Energiewende kontra Denkmalschutz?

Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz
(in: BAUKULTUR 6_2014, S. 18-19)

Das Bundesland Sachsen-Anhalt weist nicht nur einen vergleichsweise großen Bestand an Baudenkmalen auf, auch bezüglich der Dichte von Windenergieanlagen steht es in Deutschland mit an vorderster Stelle. Wenn es eng wird, bleiben Konflikte nicht aus. Wie verträglich sich das Nebeneinander von schützenswertem Kulturgut und hochtechnisiertem Anlagenbau gestalten lässt, war Thema der diesjährigen Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Sie stand unter dem Motto: „Energielandschaften. Von der Kulturlandschaft zur Technolandschaft?"

Kuballa Woerlitz 2
Gartenreich Dessau-Wörlitz: Windräder am Horizont könnten den Weltkulturerbestatus gefährden

Gartenreich Dessau-Wörlitz
Seit dem Jahr 2000 wird das 1765–1800 unter Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau errichtete Gartenreich Dessau-Wörlitz als Unesco-Weltkulturerbe geschützt. Zwischen den Städten Dessau und Wittenberg erstreckt es sich auf einem Areal von rund 150 km². Dem aufklärerischen Geist des Bauherrn entspricht die Offenheit der Anlage, die ohne Umzäunung seit ihrer Fertigstellung frei zugänglich ist. Das zentral im Gartenreich gelegene, von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff geplante Schloss gilt als Gründungsbau des Klassizismus in Deutschland. Vom auf dem Dach liegenden Belvedere hat man einen weiten Blick über die Landschaft und kann die charakteristischen Sichtachsen mit ihren am Ende liegenden Blickpunkten, den kleinen Pavillons, schlossartigen Nebengebäuden, Statuen oder auch Pflanzungen, gut erkennen.
Was am Horizont auch gut zu erkennen ist, sind die Windräder im Windpark Coswig Nord. Coswig Nord ist im Rahmen der Regionalplanung als Windkraftvorranggebiet ausgewiesen, es umfasst 79 ha und liegt 3 km von der Kernzone und 1 km von der Pufferzone des Gartenreichs Dessau-Wörlitz entfernt. Laut Beschluss zum „Sachlichen Teilplan Windenergienutzung in der Planungsregion Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg" sind negative Auswirkungen auf die Sichtbeziehungen zum und vom Gartenreich zu vermeiden, zumal das Gartenreich als das bedeutendste Alleinstellungsmerkmal der Region gilt und als Vorbehaltsgebiet für Kultur- und Denkmalpflege raumordnerisch gesichert ist. Entsprechend wurden im Windpark Coswig Nord auch nur Windenergieanlagen mit einer Gesamtbauhöhe von max. 100 m zugelassen.
Nun ist im 5 km entfernten Luko ein weiterer Windpark geplant – für Windräder mit einer Gesamtbauhöhe von bis zu 200 m. Die Gemarkung Luko ist ebenfalls Windkraftvorranggebiet, nur anders als in Coswig Nord sind durch die dortigen Windräder im direkten Umfeld keine erheblichen Beeinträchtigungen vorhandener Schutzgüter zu erwarten.
In ihrer Funktion einer Unteren Denkmalschutzbehörde kritisiert die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz die Planung der neuen Anlagen dennoch aufs Schärfste. Würden die 200 m hohen Windräder errichtet, müsste man mit Sicherheit nicht mehr das Belvedere oder Kirchtürme erklimmen, um auf ihre Präsenz hinzuweisen. Sie wäre dann auch auf Straßen und Spazierwegen offensichtlich – und die historische Kulturlandschaft nachhaltig gestört. Schlimmstenfalls hätte dies die Aberkennung des Weltkulturerbestatus zur Folge.

Appell der Kunsthistoriker
Die Bedrohung historischer Kulturlandschaften durch Windparks oder auch großflächige Photovoltaikanlagen veranlasste den Verband Deutscher Kunsthistoriker 2013, den „Greifswalder Appell" zu verabschieden. Die Unterzeichner rechnen mit einer massiven Verdichtung von Windkraftanlagen, wie sie seit der 2011 beschlossenen Energiewende zu beobachten ist. Sie fordern daher das vollständige Freihalten wertvoller historischer Kulturlandschaften von Anlagen zum Ausbau erneuerbarer Energien, die Einhaltung von Mindestabständen zwischen Windrädern und Denkmalen und die Einbeziehung der Denkmalpflege im Vorfeld aller Planungsverfahren.

Kuballa Goseck 2
Vor rund 6.800 Jahren diente die Kreisgrabenanlage in Goseck (Rekonstruktion) als Sonnenobservatorium: Durch die drei Tore waren vom Mittelpunkt aus die Zeitpunkte der Sonnenwenden auszumachen, heute blickt man auf Windenergieanlagen

Sensibilisierung der Entscheider
So rigoros diese Forderungen klingen mögen: Sie sind notwendig, um die Entscheider zu sensibilisieren, im Hinblick auf den Erhalt unserer Kulturgüter ebenso wie auf die Notwendigkeiten für eine Energiewende. Denn natürlich gibt es auch von Seiten der zuständigen Regionalplaner rigorosere Konzepte, die genehmigt sind und nur wenig Spielraum lassen. Der Bundesverband WindEnergie hat zur Umsetzung der Energiewende Vorschläge unterbreitet, den Windenergieausbau in Deutschland zu beschleunigen und fordert die generelle Beseitigung von Höhenbegrenzungen oder auch die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren.
Dies macht deutlich, wie unterschiedlich die Interessenlagen sind und dass gerade in der Kombination Entscheidungsfindungen einem sehr demokratischen Prozess unterliegen müssen. Es geht darum auszutarieren, wieviel Denkmalpflege wir uns leisten können und wieviel Energieeinsparung wir uns leisten müssen.
Fakt ist, dass die Denkmalpflege sich keineswegs gegen Windenergieanlagen ausspricht. Ihre Standorte müssen jedoch immer wieder aufs Neue und im Einzelfall abgestimmt werden. Bei Einzeldenkmalen sieht die Betrachtung nämlich ganz anders aus. Stehen eine Kirche oder eine Kultstätte unter Denkmalschutz, ist zu überlegen, ob Windenergieanlagen nicht im gemeinsamen Blickfeld mit ihnen stehen dürfen oder ob der Ausblick in die Umgebung frei von Windrädern bleiben muss. Wo beginnt der Wirkungsraum eines Denkmals und wo hört er auf?

Akzeptanz der Bevölkerung
Eine ganz andere Frage berührt die Akzeptanz von Windenergieanlagen in der Bevölkerung. Anfang der 1980er Jahre entstanden die ersten Windräder, erst seit einigen Jahren prägen sie maßgeblich unsere Landschaften. Neben der technischen Weiterentwicklung haben sie sich auch gestalterisch verändert. Aber sind sie wirklich „schöner" geworden oder haben wir uns nur an ihren Anblick gewöhnt?
Windräder kann man unmöglich tarnen. Man kann sie mit einem landschaftsbezogenen grün-braunen Farbton zumindest in der Sockelzone streichen, man kann sie sauber halten und „freundlich" aussehen lassen. Auf der anderen Seite haben sie einen technischen Zweck zu erfüllen und unterliegen damit einer ganz eigenen Ästhetik.
Ab einer Anlagenhöhe von 100 m kann mit jedem zusätzlichen Meter bis zu 1 % mehr Strom gewonnen werden. Warum sollte man dies nicht nutzen? Ernst zu nehmender Kritikpunkt bleibt allerdings der durch die Drehung der Rotorblätter verursachte periodische Schattenwurf, dessen Reichweite mit zunehmender Höhe ebenso porportional zunimmt.

Ausblick
Aufgrund der Kulturhoheit der Länder ist in Deutschland der Denkmalschutz über die Gesetzgebungen der 16 Bundesländer geregelt. Unter dem Punkt der Begriffsbestimmung wird in allen 16 Denkmalschutzgesetzen beschrieben, welche Gründe dazu führen, dass die Erhaltung eines Kulturdenkmals im öffentlichen Interesse liegt. Neben den vorrangig künstlerischen, historischen oder wissenschaftlichen Aspekten sind in 7 Ländern auch die technischen Merkmale für eine Unterschutzstellung relevant. Sachsen-Anhalt gehört dazu. Insofern ist es absehbar, dass in naher Zukunft zumindest die Repräsentanten der ersten Generation von Windenergieanlagen unter Denkmalschutz gestellt werden, bevor sie im Zuge des technischen Fortschritts als Zeugen der Technikgeschichte aus dem Landschaftsbild verschwinden.

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