Großer DAI Preis für Baukultur 2014: Laudatio von Dr. Wolfgang Bachmann

Der Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine (DAI) hat den Aachener Architekten Gerhard Wittfeld mit dem Großen DAI Preis für Baukultur ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand im Rahmen des DAI Tages 2014 in Augsburg statt. Die Laudatio hielt Dr. Wolfgang Bachmann:

Lieber Gerhard Wittfeld samt deinen (abwesenden) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, meine Damen und Herren!

Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal Gerhard Wittfeld getroffen und dann auch sein Büro kadawittfeldarchitektur kennen gelernt habe, wusste ich, meine Entscheidung, kein Architekt zu werden, war richtig. Ich wäre in dem Beruf gescheitert, auf jeden Fall rotzunglücklich geworden. Es gibt viele Arten, wie man Architekt sein und diese Herausforderung ausfüllen kann. Ich will Ihnen erzählen, wie ich von außen Gerhard Wittfelds Arbeit sehe. Was sein Büro gebaut hat, soll dabei nicht im Mittelpunkt stehen. Ich werde ihnen von den unsichtbaren Seiten des Architektenberufs berichten, wovon wir geistreichelnden Schreiber eigentlich gar keine Ahnung haben.

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DAI Tag 2014 in Augsburg: Laudator Dr. Wolfgang Bachmann

Und da eine Laudatio – allein schon die lateinische Bezeichnung! – nicht hemdsärmelig sein darf, beginne ich mit Vitruv, der als erster die berufliche und gesellschaftliche Position des Architekten beschrieben hat. Nach ihm soll der Architekt „sowohl talentvoll sein, als gelehrig für die Wissenschaft, denn weder Talent ohne Wissenschaft, noch Wissenschaft ohne Talent kann einen vollendeten Künstler schaffen; auch soll er stilistisch gebildet sein, kundig des Zeichnens, geschult in der Geometrie, in der Optik nicht unwissend und in der Arithmetik unterrichtet, er soll mehrfache geschichtliche Kenntnisse besitzen, die Philosophen fleißig gehört haben, sich auf Tonkunst verstehen, der Heilkunst nicht unkundig sein, mit den Entscheidungen der Rechtsgelehrten vertraut [...], die Sternkunde und die Gesetze des Himmels kennen gelernt haben". Das klingt nicht so nach Regelstudienzeit.

Deshalb muss man als Architekt zeitlebens nicht nur dazulernen – und sich zum Beispiel Grundkenntnisse in der Psychologie für den Umgang mit Behörden aneignen –, sondern sich auch ständig mit Veränderungen abfinden. Als Journalist verfolge ich in erster Linie die Ergebnisse, also die fertigen Häuser. Dabei stelle ich zunehmend fest, dass mir der Prozess, wie man plant und baut, immer undurchsichtiger und rätselhafter wird. Und das hängt nicht nur damit zusammen, dass ich vor 35 Jahren noch mit eingetrockneten Rapidographen gekämpft habe und nicht mit der mangelnden Kompatibilität parametrischer Gebäudemodelle. Der gravierende Wandel ist anderer Natur. Wenn ich Architekten meiner Generation begegne, also sagen wir, die so zwischen 50 und 70 Jahre alt sind, wird mir in nicht enden wollenden Monologen erläutert, dass es heute nur unter gewaltigen, fast nicht mehr zumutbaren Anstrengungen möglich sei, halbwegs passable Gebäude zu realisieren. Es mag sein, dass Journalisten besonders dankbare Opfer für solche Klagen sind, damit wir Honorarcholeriker einmal merken, dass wir von der Praxis keine Ahnung haben.

Ich will Ihnen ein paar notierte Aussagen vortragen, Namen lasse ich weg. Es heißt: In den letzten dreißig Jahren ist die Architektur auf den Hund gekommen. „Architektur als lebendiger kultureller Ausdruck fristet in der Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Politik ein Nischendasein." Es gibt bei großen Aufträgen, auf die ein Architekturbüro angewiesen ist, keine Bauherren mehr. Gremien oder Projektsteuerer haben ihre Funktion übernommen. Die Gesprächspartner von Architekten sind Juristen. Im Bauprozess will kein öffentlicher Auftraggeber mehr Verantwortung übernehmen. Dort gibt es für alles einen Fachplaner oder Gutachter, weil die kompetenten Mitarbeiter eingespart werden. Bauleistungen müssen in einem viel zu frühen Planungsstadium beschrieben und kalkuliert werden, um auszuloten, wie weit der Architekt bereit ist, Qualität zu reduzieren. Oder es werden an Bauunternehmen Komplettaufträge vergeben, ohne dass ein fertiger Entwurf vorliegt. Auftraggeber ändern überfallartig nach der Genehmigung in der Ausführungsphase ihre Flächenanforderungen. Im Dickicht des totalen Projektmanagements zwischen Generalplanern und Generalunternehmern erhalten Architekten die Rolle von Befehlsempfängern, die auf die detaillierte Ausführung keinen Einfluss haben. Andererseits benachteiligen europaweite Ausschreibungen kleine Handwerksbetriebe, die nicht mal in der Lage sind die erforderlichen Formulare auszufüllen. VOF-Verfahren lösen offene Planungswettbewerbe ab, hier entscheidet die Sympathie des Vortragenden, nicht die Qualität seiner Arbeit. Wettbewerbe nach RPW sind dagegen überfrachtet, es werden zu viele Leistungen verlangt. Deshalb übernehmen externe Büros Renderings und Modellbau. Entwerfen wird damit vom Marketing abgelöst, kleine Büros können sich diese Ausgaben nicht leisten.

Diese Klageliste ließe sich fortsetzen, von schwierigen Auftraggebern, uneinsichtigen Behörden, hinderlichen Bebauungsplänen und Gestaltsatzungen oder kleingerechneten Budgets war noch gar nicht die Rede. Ein sehr bekannter Architekt und Hochschullehrer gestand mir einmal: Höchstens 20 Prozent meiner Tätigkeit haben mit Entwerfen zu tun, ich mache 15-Minuten-Skizzen zwischen Tür und Angel, der Rest ist Management. Wenn wir vier Gebäude planen, müssen wir zwei verschweigen, weil sie unserem Anspruch nicht genügen.

Keine Sorge, Sie sind in der richtigen Veranstaltung. Es wird noch eine Laudatio.

Zu meiner Urlaubslektüre gehörte ein Buch von Hans Paul Bahrdt, dem vor 20 Jahren verstorbenen Soziologen, der sich in einigen seiner Arbeiten mit Städtebau beschäftigt hat und deshalb auch Architekten kein Unbekannter ist. Bei ihm habe ich einen satirischen Text gefunden, Überlegungen zu einer Evolutionstheorie. Bahrdt hat sich darin die biblische Schöpfungsgeschichte vorgenommen und die Hypothese aufgestellt (aber dann verworfen), dass es sich bei der Erschaffung des Menschen um ein Mängelwesen handele, weil Gott bei seiner Schöpfungsarbeit das „Arsenal an Eigenschaften und technischen Lösungen schon so weit aufgebraucht hatte". Und Bahrdt führt für seine Theorie eine ganze Reihe von Beispielen an: „Natürlich können wir [Menschen] bei Nacht nicht so gut sehen wie eine Katze; auch eignet sich unsere Nase im Unterschied zu der des Hundes nicht dazu, Personen zu unterscheiden oder den Heimweg zu finden, wenn wir uns verlaufen haben. Selbstverständlich können wir nicht so gut klettern wie die Affen, immerhin doch so gut, um vor einem großen Hund auf einen Baum flüchten zu können. Mit anderen Worten: Der große Hund kann zwar schneller laufen als wir, aber dafür kann er gar nicht klettern. Wir hingegen können auf ebener Erde besser laufen als Affen." So geht noch weiter, ich kürze ab. Bahrdt folgert aus dieser Beobachtung, dass Gott mit der dem Menschen verpassten Vielseitigkeit, die zu Problemen und Einschränkungen führt, besonders ehrgeizige Pläne verfolgt hat. Der Mensch sollte gewissermaßen die Summe all dessen sein, was Gott sich zuvor erdacht hatte, aber es ließ sich offenbar nicht vermeiden, Abstimmungsprobleme und Zielkonflikte in Kauf zu nehmen. Das heißt, seine intellektuellen Geschöpfe werden sich während ihres gesamten Erdenlebens entscheiden müssen – und das ist es, was sie auszeichnet, sie dürfen sich entscheiden –, ob etwas schön aussieht, aber gefährlich ist, ob es als gesund gilt, aber schlecht schmeckt, ob es Bequemlichkeit verheißt, aber Verschwendung bedeutet, ob es unterhaltsam ist, aber auf Dauer verblödet, ob es schmückt, aber nicht stabil ist, ob es den Regen abweist, aber zu Schwitzwasserschäden führt, ob es erholsam ist, aber weite Wege erfordert, ob es Energie spart, aber Sondermüll produziert.

Sie merken, ich leite Sie allmählich zur Domäne des Architekten. Denn auch er ist eine „Vielzweckkonstruktion" und deshalb ein Mängelwesen. (Ob der Architekt deshalb auch die besondere Aufmerksamkeit Gottes genießt, lassen wir einmal dahingestellt.)

Also der Architekt. Er kann nicht so gut darstellen wie sein Verwandter, der Bildende Künstler, und wenn er das Zeichnen mit dem Computer beherrscht, ist er doch immer wieder mit seinem Talent am Ende und ruft nach einem Absturz den Softwaretechniker (oder seinen zwölfjährigen Sohn). Er weiß qualitativ, wie er Lasten vom Dach in die Fundamente führen kann, aber der Tragwerksplaner berechnet ihm erst die kürzesten Wege oder schlanksten Konstruktionen. Er möchte ein energieautarkes Haus bauen, aber es muss ihm ein Fachplaner im Einzelfall die sinnvolle Balance zwischen nicht fossiler Energiegewinnung, -speicherung und Dämmung entwickeln. Auch diese Litanei ließe sich endlos weiterführen, wir denken an soziale, wirtschaftliche, physikalische, städtebauliche, denkmalpflegerische Belange. Hans Paul Bahrdt schrieb über das Menschenwesen, es sollte in der Lage sein, die „nicht gelösten Probleme der Koordination und Hierarchisierung der Teilsysteme jeweils von Fall zu Fall" zu lösen. In der Sprache der Architekten hieß das 1982 bei Meinhard v. Gerkan: „Angesichts des Expertentums, das immer nur Teilaspekte planerischer Probleme im Auge hat, ist eine ganzheitsbezogene Integrationsleistung unerlässlich, um unsere Umwelt angemessen zu ordnen und zu gestalten." Im Gegensatz zu anderen – wissenschaftlichen – Berufen kann der Architekt die Folgen seiner Entscheidungen aber nicht erkenntnismäßig absichern. Er entscheidet subjektiv, indem er intuitiv „Probleme auf das Wesentliche reduziert", wie es Lucius Burkhardt formuliert hat. Er ist kein Baumeister mehr im Sinne Vitruvs, sondern der Generalist, der „die baufachlich spezialisierten Teilkomponenten zur Synthese" bringt.

Und hier schlagen wir endlich den Bogen zu KadaWittfeld. Ich habe mit meinem peripheren Verständnis des Berufs zu zeigen versucht – und wenn ich damit gescheitert bin, ist der Beweis um so besser gelungen –, dass dieser Beruf etwas anderes bedeutet als sich schöne Häuser auszudenken. Der Architekt, der eigenverantwortlich ein Büro leitet, muss sich ein Geschäftsmodell überlegen, zu dem mehr gehört, als er während seiner Ausbildung an der Hochschule gelernt hat. Das Studium war zu allen Zeiten interessant und gab Gelegenheit zu Abschweifungen und Neuorientierungen. (Als ich studiert habe, waren es „die soziökonomischen Planungsgrundlagen unter den fremdbestimmten Produktionsbedingungen im Spätkapitalismus, in der das Bauen als Konkretion der Verelendung des bürgerlichen Staates" galt. Diese Diktion musste man auch erst einmal beherrschen.) Max Bächer hat gerne darauf hingewiesen, was man mit einem passablen Architekturstudium, das eine der vielseitigsten und fesselndsten Beschäftigungen sei, alles anfangen kann. Wir wollen nachsehen, was Gerhard Wittfeld daraus gemacht hat.

Und besuchen ihn in seinem Büro, Theaterstraße 19 in Aachen. (Nebenbei: Das etwas aus der Flucht zurückgesetzte Gebäude aus den frühen 1970er Jahren, damals von HPP für die Direktion der AachenMünchener Versicherung errichtet, wurde uns während des Studiums immer als schlechtes Beispiel des Städtebaus vorgestellt.) Der Zugang vorbei am Glaskasten eines Pförtners hat etwas Seriöses, man kommt sich ohne Anzug und Aktentasche etwas schäbig vor. Aber dann drängen ein paar junge Leute in Sweatshirt und Sneakers (wie Turnschuhe heute heißen) mit uns in den Aufzug. Es wird also schon nicht so piefig zugehen. Was einen dann erwartet, haben Ilka und Andreas Ruby bereits in einer Monografie über das Büro aufgeschrieben, und ich habe es einfach abgeschrieben. „Als wir den Aufzug auf der 8. Etage [...] verlassen, glauben wir für einen Moment, den falschen Knopf gedrückt zu haben. Stand da irgendwo Skylounge? Große Fenster eröffnen einen atemberaubenden Blick über die Dächer der Stadt und erfüllen den Raum hell mit Licht, das von einem ultraschicken schwarzen Epoxy-Fußboden noch reflektiert wird. Ein paar gut aussehende Menschen unterhalten sich, lässig an eine freistehende Kuchentheke gelehnt, blättern in Zeitschriften und rekeln sich auf Loungesesseln. Die Stimmung ist ausgelassen und die Luft schwanger mit dem Duft des Cappuccinos, der auf einer scheinbar unermüdlich tätigen Kaffeemaschine präpariert wird. Keine Sekretärin, keine Eiermänner, kein falscher Computer – das kann kein Architekturbüro sein. Erst als wir uns schon wieder zum Gehen wenden, fällt unser Blick in die Tiefe des Raums, der die gesamte Geschossfläche des Hochhauses ausfüllt. Wir sind doch in dem Architekturbüro, zu dem wir wollten. Doch die Tatsache, dass das Entree des Büros als offener Kommunikationsraum gestaltet ist und nicht wie üblich durch einen freundlich-reservierten Empfangstresen verbarrikadiert wird, sagt viel über Mindset und Werte des Büros aus. Sie vermittelt wie eine dreidimensionale Visitenkarte eine der wesentlichen Ambitionen der Architekten, die in jedem Projekt versuchen, über das geforderte Raumprogramm hinaus einen öffentlichen oder zumindest gemeinschaftlichen Mehrwertraum zu erzeugen, der Austausch und Begegnung ermöglicht. Auch in den weiter hinten gelagerten Arbeitsbereichen des Büros ist die Atmosphäre von lebendigem Austausch geprägt. Die längs durch den ganzen Raum führende lnnenwand ist gefüllt mit Zeichnungen, Modellen und Materialprototypen aller gegenwärtig bearbeiteten Projekte, so dass sich alle Mitarbeiter eine Vorstellung der aktuellen Arbeit des Büros machen können, auch jenseits der spezifischen Projekte, an denen jeder einzelne arbeitet. Und die Leute scheinen gern zu arbeiten..."

Soweit der Besuchsbericht der Kollegen, er liegt fünf, sechs Jahre zurück, es hat sich aber nichts geändert. Man trifft immer noch auf gut aussehende junge Menschen beim duftenden Cappuccino. Wir dürfen ein paar Schritte weitergehen. Raumhohe Glasscheiben schneiden eine Fläche für den Chef aus. Hier arbeitet Gerhard Wittfeld. Es gibt einen Schreibtisch, voll mit Akten, Ordnern, Korrespondenz, neben dem Rechner lag vielleicht doch eine Skizzierrolle, wir sind uns nicht sicher. Vor dem Arbeitsplatz steht ein Besprechungstisch in gleicher Größe. Stühle von Eames, das Sideboard von USM Haller. Man hat nicht den Eindruck, als hätte man dafür sparen müssen oder wollte Bauherren beeindrucken. Es wirkt eher wie die nicht verhandelbare Grundausstattung eines Architekturbüros. Wittfeld in legerer dunkelblauer Kluft, die Ärmel umgekrempelt, eine sportliche Carrera-Uhr rutscht vom Handgelenk und zeigt darunter den erreichten Bräunungskontrast der Saison. Es gibt Fotos von ihm mit nach vorne gekämmten Haaren, da schaut er aus wie der junge Mick Jagger – worum ihn Wolf Prix sicher maßlos beneidet. Im Hintergrund an der Ablage lehnen zwei Krücken, Alu, schwarze Griffe. Doch vermutet man keinen Arbeitsunfall, also dass der Architekt vielleicht vom Baugerüst gefallen sein könnte. Eher denkt man an eine dieser neuen Sportarten: Canyon Rafting, Kitesurfing, Shark Riding... Aber der Mann ist völlig gesund, sprüht vor Energie, redet diesmal noch ein wenig schneller, und als Gegenüber macht man den Fehler, mithalten zu wollen. Wittfeld strahlt Begeisterung aus, Unternehmungslust, keine Hektik. Nervenbündel wird im Deutschen negativ konnotiert, warum darf das kein positives Attribut sein? Also, der DAI-Preis.

Den hat sich das Büro verdient, relativiert Wittfeld. Der gebührt uns allen, es gibt halt einen, der den Kopf dafür hinhalten muss. Er betrachtet sich eben nicht als genialen Entwerfer, der eine Horde von Handlangern um sich schart. „Es gibt hier ganz viele Köpfe", sagt er. Immerhin hat er sie ausgesucht. Wenn man ihn auf sein Rolle anspricht, an all das erinnert, was ich gerade einleitend ausgebreitet habe, antwortet er: Das ist ein Typfrage. Natürlich hat auch er mit den zeitraubenden Bedingungen des Projektmanagements zu tun. Aber man nimmt es ihm ab, dass er über Sachfragen verhandeln kann und Fehler zugibt. Das haben wir falsch gemacht, damals jedoch nach bestem Wissen so entschieden, scheint ihm leicht über die Lippen zu gehen. Es belastet ihn offenbar nicht, er sieht auch eine Auseinandersetzung als notwendigen Beitrag für ein gutes Ergebnis. Wenn er in einem Disput scheitert, muss das Büro vielleicht eine neue Fassade entwickeln, aber meistens gelingt es, den Bauherrn zu überzeugen. Wenn das aussichtslos ist, wird man auch von einem Auftrag zurücktreten. Das ist manchmal nicht einfach.

Aber warum kann Wittfeld das? Will ein Architekt nicht lieber seine Zeit dem Entwerfen widmen und hoffen, dass sich das Verkaufen der Idee abkürzt, dass der Bauherr alles akzeptiert oder ihn höchstens zu noch aufregenderen Ideen inspiriert, anstatt sich abzusichern, einzusparen, Gewährleistungen zu fordern? Wittfeld ist wirtschaftliches Denken nicht fremd. Sein Vater führte einen mittelständischen Handwerksbetrieb, und schon mit 16 Jahren hat ihn der Sohn vertreten. „Betriebswirtschaftlich fühle ich mich sehr sicher", sagt er heute. Alles andere hat er sich angeeignet, als Student bei bekannten Düsseldorfer Architekten gearbeitet und gemerkt, wo der Laden läuft und wo nicht. Eine Erfahrung machte er dann im Büro von Klaus Kada. Den umgab der Nimbus eines Künstlerarchitekten, aber er hatte einen Büroleiter, der allen Abläufen eine Struktur geben und Leistungsphasen überblicken konnte. Diese Arbeitsteilung ist heute bei vielen Partner-Büros der Fall. Salopp gesagt, einer kann zeichnen, einer rechnen, einer reden. Wittfeld hält es für einen Riesenfehler, dass dabei die betriebswirtschaftliche Seite immer als das Lästige betrachtet wird, das niemand richtig beherrscht, weil man darin keinen schöpferischen Spielraum erkennt.

Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist das Vertragswesen. Ein Vertrag ist die Grundlage eines guten Projekts. Ein Jurist hält sich bei kwa zwar unauffällig im Hintergrund, aber er geht nicht mit zu Verhandlungen. Nach Abschluss eines Projekts wird analysiert, was nicht gut gelaufen ist, wo man säumig oder zu nachgiebig war. Zunächst ist bei einer Planung aber alles offen, da lässt man sich auf Konzeptänderungen mit dem Bauherrn ein. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird festgelegt, wie viele Varianten oder Arbeitsmodelle noch verfolgt werden. Ein zweiter Partner ist für das Nachtragsmanagement zuständig. Also dafür, was außerhalb der Leistungsphasen geliefert wird. Zum Beispiel eine Parallelplanung mit einer anderen Lüftungsanlage. Solche Umwege tun kwa nicht als etwas Böses ab, sondern bedienen den Kunden, nur nicht als Gratiszugabe. Der dritte Partner kümmert sich um die Wettbewerbsorganisation. Auch hier macht sich Wittfelds beinharter Realitätssinn bemerkbar. Eine Einladung zu einer risikoreichen Ideeneinsammlung lehnt er ab. Es muss explizit in der Ausschreibung stehen, dass der erste Preisträger (oder wenigsten einer der ersten drei) beauftragt wird. Sonst machen kwa gar nicht erst mit. Oder schaffen es, dass die Ausschreibung geändert wird. Warum, konkretisiert Wittfeld, sollen wir die beste Fassade der Welt entwerfen, die dann schäbig von der Planungsabteilung des Investors detailliert wird? Das sei er auch seinen Mitarbeitern schuldig, die investierten Zeit und Energie – und dann muss es auch eine Chance geben, dass man mit dieser Leistung Geld verdient.

Und das alles gehört zur Architektur? „Auf jeden Fall!" bekräftigt Gerhard Wittfeld. [Ich erinnere wieder an Bahrdts Begriff der Vielzweckkonstruktion.] Was vermisst er? Am liebsten würde Wittfeld in der Modellbauwerkstatt arbeiten, aber dafür bleibt keine Zeit, manchmal spielt er am Sonntag mit Klötzchen herum. Er skizziert, auch im Maßstab 1:1 (also war das doch eine Papierrolle, was da auf dem Schreibtisch lag). Ein iPad eignet sich heute besser. CAD hat er mal gelernt, aber bei der Projektbearbeitung wäre er damit viel zu langsam (wir sagten es schon: Der Architekt ist ein Mängelwesen). Auch Baustellen mag er, da kennt er sich aus. Aber dafür fehlt die Zeit. Deshalb fahren die Partner zwei-, dreimal im Jahr herum und verfolgen den Stand der Dinge.

Auffallend ist die Unterschiedlichkeit der Projekte. Man glaubt es kaum, dass das alles aus demselben Büro kommt: das Altenwohnhaus St. Nikolaus am Wallersee, das Sonderpädagogische Zentrum in Hallein, adidas Laces in Herzogenaurach, die Fachhochschule in Krems, das Finanzamt in Pirna, das Verwaltungsgebäude für Grünental in Aachen, eine Wohnbebauung in Salzburg, das Energieeffizienz-Zentrum in Mönchengladbach, die Kindertagesstätte für Beiersdorf in Hamburg, der Umbau der ehemaligen Bundesbahndirektion in Köln, der Entwurf des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt – um nur mal oberflächlich in die Schatzkiste zu greifen.

Diese Projekte folgen nicht deshalb einer jeweils eigenen Linie, weil vielleicht einmal Mäckler in der Wettbewerbs-Jury war (also Lochfassade!) und dann Behnisch (also ein paar schräge Stahlstützen!), sondern weil sie die Vorgehensweise des Büros abbilden. Gewöhnlich lässt Kilian Kada als Kopf der Wettbewerbsgruppe von zwei Projektarchitekten den Inhalt der Ausschreibung aufbereiten. Dabei denkt noch niemand an Architektur. Der Entwurf beginnt im Kopf. Nun wird ein Workshop angesetzt. Solange ist alles offen, es gibt keinen Vorschlag, den Wittfeld dann gutachterlich abschmeckt. Zunächst wird diskutiert, zwei oder drei Richtungen, in die es sich weiterzudenken lohnt. Danach trifft man sich zum nächsten Workshop. Wittfeld setzt vielleicht Impulse, aber möglich, dass auch der Praktikant einen guten Vorschlag gemacht hat, das weiß hinterher keiner mehr und will es auch nicht wissen. Bestimmend für einen Entwurf sind das Thema, der Ort, der Bauherr, das Budget – die Mitarbeiter. So wird jedes Projekt ein Neustart – eine Wiederholung (die Erfahrung hat man schon gemacht) wäre „unbefriedigend" und kann nur schlechter werden, denn die Rahmenbedingungen stimmen nie überein. Warum sollte sich dann die Architektur bruchlos wiederholen? Freiheit in der Architektur, hat Wittfeld einmal erklärt, bedeutet keine zügellose Auswahl an Formen und Materialien, sondern „Freiheit ist viel interessanter, wenn ich mir diese nehme, um die als normativ vorgegebenen so genannten funktionalen Zusammenhänge zu hinterfragen." Es gibt also eine Haltung, aber keine Bürohandschrift. Diese Methode kann Lehrgeld kosten und für ruhige Mitarbeiter auch Unsicherheit und Stress bedeuten. Wittfeld sagt: „Ich sehe uns als Bildungsbetrieb." kwa verbindet das Interesse, etwas auszuprobieren. Man baut irgendwann das erste Mal mit Holz, Terrazzo oder ein Foliendach. Auf die eigene Erfahrung lässt sich zurückgreifen.

Villen stehen übrigens keine im Portfolio. Nicht nur, weil den Architekten das viele Geld, das solventen Bauherrschaften dafür zur Verfügung steht, suspekt ist, sondern weil ihnen das professionelle Gegenüber fehlt und die private Nähe stört, für die man über psychotherapeutische Talente verfügen müsste. Otto Steidle hat es einmal auf den Punkt gebracht. „Ich habe keine Lust, am Samstag mit der Bauherrin im Baumarkt Fliesen auszusuchen." kwa will mit Leuten reden, die etwas entscheiden. Zwar gibt es im professionellen Ablauf ausgezeichnete Projektsteuerer, die Architektur verstehen und dem Investor erklären können, was mit seinem Budget möglich ist und was nicht, aber ein Selfmade-Projektsteuerer – meistens ein gescheiterter Architekt –, der nur als Terrier des Bauherrn fungiert, kann tödlich sein. Dann muss man den Auftraggeber energisch vor die Wahl stellen: entweder der oder wir!

Wittfeld weiß, mit wem er auf Augenhöhe sprechen muss. Mit dem Niederlassungsleiter oder dem Vorstand. Und auch nur darüber, was auf dieser Ebene von Belang ist. Er vermittelt nach oben zum Bauherrn, nach unten zu seinen Mitarbeitern und demontiert sie nicht, indem er zum Projektleiter des Bauherrn geht und dort Unruhe stiftet. Ihm ist es wichtig, keine Kommunikationschancen zu verpassen. Und wenn Behörden täglich 20 Beschwerde-E-Mails an sein Büro schicken, dann muss man das rasch abstellen. Die öffentliche Hand schiebt nämlich dem Architekten gerne die Bauherrenrolle zu, statt selbst mit den Firmen über Nachträge zu verhandeln. kwa kann nur empfehlen, aber nicht die Verantwortung übernehmen.

Wittfelds Architekturunternehmen hat seine optimale Leistungsgröße erreicht, es sucht Routine in den Abläufen, nicht in den Entwürfen. Die Architekten wollen alle Leistungsphasen bearbeiten, wenigsten aber ein Projekt bis zur Werkplanung verantworten, sonst nehmen sie einen Auftrag nicht an. Inzwischen dient ihnen ihr eigenes Büro als Visitenkarte. Deshalb laden sie ihre Bauherren ein, dann verstehen die schnell, in welcher Umgebung ihre Aufträge Gestalt annehmen und welchen „Mehrwert", wie es die Architekten etwas marketingmäßig formulieren, sie erhalten können.

Auffallend ist die große Bibliothek des Büros. Man weiß, die Konkurrenz schläft nicht. kwa beobachtet Nouvel, Herzog & de Meuron, vor allem BIG, weil die es hervorragend verstehen, ihre Architektur zu kommunizieren: einfach, verbindlich, nicht verkopft. Das ist ihnen sympathisch. Würde man KadaWittfeld wenigstens ein Attribut anhängen, das ihre Architektur auszeichnet, wäre es die Eigenschaft „leicht". Sie wollen nicht, dass ihre Gebäude Autorität ausstrahlen, sie sollen sich verträglich in den Kontext fügen. In einem Interview sagte Wittfeld einmal: „Wenn ich ein Gebäude benennen soll, welches ein Gefühl von Freiheit vermittelt, so ist dies der Olympiapark von Günter Behnisch und Frei Otto für die Olympischen Spiele 1972. Die Entgrenzung von Landschaft und Architektur, der Wagemut der statischen Konstruktion und der verwendeten Materialien sind ein Aspekt. Viel wesentlicher ist für mich die Tatsache, dass Deutschland mit dieser Architektur vor der ganzen Welt das Bild der marschierenden Massen, die für zwei Weltkriege verantwortlich sind, glaubhaft überwinden konnte."

Das hat nun fast so etwas von Schlusswort. Ich habe Ihnen Gerhard Wittfeld in der Außenansicht zu zeigen versucht und keine Architektur von kwa vorgestellt. Die Auszeichnung des DAI erhält ja auch kein Gebäude, sondern eine Persönlichkeit. Wittfeld kultiviert eine positive Lebenseinstellung, ich will nicht ausschließen, dass das für manche Mitarbeiter mit anderen Temperamenten manchmal anstrengend sein kann. Aber für mich hat er die Freude an der Architektur in ein Geschäftsmodell übersetzt, das methodisches Planen, wirtschaftliches Kalkül, kontextuelle Sensibilität, ideologiefreie Neugier und handwerkliche Qualität ausbalanciert. Ich sagte es bereits, ich wäre damit hilflos gescheitert. Er sagte es bereits: Alles das ist Architektur.

Ich weiß nicht, ob der Belobigte jetzt eine Bemerkung erwidern muss. Ich könnte mit Mario Adorf aushelfen. Als der Schauspieler 1992 in Berlin die Goldene Kamera verliehen bekam, antwortete er auf die Laudatio: „Wir sollten uns kurz fassen – keine Zeit also für langes, bescheidenes Drumherumreden. Ich glaube, ich habe dieses Ding endlich verdient."
Und der bayrische Kabarettist Sigi Zimmerschied kommentierte seine Preise so: „Meine Auszeichnungen bewahre ich auf dem Dachboden auf. Zwischen Siebenschläfern und Fledermäusen. Die sind ganz stolz auf mich."

So weit meine Tipps.
Wolfgang Bachmann

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