Die Vergabekammer (VK) Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 20.04.2015 – 1 VK LSA 3/15 – u.a. Folgendes entschieden:
Erkennt der Auftraggeber erst bei Prüfung und Wertung der Angebote, dass alternative Montagekonzepte möglich sind und deshalb die Vergabeunterlagen geändert werden müssen, ist diese Einsicht das Ergebnis einer auftraggeberseitigen Fehleinschätzung. Als solche fällt sie in den Verantwortungsbereich des Auftraggebers und rechtfertigt keine Aufhebung der Ausschreibung.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte den Ersatzneubau einer Brücke über eine zweigleisige elektrisierte Eisenbahnstrecke im Offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis; Nebenangebote waren ausgeschlossen. Für den Einhub der Überbaustahlkonstruktion des Brückenbauwerks über die Bahnstrecke war ein konkretes Konzept in einer Position des Leistungsverzeichnisses vorgegeben (sog. Twin-Montage mit zwei Schwerlastkränen). Diese Position enthielt den Zusatz "oder gleichwertig". Bieter A bot darauf eine alternative Montagekonzeption an. Sein Angebot lag nach Submission preislich an erster Stelle. Darauf hob der AG gemäß § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 und 3 VOB/A das Verfahren auf mit dem Argument, dass die Vergabeunterlagen keine Gleichwertigkeitskriterien enthielten und deswegen grundlegend überarbeitet werden müssten; außerdem sei kein wirtschaftliches Angebot eingegangen. Das Angebot des A sei dagegen ein unzulässiges Nebenangebot und daher auszuschließen. Nach Rüge der rechtswidrigen Aufhebung der Ausschreibung leitete A ein Nachprüfungsverfahren zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung ein.
Die VK gibt Bieter A Recht. Der AG habe hier ohne rechtliche Rechtfertigung nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 und 3 VOB/A das Verfahren aufgehoben und damit gegen drittschützende Bieterrechte gemäß § 97 Abs. 7 GWB verstoßen. Der AG begründe die Aufhebung u.a. mit dem Argument, dass er nicht erwartet habe, dass sich Bieter bereit finden könnten, eine technische Alternative zur Zwei-Kran-Montage anzubieten, die kostengünstiger erscheine und gleichzeitig die Einhaltung der Sperrzeiten für die Gleisanlagen sicherstellen könnten. Zwar bestehe hier für den AG kein Kontrahierungszwang und er könne eine Ausschreibung aus sachlichen Gründen vor Zuschlagserteilung jederzeit aufheben. Kostenneutral sei dies jedoch für ihn nur dann möglich, wenn einer der Ausnahmetatbestände des § 17 EG Abs. 1 Nr. 1 – 3 VOB/A vorliege. Diese Ausnahmetatbestände griffen aber nicht, wenn den AG eine tatbestandliche Verantwortlichkeit für den Aufhebungsgrund treffe. Soweit der AG darlege, erst aufgrund Prüfung und Wertung der Angebote erkannt zu haben, dass nicht nur die Zwei-Kran-Montage, sondern auch alternative Montagekonzepte für den Überbau der Brücke möglich seien und daher die Vergabeunterlagen geändert werden müssten, sei diese Einsicht das Ergebnis einer auftraggeberseitigen Fehleinschätzung im Vorfeld der Ausschreibung. Diese falle aber in den tatbestandlichen Verantwortungsbereich des AG und sei demnach nicht geeignet, den A im Sinne des § 17 EG VOB/A schadlos zu stellen.
Anmerkung
Der AG kann grundsätzlich eine Ausschreibung jederzeit aufheben, sofern ein sachlicher Grund besteht. Ein Anspruch des Bieters auf Zuschlagserteilung stellt die absolute Ausnahme dar. § 17 EG-VOB/A bestimmt nur, in welchen Fällen den Bietern das negative Interesse (Angebotsbearbeitskosten) bei späterer Aufhebung der Ausschreibung nicht ersetzt werden muss. Hier hat jedoch eine auftraggeberseitige Fehleinschätzung zur Aufhebung der Ausschreibung geführt, d.h. es war insoweit kein Fall des § 17 EG-VOB/A. Im Falle einer solchen rechtswidrigen Aufhebung kommen damit Ansprüche auf Ersatz des negativen Interesses für alle Bieter in Betracht, die ein Angebot abgegeben haben.
Weitere Informationen: ZIRNGIBL LANGWIESER, Rechtsanwälte Partnerschaft, www.zl-legal.de
Ansprechpartner: Thomas Schneider, Rechtsanwalt, Tel.: 030 - 880 331 - 234, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!