in: BAUKULTUR 5-2007 (S. 33-35)
Geschichte und Entwicklung
Das bautechnische und -technologische Spiel mit dem Eigengewicht des Baustoffs Beton ist fast 2000 Jahre alt. Eines der bekanntesten antiken Leichtbetonbauwerke ist das Pantheon in Rom (ca.128 n.Chr.). Der Kuppelbau mit einem inneren Durchmesser von mehr als 43m markiert einen Höhepunkt in der Entwicklung von Architektur und Konstruktion. Die Kuppel besteht aus abgestimmten Leichtbetonen, deren Zusammensetzung offensichtlich mit dem Ziel gewählt wurde, die Belastung durch das Eigengewicht zu minimieren. Es waren die damals bereits weit entwickelten Kenntnisse im Umgang mit dem „Opus Caementitium“, welche die Planer zu diesem einzigartigen Projekt ermutigt und seine Durchführung letztlich ermöglicht haben.
Die Möglichkeiten des Leichtbetons wurde ab Mitte des letzten Jahrhunderts wieder verstärkt aufgegriffen. Exemplarisch zeigt das von Frank Lloyd Wright entworfene Solomon R. Guggenheim Museum die Möglichkeiten einer Leichtbetonkonstruktion. Die Anwendung der Leichtbetone im Hochbau in Deutschland wurde vor allem in den 1970er Jahren entwickelt mit der Absicht, durch Nutzung der bauphysikalischen Vorteile dieses Baustoffs eine technisch einfache, einschalige Wandbauweise für den Wohnungs- und den Wirtschaftshochbau zu gewinnen. Die Motivation dieser frühen Phase des Bauens mit Leichtbetonen war überwiegend bautechnischer Natur, eine bewusste Adaption des Leichtbetons durch die Architektur blieb weitgehend auf Einzelfälle beschränkt.
Traditionelle Leichtbetone
Leichtbetone können, ebenso wie die schwereren Normalbetone, als Sichtbeton und bei der Gestaltung komplexer Tragwerke eingesetzt werden. In letzterer Anwendung ermöglicht vor allem das erheblich geringere Eigengewicht des Leichtbetons besonders schlanke Konstruktionen.
Aufgrund der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen zur energetischen Leistungsfähigkeit von Hochbauten in der Folge der Energiekrise der 1970er Jahre konnten die Anforderungen mit den üblichen Wandstärken nicht mehr erfüllt werden. Als Folge war Leichtbeton fortan nur unter sonderplanerischen Voraussetzungen für den Einsatz in einschaligen Wänden sinnvoll. Die Popularität und der Einsatz von Leichtbetonen gingen stark zurück.
Seit den 1990er Jahren wurde nicht nur das Bauen mit Beton mit einer Vielzahl nationaler und europäischer Normen und Regelwerke technisch revidiert, auch die Technologie des Baustoffs wurde erheblich fortentwickelt. Naturgemäß fanden die Hauptentwicklungen in Bauweisen statt, die stark am Markt vertreten waren, denn eine erfolgreiche technische Entwicklung benötigt den Versuch und reift in der praktischen Anwendung. Über diesen Prozess des bewussten und differenzierten Umgangs mit den technischen Eigenschaften und Steuerungsmöglichkeiten von Technik und Technologie des Betonbaus wurde auch der Einsatz leichter Betone neu betrachtet oder realisiert, obwohl die Anzahl der ausgeführten Beispiele weiterhin vergleichsweise gering blieb. Das Ziel der Entwicklung war vor allem eine weitere Herabsetzung der Trockenrohdichten. Durch den Einsatz traditioneller Leichtbetone konnten die Rohdichten gegenüber einem Normalbeton (ca. 2350 kg/m³) bei den im Hochbau üblichen Festigkeitsvorgaben auf Werte von etwa 1600 kg/m³ abgesenkt werden. Mit der aktuellen Technologie können – bei einem hochbautauglichen Festigkeitsniveau - Rohdichten bis hinunter zu 800 kg/m³ realisiert werden. Gleichzeitig wurde der Nachweis verbesserter Wärmedämmeigenschaften des Leichtbetons über bauaufsichtliche Zulassungen verifiziert.
Gestaltungsfragen
Solche Leichtbetone inspirierten vor allem die Architekten, da sie die Planung und Ausführung einschichtiger, monolithischer Wandkonstruktionen machbar erscheinen ließen, wenn die Eigenschaften des Baustoffs entsprechend qualifiziert gesteuert werden konnten. Bei diesen Anwendungen wurde jedoch deutlich, dass die mit der monolithischen Ausführung einhergehenden Sichtbetonflächen dem herrschenden Gestaltungstrend möglichst glatter, makelloser Ansichtsflächen nicht entsprechen konnten, sondern typische Abweichungen zeigten, wie etwa einen erhöhte Porigkeit. Vor allem die Eigenart und die Andersartigkeit der entstehenden Sichtbetonflächen sehr leichter Betone sind gestalterisch zu beachten, da sie die national üblichen Anforderungen an Sichtbetonflächen, die mit glatten Schalhäuten hergestellt werden, mit sinkender Rohdichte immer weniger erfüllen können.
Das Aufkommen der beschichteten Sperrholzplatten in den Jahren nach 1960 zur wirtschaftlichen Bewältigung großflächiger Schalaufgaben ergab die damals neuen Grundmerkmale sehr glatter Betonflächen und brachte dem Sichtbeton einen deutlichen Imagesprung. In den letzten zwei Dekaden des vergangenen Jahrhunderts war der glatte Sichtbeton mit Schalhautfugen und Ankerlöchern als maßgebende Flächenstrukturierung die Sichtbetonfläche der Wahl und ist bis heute der Standard des Bauens mit Sichtbeton. Mit Blick auf die Ursprünge des Sichtbetons, in denen die Materialität des Baustoffs im Vordergrund stand und dessen authentische Merkmale vor allem angenommen denn gesteuert wurden, drängt sich die Frage auf, ob die Planung makelloser Flächen noch zeitgerecht ist, ob sie überhaupt in dieser Art fortzusetzen ist. Obwohl dieser Flächentrend derzeit ungebrochen erscheint, ist in der Architektur aktuell eine starke Neigung zur Abkehr von dieser Flächenphilosophie zu spüren, - nach einer langen Phase nahezu monokultureller Flächengestaltung fehlen jedoch die unverbrauchten Alternativen.
Das Bauen von monolithischen Wänden mit leichten Betonen, die vor allem in den entstehenden Flächenmerkmalen eine starke materielle Authentizität ausdrücken, mobilisiert erhebliche baustoffliche Synergien und kann eine Erneuerung der gestalterischen Auffassung bewirken. Dies ist an den Reaktionen auf die Veröffentlichungen zu den gebauten Beispielen in der Schweiz und in Deutschland deutlich erkennbar.
Konstruktive Leichtbetone
Als Leichtbeton wird eine Palette sehr unterschiedlicher betonartiger Baustoffe bezeichnet. Dazu gehören Porenbetone und haufwerksporige Leichtbetone, die wegen ihrer sehr guten Wärmedämmeigenschaften bei gleichzeitig ausreichender Festigkeit als Mauerblöcke und vorgefertigte Elemente genutzt werden. Von diesen beiden unterscheidet sich der konstruktive Leichtbeton, der im Bauwerk von seiner äußeren Erscheinung von einem Normalbeton kaum zu unterscheiden ist. Als konstruktive Leichtbetone werden Betone bezeichnet, deren Matrix Bewehrungsstähle in gleicher Weise dicht umhüllen und vor korrosiven Einflüssen schützen können, wie dies bei Normalbeton der Fall ist. Sie werden auch als gefügedichte Leichtbetone bezeichnet und sind den üblichen Normalbetonen normativ gleichgestellt. Seit Einführung der aktuellen Regelwerke des Beton- und Stahlbetonbaus werden Normal- und Leichtbeton in den gleichen Normen geregelt.
Im stofflichen und technologischen Detail treten zwischen Leicht- und Normalbeton zum Teil deutliche Unterschiede zutage. Normalbeton wird im Wesentlichen durch seine Festigkeit, seine Dauerhaftigkeit und bei entsprechenden Anforderungen durch seine Oberflächenqualität charakterisiert. Diese Kriterien gelten ebenfalls für konstruktiven Leichtbeton. Dieser zeichnet sich allerdings zusätzlich durch eine gegenüber dem Normalbeton niedrigere Rohdichte aus. Die geringere Rohdichte verleiht dem Leichtbeton deutlich verbesserte Wärmedämmeigenschaften, die jedoch nicht ganz an die Möglichkeit des Porenbetons und des haufwerksporigen Leichtbetons heranreichen.
Rein äußerlich unterscheidet sich konstruktiver Leichtbeton nicht von Normalbeton. Dies ist auch nicht verwunderlich, da für das Herstellen konstruktiver Leichtbetone im Wesentlichen nur ein Austausch der schweren normalen Gesteinskörnung (z.B. quarzitischer Kies) gegen leichte Gesteinskörnung (z.B. Blähton), erfolgt. In den meisten Fällen beschränkt sich dieser Austausch zunächst nur auf die grobe Körnung. Für die Sandfraktion wird weiterhin Natursand eingesetzt. Derartige Leichtbetone werden vornehmlich für Ingenieurbauwerke wie Brücken, für Deckenkonstruktionen, Innenwände im Wohnungsbau und zum Beispiel für größere Fertigteilgaragen eingesetzt. In den genannten Einsatzbereichen steht die Gewichtsersparnis im Vordergrund. Durch den zusätzlichen Austausch des Natursands gegen Leichtsand kann die Betonrohdichte nochmals um etwa 200 kg/m3 reduziert werden.
Dämmeigenschaften
Noch entscheidender für den Einsatz dieser reinen Leichtbetone ist jedoch die deutlich verbesserte Wärmedämmung, da die leichte Gesteinskörnung ein schlechterer Wärmeleiter ist als normale Gesteinskörnung. Unter Ausnutzung der heute zur Verfügung stehenden betontechnologischen Möglichkeiten (moderne Fließmittel und Betonzusatzstoffe) können die reinen Leichtbetone nochmals optimiert werden.
Für die leichten und sehr leichten Betone ergeben sich aus der Kombination der statisch geforderten Festigkeit und der bauphysikalisch benötigten Wärmeleitfähigkeit drei Einsatz- und Synergiebereiche.
· Statisch höher beanspruchte Fassaden von Bürogebäuden mit vielen Öffnungen werden bevorzugt im Rohdichtebereich 1,3 bis 1,6 kg/m3 ausgeführt.
· Statisch weniger beanspruchte Fassaden, die entweder dickere Wände, weniger Geschosse oder weniger Öffnungen haben, sind eher im Rohdichtebereich 1,0 bis 1,3 kg/m3 zu finden.
· Die beste Wärmedämmung sehr leichter Betone wird zunehmend für exklusive Wohngebäude gewählt. Die Wände dieser Gebäude werden in Rohdichte bis hinab zu 0,8 kg/m3 ausgeführt und nutzen damit den derzeit in Deutschland für konstruktiven Leichtbeton zulässigen Bereich vollständig aus. Bei den bauphysikalisch gebotenen Wandstärken reicht die erreichbare Festigkeit in der Regel aus, um die statische Tragfähigkeit üblicher Hochbauten ohne Probleme zu gewährleisten.
Festigkeit
Tragwerksplaner äußern mitunter Bedenken gegen die Wahl niedriger Leichtbetonfestigkeitsklassen, weil sie aus dem Dauerhaftigkeitsschema des Normalbetons einen Zusammenhang zwischen der Festigkeit und der Dauerhaftigkeit gewohnt sind: je höher die Druckfestigkeitsklasse eines Normalbetons, desto besser ist i.A. seine Widerstandsfähigkeit gegen korrosive Einwirkungen. Dieser kausale Zusammenhang besteht bei Leichtbetonen jedoch nicht. Zwar gelten für Normal- und Leichtbeton die gleichen Einflüsse auf die Dauerhaftigkeit, die Festigkeit des Leichtbetons wird jedoch entscheidender von der leichten Gesteinskörnung bestimmt. Daher können Leichtbetone geringer Festigkeitsklassen bei richtiger Zusammensetzung die Anforderungen der im Hochbau üblichen Expositionsklassen problemlos erfüllen.
Vor- und Nachteile
Die Entscheidung für eine massive Leichtbetonwand beruht zumeist auf dem Wunsch, mit Hilfe des frei gestaltbaren Werkstoffs Beton eine individuelle Architektur zu entwerfen und dabei die gestalterischen Möglichkeiten des Sichtbetons auszuschöpfen. Dieser Wunsch kann bei Verwendung eines Normalbetons wegen der wärmetechnischen Anforderungen nur mit einem mehrschichtigen Aufbau mit im Wandkern liegender Wärmedämmung umgesetzt werden. Im Gegensatz dazu bietet Leichtbeton die Chance, Sichtbeton mit einem einschaligen, monolithischen Wandaufbau auszuführen. Diese Lösung bringt für den Planer einige wichtige Vorteile mit sich.
· Der homogene Wandaufbau verhindert das Ausfallen von Tauwasser im Querschnitt, wie es bei einem mehrschichtigen Wandaufbau möglich sein kann.
· Das Ausbilden gekrümmter Wände gestaltet sich einfacher als bei mehrschichtigen Wänden.
· Das Anschließen verglaster Fassadenelemente ist unproblematisch.
Mit der Entscheidung für Leichtbeton sind auch Einschränkungen verbunden. So geht der Wunsch nach einer Sichtbetonoberfläche in der Regel mit der Vorstellung einer makellosen, nahezu porenfreien Oberfläche einher. Dieses Gestaltungsziel erfordert bereits bei Verwendung eines Normalbetons eine erhöhte baubetriebliche Sorgfalt und ist mit Leichtbeton noch schwieriger zu bewerkstelligen. Leichtbeton dämpft aufgrund seiner geringeren Rohdichte die beim Verdichten eingetragene Energie. Je geringer die Rohdichte ist, desto mehr Aufwand muss für das Verdichten des Betons betrieben werden. Bei Betonen mit sehr niedrigen Rohdichten sind porenarme Sichtbetonflächen auch bei erhöhtem Einbauaufwand kaum noch sicher zu erreichen; hier geht es daher in erster Linie um ein möglichst gleichmäßiges Erscheinungsbild der Oberfläche durch das Vermeiden größerer Lunker und Fehlstellen.
Innovative Möglichkeiten
Moderne Fassaden von Büro- und Geschäftsgebäuden zeichnen sich durch große Fensterflächen aus. Architektonisch wird häufig eine sichtbar bleibende Tragstruktur genutzt, um die Fassade zu gliedern. Wenn die Fassadenkonstruktion zudem in Sichtbeton ausgeführt werden soll, sind einige bauphysikalische Details zu lösen. Die Wand muss den wärmetechnischen Mindestanforderungen der DIN 4108 genügen. Dies ist mit Normalbeton nur mit einer innenliegenden Wärmedämmung möglich. Gleichzeitig entstehen lineare Wärmebrücken an den Anschlüssen der Fassadenelemente. Aus diesen Gründen wird für solche Fassaden wieder vermehrt konstruktiver Leichtbeton gewählt. In der Festigkeitsklasse LC35/38 D1,4 werden sowohl die statischen Erfordernisse als auch mit einem U-Wert von weniger als 0,7 W/(m2K) den wärmetechnischen Forderungen erfüllt. Ein derartiges Konzept wurde mit einem solchen Leichtbeton unter anderem bei zwei Gebäuden für den Investor Ardi Goldman in Frankfurt umgesetzt. Michael A. Landes wählte für einen Gebäudeteil der Union-Lofts eine regelmäßige, klar gegliederte Rahmenkonstruktion. Durch den Leichtbeton konnte unter anderem für den Anschluss zwischen Innen- und Außenbauteilen auf eine thermische Trennung durch Isokörbe verzichtet werden. Dietz Joppien Architekten nutzten bei ihrem UFO Loft- und Gewerbehaus für die Umsetzung ihres Gebäudekonzepts eine monolithische Leichtbetonfassade in Sichtbetonqualität.
Den letzten konsequenten Schritt beim Einsatz von Leichtbeton stellen einige Wohngebäude aus jüngster Zeit dar. Der Leichtbeton wird dabei als tragender Dämmstoff in Sichtbetonqualität genutzt. Dies wurde durch die Entwicklung spezieller, sehr leichter Wärmedämmbetone erreicht, die in der Festigkeitsklasse LC8/9 D1,0 mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,36 W/(m2K) aufwarten. Die derzeit bekanntesten Objekte sind die Wohngebäude von Patrick Gartmann oberhalb von Chur in der Schweiz, das von Trager, ap88 Architektenschaft, für sich selbst entworfene Haus und das noch in Bau befindliche Wohnhaus Schlaich in Berlin. Diese Häuser belegen eindrucksvoll die innovativen Möglichkeiten, die sich mit dem Einsatz von konstruktivem Leichtbeton für kreative Architekten eröffnen.