Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
(in: BAUKULTUR 3_2014, S. 3)
Liebe Leserinnen und Leser,
verehrte Freunde der Baukultur,
Städte befinden sich in einem stetigen Transformations- und Aushandlungsprozess. Und Baukultur ist ein Abbild dieser Stadtentwicklung. Baukultur bezieht sich auf Architektur, Ingenieurbau, Stadt- und Regionalplanung, Belange des Denkmalschutzes, Landschaftsarchitektur, Innenarchitektur und die Kunst am Bau. Sie ist in den infrastrukturellen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Kontext der Städte und Kulturlandschaften eingebunden. Eine Kultur des Bauens zeigt sich darin, wie soziokulturelle, ökologische, gestalterische, technisch-funktionale und wirtschaftliche Qualitätsbelange zu einer ausgewogenen und nachhaltigen Gesamtqualität zusammengeführt werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, lebendige Städte und Gemeinden mit hoher Lebensqualität zu schaffen und zu erhalten.
Energiefragen und der Klimaschutz setzen unsere Städte und Landschaften unter großen Veränderungsdruck. Sie werden sich im städtebaulichen und landschaftlichen Zusammenhang in erheblichem Ausmaß niederschlagen. National wollen wir die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 % reduzieren. Windräder, Solarkollektoren, der Biomasseanbau und Hochleistungsnetze sind dabei relevante Gestaltungsfaktoren. Unsichtbar, soviel ist klar, werden die Elemente des neuen energetischen Zeitalters nicht bleiben. Die Bekämpfung des Klimawandels ist daher auch eine enorme Herausforderung an die Gestaltung unserer gebauten Umwelt. Unsere Landschaften und Städte sind per se einem ständigen Wandel unterworfen. Wir müssen uns klarmachen: Energetische Ressourcen zu gewinnen, der Energietransport und -verbrauch wie auch der Klimawandel drücken dem Gebäudebestand, den städtebaulichen Strukturen und den Kulturlandschaften ihren Stempel auf. In den nächsten Jahrzehnten werden wir als Gesellschaft diesen Wandel in einer neuen Dimension zu gestalten haben.
Wir kennen die Kritik an überdimensionierten Anlagen, die Sorge vor Eingriffen in Natur und Kulturlandschaft oder einen bedenklichen Umgang mit der historischen Bausubstanz unter den Vorzeichen des Klimaschutzes und der Energieeinsparung. Bislang gibt es keinen „Umbaustil“, keinen eigenständigen und allseits akzeptierten Ausdruck – abgesehen von der Dämmwolle, von der wohl niemand will, dass sie zur ästhetischen Dominante unserer Stadtbilder wird. Trotzdem kann es kein Kokettieren mit dieser Herausforderung, kein Verdrängen des Themas, kein Verschieben auf andere Standorte, Städte oder nachfolgende Generationen geben. Die Energiewende und der Klimaschutz sind Aufgaben, die wir heute lösen müssen. Der Klimawandel ist real, er ist ein globales Problem, und wir können in Deutschland zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, dem zu begegnen und damit positiv umzugehen. Der Schlüssel für die neuen Anforderungen liegt in einem intelligenten und behutsamen Umgang mit dem Bestand, kombiniert mit einer integrierten Stadtentwicklungsplanung. Klimaschutzziele sind auf der Ebene der Gesamtstadt zu formulieren und auf der Quartiers- und Gebäudeebene umzusetzen.
Wir brauchen eine neue Sprache des Umbauens, die sich aus einer veränderten Wahrnehmung unserer gebauten Umwelt mit Blick auf die einzelne Bauaufgabe und ihren städtebaulichen und landschaftlichen Zusammenhang ergibt. Wir brauchen einen grundsätzlichen Denk-, Planungs- und Handlungsansatz, nach dem ökologische Standards, wirtschaftliche Machbarkeit, soziale Folgen und Baukulturanspruch für Stadt und Landschaft zusammengeführt werden. Baukultur ist eine Art Treuhänder der Wünsche der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Identifikation mit ihrem Heimatort. Natürlich spielen Kosten eine Rolle, Energiewende und Klimaschutz dürfen gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen nicht überfordern und unsere wirtschaftlichen Stärken nicht beschränken. Aber der Schlüssel für die Energie- und Klimawende liegt in ihrer Akzeptanz vor Ort. Und diese Akzeptanz kann nicht über abstrakte Ziele erreicht werden, sondern muss sich über konkrete Projekte herstellen.
Lebensqualität bedeutet ein Umfeld, in dem man sich wiederfindet, auch weil man bei dessen Gestaltung einbezogen war. Baukultur allein als technische und ökonomische Aufgabe zu begreifen, wäre seelenlos. Baukultur schafft Identität und erzeugt Akzeptanz. Beides ist notwendig für die Erreichung unserer Ziele und trägt zur Nachhaltigkeit unserer Entscheidungen bei. Die Energiewende und der Klimaschutz werden im wahrsten Sinne des Wortes Gestalt annehmen. Es ist unsere Verantwortung, dass es eine gute Gestalt wird.
Ihre
Dr. Barbara Hendricks
Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit