Begehbares Exponat
(in: BAUKULTUR 5_2015, S. 25)
Mit dem sog. Beginenturm hat sich in Hannover eines der wertvollsten Bauzeugnisse des Mittelalters erhalten. Er ist der stärkste und repräsentativste Turm der mittelalterlichen Stadtbefestigung, der 1357 in Sichtweite der landesherrlichen Burg Lauenrode erbaut und nach dem benachbarten Beginen-Konvent benannt wurde.
Als Zeugnis mittelalterlicher Stadtgeschichte beherbergt der Beginenturm heute das Historische Museum Hannover
Historie
Anfang des 16. Jahrhunderts diente der trutzige Wehrturm als Gefängnis, danach als Torflager, Wohnung und Künstleratelier, zuletzt lange Jahre als Szenekneipe. Seit 2007 stand fest, dass der Turm unter der Obhut des Historischen Museums dem Publikum wieder zugänglich gemacht werden sollte. Das Innere wurde entkernt, es wurden Decken erneuert, zwei Brandabschnitte hergestellt und ein zusätzlicher Fluchtweg geschaffen. Im Jahr 2014 fand schließlich die Eröffnung des Beginenturms als begehbares Exponat statt. Die Sanierung fand in enger Abstimmung mit dem Historischen Museum, der Stadt Hannover und der Denkmalpflege statt. Mit der Planung war das Büro TW.Architekten, Többen & Woschek GbR, aus Hannover betraut.
Dialog der Gegensätze
Der Besucher wird von einem hohen Stahltor, dessen zweiflügelige Türen während der Besichtigungszeiten offen stehen, willkommen geheißen. Auf 4 Geschossen und einem Galeriegeschoss erlebt er durch bewusst hinterlassene Spuren früherer Nutzungen die Geschichte des Turmes. Sie reichen von der Beschaffenheit unterschiedlicher Oberflächen über erhaltene Wandmalereien bis hin zu einem Mauerwerksklotz, auf dem die Speisekarte der Gastronomie verewigt ist. Damit der Turm selbst zur Wirkung gelangt, wurden alle neu hinzugefügten Bauelemente in Material, Form und Farbe vom Bestand abgehoben und durch Fugen abgelöst. Respektvoll in Bezug auf das historische Mauerwerk wurden behutsam neue Materialien wie Stahl, Stahlbeton, Glas und Holz verwendet. Sie unterstreichen die Eigenständigkeit des Formenvokabulars im Dialog der Gegensätze zwischen alt und neu und führen zu einer wohltuenden Gemeinsamkeit.
Museumsbereich im 1. Obergeschoss
Erschließung
Eine gewendelte Sichtbetontreppe führt vom Erdgeschoss über eine Galerieebene in das 1. Obergeschoss, in dessen Gewölbedecke ein sog. Angstloch, durch das die Häftlinge in den Kerker hinabgelassen wurden, freigelegt wurde. Über schmale, in früheren Zeiten in das 3 m starke Mauerwerk eingelassene Treppenstufen gelangt man in das 2. Obergeschoss und von dort auf die Terrasse der Besucherwerkstatt. Eine weitere Treppe führt in das 3. Obergeschoss, in dem eine marode Holztrennwand durch eine raumhohe Stahlwandscheibe ersetzt wurde. Diese übernimmt bei Bedarf die Funktion einer Muldimediawand, bildet jedoch in erster Linie das Rückgrat für eine leichte Stahltreppe, die in die oberste Galerieebene führt. Hier gibt der Beginenturm einen beeindruckenden Blick über die Altstadt Hannovers frei.