Die ultimative Freiheit des Wassers

(in: BAUKULTUR 3_2015, S. 22-23)

Die Bewohner von Waterbuurt-West im Amsterdamer Neubaubezirk Ijburg leben in einem außergewöhnlichen Haus in einer außergewöhnlichen Nachbarschaft. In der Umgebung befinden sich 158 Wohnungen am Wasser, 55 davon treiben. Aber das Viertel hat einen ausgesprochen städtischen Charakter, Ergebnis des sorgfältigen städtebaulichen und architektonischen Entwurfs durch das Architectenbureau Marlies Rohmer.

Treibende Häuser
Waterbuurt-West ist auf künstlichen Inseln im Ijmeer gebaut. Mit dem Boot kann man in kurzer Zeit sowohl in die historischen Grachten Amsterdams fahren als auch aufs offene Wasser hinaus. Eine Schleuse sorgt dafür, dass das Binnenmeer, auf dem die Wohnungen treiben, vom Ijmeer abgetrennt ist und somit sauber und geschützt bleibt. Mit einer Dichte von 100 Wohnungen pro Hektar ist das Viertel vergleichbar mit dem Viertel Jordaan in der Amsterdamer Innenstadt. Größte städtebau-liche Herausforderung war, das Wasser direkt herankommen zu lassen. Sie bildet nun auch die entscheidende Qualität des Viertels. Allein mit treibenden Wohnungen entlang des Ufers oder an Pieren hätte die Dichte nicht erreicht werden können. Hinzu kommt, dass das Gebiet an der wichtigsten Straße von Ijburg liegt, wodurch eine hohe Lärmbelästigung drohte. Dieses Problem wurde gelöst, indem treibende Wohnungen an Stege gelegt und längs des Weges auf eine Plattform im Wasser gesetzt wurden. Auf dieser Plattform stehen auch die Autos derjenigen Bewohner, die in treibenden Wohnungen leben. Das Parken erforderte eine eigene Maßnahme, da Autoverkehr auf den Stegen ausgeschlossen ist und ein offener Parkplatz am Kai die Atmosphäre zunichte gemacht hätte.

Freie Sicht über das Wasser
Je Steg treiben 4 bis 25 Wohnungen. In einigen Fällen sind sie in Reihen verschachtelt, wodurch auf niedrigere Preisklassen reagiert werden konnte. Drei „Pfahlwohnungen" schaffen Höhenakzente und markieren die Querbrücken zwischen den Stegen. Die Unterteilung wurde so vorgenommen, dass möglichst viele Wohnungen freie Sicht über das Wasser haben, sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite. Stege und Wohnungen schließen aneinander an, wobei die Stege öffentlich zugänglich sind: Waterbuurt ist ein Teil der Stadt, keine „gated community". Zwischen Steg und Fassade ist immer 1 m Abstand gehalten, damit das Wasser überall präsent ist.
Oberhalb der Eingangsbereiche kragen die Wohnungen leicht aus. In einem Zwischenraum unterhalb der Laufflächen aus Aluminium sind die Leitungen verlegt. Ein automatisierter Durchspülmechanismus verhindert das Aufwärmen der Trinkwasserleitungen, ein Heizband verhindert das Gefrieren im Winter. Die Zählerkästen für Gas und Strom sind in der Reling eingelassen. Zwischen dem Zählerkasten und den Wohnungen sind die Leitungen flexibel. Sie fangen den Höhenunterschied zwischen den Wohnungen, die sich mit dem Wasserpegel einige Dezimeter herauf und herunter bewegen, und dem Steg ab. Auch die Laufplanken bewegen sich mit, und für die mittlere von drei zusammengeschalteten Wohnungen wurde eine spezielle Treppe entwickelt, die auf zwei Seiten Scharniere hat.

Ijburg 1
Die Anordnung der Wohnungen bietet möglichst vielen Bewohnern freie Sicht auf das Wasser (Foto: Luuk Kramer)

Flexibles Bausystem
Die Vorder- und Rückseiten der treibenden Wohnungen sind hell gehalten mit großflächigen Fenstern und weißen Kunststoffprofilen. Die Seitenwände mildern die Ausstrahlung mit abwechselnden Weiß- und Brauntönen. Die Architektur bezieht sich auf die Wasserwelt, ermöglicht aber auch einen Wohnkomfort, der dem der übrigen Neubauten in Ijburg in nichts nachsteht. Dank des sehr flexiblen Bausystems konnten die Käufer großen Einfluss auf die Einrichtung und Ausführung ihrer Wohnungen nehmen. Sie konnten wählen, auf welcher Seite die Aussicht dominiert und auf welcher die Privatheit, oder ob die Dachterrasse vorne, in der Mitte, oder hinten liegen sollte. Der Grundriss
und die Lage der Fenster konnten persönlichen Wünschen angepasst werden. Darüber hinaus gab es verschiedene Vergrößerungsmöglichkeiten, z. B. durch eine schwimmende Terrasse, eine Veranda oder einen Umlauf.

Konstruktive Aspekte
Konstruktiv bestehen die Wohnungen aus einem Unterbau aus Beton und einem hölzernen Aufbau. Dadurch haben sie einen tiefen Schwerpunkt. Der Unterbau wurde ohne Nähte in einem Stück gegossen. Wenn er sich auch größtenteils unter Wasser befindet, ist der Unterbau doch bewohnbar. Von Hochbetten aus ergibt sich ein freier Blick nach draußen.
Die Wohnungen sind mit dem Grund des Wassers verbunden, da aus juristischen Gründen ein klarer Unterschied zu Wohnbooten gegeben sein muss. Die Verankerung an zwei Pfählen, diagonal einander gegenüber, sorgt für optimale Stabilität. Eine Schiebekonstruktion ermöglicht, dass sich die Wohnungen mit dem Wasser mitbewegen. Stabiles und gerades Liegen wird nicht nur durch die Konstruktion erzeugt, sondern auch durch das Interieur. Das Platzieren schwerer Elemente, wie z. B. der Sanitärmöbel, wurde genau berechnet und, wo notwendig, kompensiert.
Alle verwendeten Baustoffe erfordern wenig Unterhalt und setzen beim Kontakt mit Wasser keine gesundheitsschädlichen Stoffe frei.

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