Zum Erhalt der Gleishalle des Oldenburger Hauptbahnhofs
(in: BAUKULTUR 3_2016, S. 12-13)
Die Deutsche Bahn AG beabsichtigt, die Gleishalle des Oldenburger Hauptbahnhofs abzubrechen und stattdessen einzelne Bahnsteigdächer auf den drei Mittelbahnsteigen zu errichten. Der Landschaftsverband „Oldenburgische Landschaft“, der Kultur und Wissenschaft initiiert und fördert, lehnt diese Planung entschieden ab.
Jedes der drei gewölbten Dächer am Oldenburger Hauptbahnhof überspannt stützenfrei einen Mittelbahnsteig
Die Gleishalle des Oldenburger Bahnhofs ist die einzige erhaltene Bahnsteighalle in Niedersachsen. Ihr Verlust würde die bisher vorbildlichen Bemühungen um die denkmalgerechte Instandsetzung dieses Bahnhofes konterkarieren. Zusammen mit dem Empfangsgebäude und dem Fürstenbau ist die Gleishalle konstitutiver Bestandteil des einmaligen Ensembles „Hauptbahnhof Oldenburg“, dessen überregionale Bedeutung als Denkmal allgemein anerkannt ist.
Visitenkarte für die Stadt
Als bauliches Zeugnis spiegelt der Oldenburger Hauptbahnhof die gesellschaftlichen Zustände seiner vorrepublikanischen Erbauungszeit von 1911–1915 wider: Mit dem Fürstenbau stand dem Großherzog ein eigenes Empfangsgebäude in Formen des Jugend- und Heimatstils zur Verfügung, das mit hohem Aufwand von 2000–2003 denkmalgerecht instandgesetzt wurde. Die Gleishalle erfuhr keine entsprechende Aufmerksamkeit, auch nicht bei der Bauunterhaltung. Dabei ist das stählerne Ingenieurbauwerk zur selben Zeit wie das Empfangsgebäude und der Fürstenbau errichtet worden. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Hauptbahnhofs erklärte die Leiterin des Regionalbereichs Nord bei der DB Station und Service AG: „Der Oldenburger Hauptbahnhof [...] gilt bis heute als einer der schönsten Bahnhöfe Norddeutschlands“, und Oberbürgermeister Krogmann stellte bei dieser Gelegenheit fest: „Unser Bahnhof ist eine ausgezeichnete Visitenkarte für die Stadt – und gleichzeitig ein spannendes Stück Stadtgeschichte: vom Großherzogtum bis zur Universitätsstadt, von der Dampflok bis zum ICE, von der Tradition zur Moderne.“
Gleishallen in Deutschland
In Deutschland wurden in der Vergangenheit 42 Gleishallen abgebrochen – vor allem infolge von Kriegszerstörungen. Hierzu zählen in Norddeutschland die Hallen der Hauptbahnhöfe in Braunschweig, Bremerhaven, Hannover, Magdeburg und Münster sowie die Hallen des Amerikabahnhofs Cuxhaven und des Bahnhofs Husum. Heute gibt es in Deutschland noch 72 Bahnhöfe mit einer Gleishalle, davon liegen 28 an Strecken der S- und U-(Hoch-)Bahn in Berlin und Hamburg. Insofern existieren nur noch 44 Fernbahnhöfe mit einer Gleishalle. In der allgemeinen Wahrnehmung markieren Gleishallen häufig den Übergang vom Regionalnetz zum Fernbahnnetz. Von den norddeutschen Fernbahnhöfen haben nur noch Hamburg Hbf und Dammtor sowie Bremen Hbf und Oldenburg Hbf eine historische Gleishalle. In Lübeck wurde die Gleishalle unter Verwendung historischer Elemente erneuert, und in Kiel wurde nach 1999 eine moderne Gleishalle errichtet.
Die Stützen der genieteten Stahlrahmen haben ihre Fußpunkte auf den heute funktionslosen, schmalen Gepäckbahnsteigen
Frühmoderne Ingenieurbaukunst
Bei der Oldenburger Halle handelt es sich um eine dreischiffige, genietete Stahlkonstruktion, deren Rahmen als elegante Doppel-T-Profile ausgebildet sind. Sie bestehen aus Stegblechen mit angenieteten L-Profilen als Ober- und Untergurte. Damit markiert das Bauwerk einen wesentlichen Schritt in der Entwicklung des modernen Stahlbaus und ist ein herausragendes Beispiel frühmoderner Ingenieurbaukunst: Die Rahmen mit Stützen und Trägern sind nicht als Fachwerke mit Einzelstäben ausgeführt, sondern als vollwandige Bauteile. Heute gibt es vergleichbare Konstruktionen, die allerdings nicht mehr genietet, sondern geschweißt sind.
Stützenfreie Überspannung
Jedes der drei Dächer am Oldenburger Hauptbahnhof überspannt stützenfrei einen Mittelbahnsteig, der zwischen zwei Gleisen liegt. Die Stützen der dreifeldrigen Stahlrahmen mit den Korbbögen haben ihre Fußpunkte auf den heute funktionslosen, schmalen Gepäckbahnsteigen – unzugänglich für das Publikum, jeweils auf der anderen Seite des Gleises.
Die Gestaltung der Halle weist noch eine weitere Besonderheit auf: In ihren Scheitelzonen haben die drei flachen Halbtonnen heute wie vor 100 Jahren eine geschlossene Deckung aus Leichtbetonelementen, während weiter unterhalb eine großzügige Verglasung aus Drahtglas das Tageslicht hereingelassen hat. Mit einem ausreichend breiten Spalt im Dach war dafür gesorgt, dass über den Gleisen Dampf und Ruß der Lokomotiven und später dann die Abgase der Dieselantriebe nach oben entweichen konnten. Die Anordnung der Drahtglas-Elemente schützte die Bahnsteige vor Schlagregen. Im Februar 2013 hat die Deutsche Bahn sämtliche Drahtglasscheiben entfernen lassen. Seitdem bieten die Skelette der glaslosen Rahmen einen traurigen Anblick, aber keinen Wetterschutz.
Denkmalschutz-Belange
Obgleich es sich um ein Baudenkmal handelt, möchte die zuständige Tochtergesellschaft der DB-AG die Gleishalle abbrechen – aus Kostengründen. Stattdessen sind standardisierte Einzelüberdachungen für die Bahnsteige vorgesehen, die keinerlei Bezug auf die historische Konstruktion nehmen. Vermisst wird die Prüfung von Möglichkeiten, die Konstruktion durch Verwendung moderner, leichter Materialien (z. B. textiler Membranen) zu entlasten, um auf diese Weise das Tragwerk zu erhalten. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Belange des Denkmalschutzes bereits vor der Einleitung eines öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens beim Eisenbahnbundesamt dadurch ausgeblendet werden sollen, dass nur die Variante „Abbruch Gleishalle – Neubau Bahnsteigdächer“ Gegenstand des Verfahrens wird.
Entwicklung von Alternativen
Die Oldenburgische Landschaft erwartet, dass die DB-AG alle Möglichkeiten ausschöpft, die Gleishalle zu erhalten, zumal sie als bundeseigenes Unternehmen gehalten ist, mit ihrem eigenen Denkmalbestand verantwortlich umzugehen. Es ist nicht zu vertreten, dass anstelle der Gleishalle lediglich ein Wetterschutz aus einzelnen Bahnsteigdächern errichtet werden soll. Deshalb fordert die Oldenburgische Landschaft die DB-AG auf, diese Planung für die Bahnsteigüberdachung am Oldenburger Hauptbahnhof nicht weiter zu verfolgen, sondern in Absprache mit den Denkmalschutzbehörden Alternativen zu entwickeln. Die Oldenburgische Landschaft ist zu Gesprächen darüber gerne bereit.
Dieses Memorandum wurde gemeinsam mit Vertretern des Oldenburgischen AIV, des BDA und der Architekturabteilung der Jade-Hochschule erarbeitet.