Bekommt der Lehrter Bahnhof eine Kathedraldecke?

Eine Frage beschäftigt Planer und Bauherren gerade großer Bauvorhaben immer wieder: Darf ein Bauherr den Entwurf eines Architekten nach eigenen Vorstellungen verändern? Nun hat am 28.11.2006 das Landgericht Berlin dem Architekten von Gerkan bei seiner Auseinandersetzung der Deutschen Bahn Recht gegeben. Hintergrund war, dass von Gerkan eine sogenannte Kathedraldecke geplant hatte, die dem Raum Leichtigkeit und Höhe geben sollte, während die Bahn aus finanziellen Gründen mit Hilfe eines anderen Architekten eine flache, abgehängte Decke in der Nord-Süd-Halle im Untergeschoss einziehen ließ. Von Gerkan pochte auf sein Urheberrecht, während Hartmut Mehdorn dagegen hielt: „Der Bauherr eines Eigenheims lässt sich auch nicht vom Architekten vorschreiben, welche Decke in sein Wohnzimmer kommt."

Dieser aktuelle Fall, dessen Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind und der wahrscheinlich auch noch weitere Instanzen beschäftigen wird, soll Anlass sein, die Frage der Reichweite des Urheberrechts des Architekten kurz zu skizzieren. Grundsätzlich sind auch Werke der Baukunst geschützte Werke nach § 2 Urheberrechtsgesetz (UrhG), wo es heißt: (1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere: …. 4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke.

Wann aber wird Planung und Gebäude nun tatsächlich ein schützenswertes Urheberrecht zugebilligt? Natürlich ist das nicht bei jedem 08/15-Gebäude der Fall, sondern nur ab einer gewissen Gestaltungshöhe. Es muss sich also um mehr als eine bloße ordentliche Lösung einer fach- und zweckgebundenen Aufgabe durch Anwendung bautechnischer und architektonischer Lösungsmittel handeln. Nach herrschender Meinung genießt ein Werk der Baukunst urheberrechtlichen Schutz jedenfalls dann, wenn sein ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise (nicht Fachleute, sondern mit Kunstdingen einigermaßen vertraute Menschen!) von einer Leistung gesprochen werden kann, die sich deutlich vom durchschnittlichen Architektenschaffen abhebt (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 30.04.2003, AZ 3 O 861/99 m.w.N.).
Wenn nach diesen Kriterien für ein Bauwerk (oder auch für die bloße Planung, da bereits diese geschützt ist) der Urheberrechtsschutz bejaht wird, steht dem Planer eine Vielzahl von Ansprüchen zu. Dies beginnt mit dem Recht, die Vervielfältigung des Bauwerks durch Lichtbilder oder Film ohne seine Zustimmung zu verbieten. Nach § 59 UrhG ist ohne Zustimmung nur eine Abbildung des Teils des Gebäudes zulässig, die von der Straße und von einem dem Publikum allgemein zugänglichen Ort aus hergestellt wird, nicht aber die Abbildung mit einer besonderen Perspektive. So wurde eine Postkarte des Hundertwasser-Hauses in Wien, das von einem oberen Stockwerk des gegenüber liegenden Hauses fotografiert wurde, vom Bundesgerichtshof wegen Verletzung des Urheberrechts untersagt (BGH, Urteil v. 5.6.2003 I ZR 192/00). Bei (zulässiger) Verwendung von Lichtbildern hat der Planer auf jeden Fall Anspruch auf Nennung als Urheber.
Während die vorstehenden Dinge kaum Grund für Auseinandersetzungen bieten sollten, geht es bei den wirklich streitigen Fällen zumeist um Eingriffe in Planung und Bauwerk selbst, wie auch in dem jetzt beim LG Berlin entschiedenen Fall. Dabei bietet § 97 UrhG dem Urheber eine scharfe Waffe, wenn sein Werk erst einmal als geschütztes Werk anerkannt ist. Denn dann kann er Beseitigung oder Unterlassen unberechtigter Eingriffe verlangen oder Schadensersatzansprüche (Ausgleich für unberechtigte Nutzung seiner Planung, Schadensersatz für die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts) geltend machen.
Änderungen und andere Eingriffe sind jedenfalls grundsätzlich nicht zulässig. Eine Ausnahme billigt die Rechtsprechung dem Eigentümer nur dann zu, wenn Änderungen oder Erweiterungen unter Abwägung der Interessen des Urhebers und des Eigentümers für den Urheber noch als zumutbar erscheinen und keine Entstellung des Werkes bedeuten. Starre Richtlinien für die Abwägung zwischen Nutzungsinteressen des Eigentümers und den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Urhebers gibt es nicht, sondern alles ist Einzelfallentscheidung. Verallgemeinernd kann man aber wohl sagen, dass für die Nutzung notwendige Sanierungen oder Erweiterungen eher zumutbar sind als bloße Änderungen zur Kostenersparnis und dass andererseits das Recht des Urhebers desto höher angesiedelt ist, je mehr es sich um ein klassisches Referenzobjekt in zentraler Lage handelt. So wäre dies beim Olympiastadion in München, aber auch beim Lehrter Bahnhof zu sehen.
Vertragsklauseln, die eine Änderung nach Fertigstellung erlauben, auch ohne dass der ursprünglich tätige Architekt beauftragt werden muss, helfen dem Auftraggeber wenig, da die Rechtsprechung dies gerade nicht als Einwilligung zur "Entstellung des Werkes" ansieht. Hier müsste sicherlich eine ganz individuell ausgehandelte Regelung vereinbart werden, die auch "Entstellungen" ausdrücklich für zulässig ansieht. Frei ist der Eigentümer nur dann, wenn der Architekt ihm die gesamten Nutzungsrechte verkauft. Ein Architekt hat in einem vom Kammergericht entschiedenen Fall ein Honorar von 500.000 DM für die "Abgabe des Urheberrechts" vereinbart. Zwar kann aus rechtlichen Gründen das Urheberrecht nicht übertragen werden, wohl aber dessen ausschließlichen Nutzungsrechte. In diesem Fall ist der Eigentümer zu allen Änderungen berechtigt (KG, Urteil v. 30.07.2000 – 4 U 122/97).
Ohne die Einzelheiten des Falles vor dem LG Berlin zu kennen, lässt sich auf Grund der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien schon jetzt vermuten, dass im Ergebnis der Lehrter Bahnhof wohl eine Kathedraldecke bekommen wird.

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