmeschutzverordnung erließ, regelte sie damit erstmals auch den Heizenergieverbrauch bei Neubauten und Sanierungen. Der Wärmedurchgangskoeffizient Ug von 2-fach-Isolierglas lag seinerzeit noch bei 3,0 W/m²K. Durch die per Gesetz notwendig gewordene Weiterentwicklung dieser Gläser konnte der Ug-Wert auf 1,5 W/m²K gesenkt werden. Dabei spielten die Edelgasbefüllung sowie die Beschichtung der Glasscheiben mit Low-e-Schichtsystemen eine entscheidende Rolle. Letztere sind so ausgelegt, dass sie die Emission von langwelliger Wärmestrahlung der innenseitigen warmen Scheibe unterdrücken, die kurzwelligere solare Wärmestrahlung jedoch durchlassen. Als Maß für die solare Energietransmission wurde der g-Wert eingeführt. Heutige 3-fach-Isoliergläser erreichen Ug-Werte von 0,7 W/m²K und g-Werte von etwa 60%, wobei die Scheibenhersteller Beschichtungen für unterschiedliche Anwendungen anbieten. Für Architekten eröffnet sich damit die Chance, mittels der Auswahl an Gläsern ein gezieltes Wärmemanagement durchzuführen.

Mit der 2012 anstehenden Novellierung der aktuell gültigen Energieeinsparverordnung (EnEV 2009) werden die Höchstwerte des zulässigen Primärenergiebedarfs von Gebäuden erneut gesenkt werden, auch werden die Anforderungen an die Wärmedämmung der Gebäudehülle steigen. Vor diesem Hintergrund werden im Bereich hocheffizienter Gläser weitere Neuerungen unumgänglich sein. An Bedeutung gewinnen werden sicherlich Zusatzfunktionen, wie Oberflächenbeschichtungen, mit denen Sonnenenergie photovoltaisch umgewandelt werden kann. Zur Reduzierung des Kühlbedarfs können Lichtlenkungssysteme im Scheibenzwischenraum von Isoliergläsern beitragen. Lichtlenkelemente können flach einfallendes Licht im Winter transmittieren und hoch stehendes Sonnenlicht im Sommer reflektieren. Auch gibt es mittlerweile elektrochrome, phototrope oder thermotrope Gläser, die ihre Lichtdurchlässigkeit mit dem angelegten elektrischen Potenzial, dem Lichteinfall bzw. der Temperatur verändern. Je nach Einstellung reduziert sich dabei der Einfall des Sonnenlichts um über 80%.

Im Vergleich zu anderen anorganischen Baustoffen zeichnen sich Gläser durch eine sehr niedrige Wärmeleitzahl von ca. 1 W/mK aus. Durch gezielte Einbringung von Poren kann die Wärmeleitzahl wesentlich gesenkt werden. Dadurch entstehen Schaumgläser, Glasfaserprodukte oder Mikroglaskugeln. Diese können in unterschiedlichsten Modifikationen als Platten, Granulat, Stopfwolle bzw. als Zuschlagstoffe für Wärmedämmanwendungen eingesetzt werden. Glasprodukte können damit auch einen Beitrag leisten, den Wärmedurchgangswert der opaken Gebäudehülle weiter abzusenken.

Allein durch den Ersatz der heute im Baubestand noch vorhandenen Einfachfenster und unbeschichteten 2-fach-Isolierglasfenster durch Fenster, die der EnEV 2009 entsprechen, ergibt sich ein Einsparpotenzial, das bei 266 PetaJoule pro Jahr liegt2, was einer durchschnittlichen Einsparleistung von 8,4 GW entspricht. Im Vergleich hierzu werden die mit dem Moratorium der Bundesregierung stillgelegten 7 Kernkraftwerke 5,8 GW weniger Primärenergie erzeugen. Dies zeigt, dass es sich lohnt, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass die Quote energetischer Sanierungen deutlich angehoben wird.

Ich wünsche Ihnen eine informative Lektüre! 

Ihre Susanne Kuballa

Anmerkungen:
1 Energieszenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung, Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Berlin, 2010.
2
Mehr Energie sparen mit neuen Fenstern, Studie des Bundesverbands Flachglas e.V., Troisdorf, 2010.

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