"Einen Maulkorb oder politische Vorgaben sehe ich nicht..."

Reiner Nagel ein Jahr Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur
(in: BAUKULTUR 4-2014, S. 8)

Der Start für Reiner Nagel war nicht einfach: Mehrere Monate war die Bundesstiftung ohne Leitung gewesen, weil Vorgänger Braum das Haus termingerecht zu Jahresanfang 2013 verlassen hatte; dazu kam, dass auch der wissenschaftliche Mitarbeiter Carl Zillich nach Heidelberg wechselte. Wenige Monate nach Nagels Amtsantritt wechselte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Nicole Schneider ins Berliner Finanzministerium, ihre Stelle ist bis heute vakant. Mit dem Regierungswechsel in Berlin wanderte das Ressort Bauen ins Ministerium von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), wo aber bis jetzt (!) kein entsprechender Staatssekretär benannt ist, sodass im aufsichtsführenden Stiftungsrat bislang noch Rainer Bomba (CDU) vom Infrastrukturministerium den Vorsitz führt.

Gleichwohl: Personalentscheidungen und konzeptionelle Neuakzentuierungen wurden zügig von Nagel quasi aus dem Stand heraus umgesetzt, und vor allem letzteres war von der Politik auch angemahnt worden: „Das Profil der Stiftung war nicht hinreichend geschärft“, so Nagel heute, „zum zweiten musste der Adressatenkreis definiert werden.“ Hatte man bislang vornehmlich Architekten erreicht, ging Nagel nun mit neu etablierten „Baukulturwerkstätten“ beherzt auch auf Ingenieure, auf die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie politische Entscheider zu, um „nicht nur einen Kreis von potentiell 140.000 Ansprechpartnern, sondern rund drei Millionen, die mit Baukultur beruflich befasst sind“, zu erreichen – neben einer breiteren Öffentlichkeit, die ebenfalls für Fragen der Baukultur sensibilisiert werden soll. Dazu sind, so Nagel, „niedrigschwellige Angebote“ unerlässlich, die überdies intensiv kommuniziert werden müssen, „und dafür haben wir bislang nur eine Stelle. Zum Vergleich: In der Hafencity in Hamburg arbeiten etwa ein Dutzend Mitarbeiter im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmarketing.“ Und diesem Punkt wird Nagel ungewöhnlich offen und selbstkritisch: „Wir brauchen niederschwellige Angebote, weil sich die Bundesstiftung mit ihrem gelegentlich elitären Anspruch immer wieder auch selbst im Weg steht. Wir benutzen etwa ein Vokabular, das schwierig vermittelbar ist. Das muss sich ändern.“

Zeitgleich sollte (und soll zukünftig verstärkt) der Förderverein aktiviert werden, der im Vorjahr magere 712 Mitglieder hatte. Um politisch einflussreich zu werden, muss die Zahl, so Nagel, vier-, besser noch fünfstellig werden.

Unterstützung aus den Medien kann da nur hilfreich sein. Aber während die Feuilletons allenthalben gekürzt werden, während sich überdies auch die Architekturkritik bei Chefredakteuren nicht eben großer Beliebtheit erfreut und in der Defensive befindet, sieht Nagel gleichwohl Chancen für eine stärkere Wahrnehmung des Metiers: „Sicher braucht es für die Spitzenleistungen der Baukunst eine kompetente Architekturkritik, und sie kann die Wahrnehmung von Baukultur insgesamt fördern.“ Aber Baukunst, so Nagel, „muss funktionieren, muss Räume schaffen und gliedern, und dazu benötigt es eines auch journalistischen Zugriffs, und der fehlt auf weiter Strecke. Bedenken Sie: In Deutschland bezifferte sich das Bauvolumen 2012 auf 310 Milliarden Euro – so groß wie der Etat der Bundesregieung. Für Neuwagen wurde im gleichen Jahr nur rund ein Viertel davon ausgegeben – aber in der Öffentlichkeit wird mehr über Auto- als über Bau-Kultur diskutiert. Übrigens: Der größte Teil der Bau-Investitionen hierzulande fließt in den Wohnungsbau, viel weniger in öffentliche Bauten – die aber werden, wenn überhaupt Architekturkritik stattfindet, zum Thema gemacht. Da besteht ein Missverhältnis.“

Allen Schwierigkeiten zum Trotz blickt Nagel optimistisch in die Zukunft: Noch in diesem Jahr soll dem Bundestag ein Baukulturbericht vorgelegt werden, der, wenn er denn verabschiedet wird, eine Menge von Aufgaben definiert. Sieht er sich da nicht von der Politik eingeschnürt, die im Stiftungsrat die Mehrheit hat? Ob das Planungschaos zu Stuttgart21, die unendliche Baugeschichte zum Berliner Großflughafen oder die Kostenexplosion zur Hamburger Elbphilharmonie – bislang hörte man aus der Bundesstiftung dazu keine substantuelle Stellungnahme. Reiner Nagel scheint da keine Berührungsängste zu haben: „Wir werden genau diese drei Themen in der nächsten Baukulturwerkstatt im Mai ansprechen und sagen, was da schlecht gelaufen ist. wir werden fragen, was muss da im Planungs- und Bauprozess besser werden, damit auch die Ergebnisse von Baukultur besser werden. Die drei genannten Baustellen führten ja auch zu einem großen Reputationsverlust von deutschen Architekten und Bauingenieuren weltweit. Einen Maulkorb oder politische Vorgaben aus dem Stiftungsrat sehe ich überhaupt nicht, im Gegenteil: Der Stiftungsrat ist über alle Parteien und Fachdisziplinen hinweg so besetzt, dass er eher unterstützend wirkt.“

Reinhard Hübsch

 

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