Verleihung des DAI Literaturpreises 2007

Laudatio für Prof. Max Bächer
BDA Präsident Kaspar Kraemer würdigt den DAI Literaturpreisträger 2007

Sehr verehrte Damen, meine Herren,

sehr geehrter Professor Max Bächer,
oder aber ganz einfach: lieber Max!

Zur Verleihung des Literaturpreises des DAI haben wir uns heute am 29.9.2007 im Literaturhaus in Frankfurt am Main versammelt, um Dich, lieber Max, auszuzeichnen und zu feiern. Präsident Baumgart hat die Gründe für diese Auszeichnung schon kurz angesprochen und ich danke ihm für diese präzis-knappe, aber genaue Würdigung Deines Werkes, der ich kaum etwas hinzuzufügen wage. So könnte ich mich eigentlich jetzt ganz entspannt zurücklehnen, weil das Entscheidende schon gesagt ist. Da mir aber die Ehre zuteil geworden ist, doch noch als Festredner das eine oder andere apercu, die eine oder andere Anekdote, die eine oder andere Botschaft an die Worte meines verehrten Vorredners anzuhängen, will ich das versuchen, in der Hoffnung, nicht durch zu große Nähe zu Dir, lieber Max, "unwahr wie ein Festredner zu werden" wie Thomas Mann es einmal genannt hat.
Dass ich heute hier stehe, hat seinen Grund und ich will Ihnen, sehr verehrte Festversammlung, ihn natürlich nicht vorenthalten: Ich war Schüler von Max Bächer, nachdem ich 1969 an der damals noch so genannten TH Darmstadt zu studieren begonnen hatte und Max Bächer also schon als Student erleben durfte. In dem Diplom folgenden Jahren sind wir selten und unregelmäßig zusammengetroffen, bis meine Tätigkeit als Präsident des Bund Deutscher Architekten BDA seit 2001 uns erneut und vertiefend zusammenführte und somit der BDA als weiteres Band uns zusammenschloss, sozusagen als abschließende, endgültige, nicht mehr aufzulösende Fessel unseres gemeinsamen Weges, ja – wenn mir das als Jüngerem erlaubt ist zu sagen – unserer Freundschaft.
Als solche will mir unsere vor fast 38 Jahren – meinerseits schüchtern – ehrfurchtsvoll begonnene – Bekanntschaft erscheinen, auch wenn wir räumlich immer getrennt waren und unsere Begegnungen an den Händen zu zählen sind. Dennoch erscheint mir unser langjähriges Miteinander, das heute Abend eine erneute Belebung erfährt, mehr als die nur oberflächliche Begegnung zwischen Lehrer und Schüler: Ich habe den Eindruck, als ob es eine geheime Notwendigkeit gäbe, dass ich heute Abend hier stehe und zu Dir sprechen darf: Es ist, als ob ein Kreis sich schlösse und der Schüler nach mancherlei Wendung, in Erinnerung, Dankbarkeit und gemeinsamer Haltung wieder zu seinem Lehrer findet.
Letztlich sahen wir uns bei der Eröffnung der Ausstellung zu Ehren meines Vaters, die anlässlich seines 100. Geburtstages von Frau Professor Karin Wilhelm und der Technischen Universität Braunschweig am 10. Mai diesen Jahres ausgerichtet wurde. Dabei war auch Brigitte Eiermann, die ich leider heute Abend nicht begrüßen kann, aber ich hatte durch sie und von der Ausstellung zu Ehren Egon Eiermanns 2004 die Idee aufgenommen, eine solche Würdigung, mit der die TU Karlsruhe, ihren bedeutensten Lehrer ehrte, auch der Braunschweiger Universität vorzuschlagen: Nämlich einen Rückblick zu bringen auf die Braunschweiger Schule, die so wirkungsvoll prägend für die Nachkriegsarchitektur war. Dass wir heute Abend, – wie vielleicht Einige wissen – auch den 103. Geburtstag von Egon Eiermann feiern, gibt dieser Veranstaltung in der erinnernden Zusammenfassung dieser unterschiedlichen, sich aber aneinander schätzenden und auch freundschaftlichen miteinander verbundenen Persönlichkeiten zusätzlich einen besonderen Charakter...
Vielleicht ist dieser Auftakt der Erinnerung symptomatisch für meine Gedanken, die ich heute Abend in etwas über 20 Minuten vor Ihnen ausbreiten möchte. Denn Erinnerung ist es natürlich, die mich bewegt, wenn ich hier zu Ehren von Max Bächer vor Ihnen reden darf. Unweigerlich geht bei dem Gedanken an seine Würdigung, die Darstellung seiner Verdienste zuerst der Blick auf die Anfangsjahre unserer Begegnung damals in Darmstadt im Herbst 1969, als ich an einem grauen regnerischem Novembertag, aus dem Grundwehrdienst entlassen, in der mir fremden und ausgesprochen trostlos erscheinenden Stadt Darmstadt eintraf. Ich hatte keine Ahnung, was mich an Erweiterung, Zuwachs und Entwicklungsmöglichkeiten erwartete.
Max Bächer war unsere erste persönliche, eindrückliche Erfahrung eines Hochschullehrers, die Personifikation des Architekturlehrers schlechthin, Lehrer auf besondere, beeindruckende Art, locker, im offenen Jackett, mit Rollkragenpullover - das trug man damals - 44 Jahre alt, souverän, leger, eine freie Persönlichkeit, unabhängig und offen. Für uns war er eine Offenbahrung.
Sein Lehrstuhl war ein lichter Raum und beim Betreten fiel der erste Blick auf den legendären, vom Oberlicht bestrahlten Papyrus, in der neuen Architekturfakultät auf der Lichtwiese, ein Raum, den man gerne betrat und dem Max Bächer ohne offensichtliche Strenge, aber mit Charme und Führungswillen regierte. Er war für uns die Inkarnation von Freiheit, freier Lehre, freiem Studium im Sinne von Muße, von zwangloser Ausbildung des Ichs zu neuen unbekannten Ufern. Vergleicht man diese Zeit mit dem Heute und seinen Bachelor- und Masters-Debatten, ist man dankbar erstaunt, welche Freiheit wir damals genossen.
Max Bächer war in dieser Zeit "die THD", die Technische Hochschule Darmstadt schlechthin und er hat es aus dieser Position heraus verstanden, all jene bedeutenden Lehrer nach Darmstadt zu holen, die uns in den folgenden Jahren zu Mitwirkenden werden ließen, am Aufbau jener Darmstädter Schule, die von Walter Belz, Günter Behnisch, Peter Steiger, Helmut Striffler und Thomas Sieverts geprägt wurde, wie auch den Professoren Koch und Knell, Grzimek und Müller-Linow. Sie formten jenen Lehrkörper, in dem Max Bächer als "spiritus rector" entscheidend wirkte, daraus aber durchaus keinen besonderen Anspruch ableitete oder eine besondere Rolle zu prätendieren versuchte. Die Zeit war unruhig, die 68er Generation prägte ihren Geist und wir hatten Anteil daran. Die Unruhe jener Jahre fand Ausdruck in spontanen Aktionen, wie jener Inbesitznahme der sterilen Eingangshalle des Normenbaus der Architekturfakultät, die wir nach einem Vortrag von Hermann Hertzberger in der von Max Bächer initiierten legendären Mittwochsvorlesungsreihe in einen Ort der Begegnung zu verwandeln suchten. Max Bächer unterstützte unsere aus "revolutionärer Rage" initiierte Aktion und sorgte dafür, dass Hochschulverwaltung und Bauaufsicht uns gewähren ließen. In diesem Bild als fürsorgender Steuerer und auffangender Mediator sehe ich ihn bis heute. Offen für die Jungen und doch wissend um die einschlägigen Schwierigkeiten, nüchtern und zugleich begeisterungsfähig, kritisch und bejahend. So hat er eine ganze Ära Darmstädter Architekturlehre mitbestimmt und dem Neuen den Weg geebnet. Das geschah nicht immer lautlos, aber getragen von jenem gelassenen Verstehen, dass das Vorrecht des Wissenden ist und das nicht ohne die Melancholie des Älteren zustande kommt. Erstaunlich bis heute seine vitale Frische, die Unbekümmertheit, die auch frech und unerzogen daherkommen konnte, wenn er die filterlose Reval auf dem strapazierfähigen Stampfasphaltplatten zerknirscht und wütend austrat. Dafür bewunderten wir ihn und auch wenn wir damals schon gewusst hätten, dass solche Gesten Teil seines Kohlhaasschen Erbes waren, hätten sie uns nicht weniger beeindruckt...
Max Bächer war insofern eine Lichtgestalt. In seinen Seminaren wurde nicht nur gezeichnet, sondern auch gelesen und unsere neuen Entdeckungen in der Literatur wurden ernst genommen und thematisiert. Es war eine Zeit des Aufbruchs und Bächer war jemand, der das Gefühl vermittelte, er wisse, worum es uns ging. Diese Mischung von Verstehen wollen, von Anerkennung und von Gelten lassen, war etwas, das ihn auszeichnete. Er war unser Lehrer, der Raum gab, der Gedanken zuließ, nicht unterdrückte, sondern kanalisierte, indem er Richtungsvorschläge machte, Anregungen und Beispiele aufzeigte, wo ähnlich Gedachtes schon einmal zum Ziel geführt hatte. Ich erinnere mich genau jener Stunde, wo wir eines Tages am Nachmittag die "Minima Moralia" von Theodor W. Adorno und Ehrhart Kästners "Aufstand der Dinge", zwei durchaus im Geistig-Gedanklichen konträre Persönlichkeiten zusammenbanden in ihrer Kritik an der Wirklichkeitswahrnehmung und -gestaltung der Jetzt-Zeit, in dem beide Autoren nämlich einen Überschuss anmahnten, einen Überschuss, der den Dingen eigen sein müsse, wollten sie Bedeutung für unser Leben erhalten bzw. behalten. Und ich erlaube mir diese beiden Stellen hier in diesem Literaturhaus zu zitieren, nicht nur weil Adorno hier in Frankfurt gelehrt hat, sondern weil ich der Auffassung bin, dass es eine schöne, auch heute noch gültige Rückerinnerung ist:
Theodor W. Adorno: "Nicht anklopfen", Minima Moralia:
"Die Technisierung macht einstweilen die Gesten präzis und roh und damit die Menschen, sie treibt aus den Gebärden alles Zögern aus, allen Bedacht, alle Gesittung, sie unterstellt sie den unversöhnlichen, gleichsam geschichtslosen Anforderungen der Dinge. So wird etwa verlernt, leise, behutsam und doch fest eine Tür zu schließen. Die von Autos und Frigidaires muss man zuwerfen, andere haben die Tendenz, von selber einzuschnappen und so die Eintretenden zu der Unmanier anzuhalten, nicht hinter sich zu blicken, nicht das Hausinnere zu wahren, das sie aufnimmt. Man wird dem neuen Menschentypus nicht gerecht, ohne das Bewusstsein davon, was ihm unablässig bis in die geheimsten Innervationen hinein von den Dingen der Umwelt widerfährt. Was bedeutet es fürs Subjekt, dass es keine Fensterflügel mehr gibt, die sich öffnen ließen, sondern nur noch grob aufzuschiebende Scheiben, keine sachten Türklinken, sondern drehbare Knöpfe, keinen Vorplatz, keine Schwelle gegen die Straße, keine Mauer um den Garten? Am Absterben der Erfahrung trägt Schuld nicht zum Letzten, dass die Dinge unter dem Gesetz ihre reinen Zweckmäßigkeit eine Form annehmen, die den Umgang mit ihnen auf bloße Handhabung beschränkt, ohne einen Überschuss, sei es an Freiheit des Verhaltens, sei es an Selbstständigkeit des Dinges zu dulden, der als Erfahrungskern überlebt, weil er nicht verzehrt wird vom Augenblick der Aktion."

Und dann Erhart Kästners: "Aufstand der Dinge"
"Wenn die Dinge sich wegziehen – : weggezogen, das andere Wort für abstrakt. Wegzug der Dinge und das Abstrakte rückt nach.
Und wenn es so käme, wenn die Dinge sich zuschlössen – : Würde sich alsdann nicht erweisen, dass wir ohne Vertrag mit ihnen nicht sein können? Dass wir abstürben?
Ist das nicht schon im Gang? Wie kam es, dass Chirico schon vor 50 Jahren die Plätze der alten Städte so feierlich verstorben gemalt hat, Monumente kopflos: Bestattungs-Feiern der Dinge? Man nahm es so hin, dass Maler und Dichter die Welt auf einmal so kahl sahen; es war ihre Sache, interessant, es war eben ihre Marotte. Bald darauf sahen sie Wüste.
Also die Dinge sind tot. Nicht Gott ist tot, aber die Dinge; es war ein Nachrichten-Versehen, ein Übermittlungsfehler, eine Falschmeldung. Die Dinge sind tot und wir (das war richtig) wir waren es, die sie erforschten, erwürgten und umbrachten. Wir waren es, die uns der Sünde schuldig machten, der Welt – Sünde einer Ehren-Kränkung der Dinge.
Von je her hatten sie von der Mühe gelebt, die man sich um sie machte. Schwer begreiflich, aber um Mühe gaben sie Leben. Man wollte sie mühelos, man wollte sie hergestellt haben. Das gelang auch. Aber um den Preis ihres Lebens.
Zwar gibt es noch Viele, die den Tod der Dinge nicht wahrhaben wollen. Sie ertragen die Nachricht nicht, sie gleichen den Müttern, die ein Jahrzehnt die Nachricht verweigerten, ihre Söhne seien auf den Schneefeldern zugeweht worden und sagten: Ich weiß es, er lebt noch. Eines Tages aber werden es Alle einsehen und sich gestehen müssen, dass die Dinge tot sind. Dann wird in den Zeitungen stehen: Wie erst jetzt bekannt wird, sind die Dinge verstorben. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Aber zur Zeit dieser Meldung werden nicht mehr Viele verstehen, was gemeint ist. Nur sehr alte Leute werden sich erinnern, in ihren jungen Tagen davon gehört oder gelesen zu haben: Irgendwann einmal, vor Zeiten, lustige Vorstellung, sollen die Dinge, der Mond und der Bach und die Tanne, die Stadt und die Bucht und das Kornfeld gelebt haben."
Das waren zwei gedankliche Positionen, die damals, 1972, unsere Diskurse bestimmten. Sie "grundierten" sozusagen unsere Arbeit, provozierten Nachdenklichkeit, Fragen und Austausch, dies war der Geist, der in jenen Seminaren aufschien und für den Max Bächer stand. Er forderte Lesen, Abwägen, Studium, Fragen ohne schnelle Antworten, Kritik und Analyse, die sich schlussendlich doch dem Produktiven wieder zuwandte, dem Entwerfen, der Arbeit am Entwurf, dem Versuch im Gebäude, im Ergebnis, Gedanklichkeit aufscheinen zu lassen, gemäß dem wunderbaren Wort von Saul Steinberg: "Zeichnen ist eine Form des Nachdenkens auf dem Papier". Und wenn man den Begriff "Zeichnen" mit "Entwerfen" übersetzt, hat man das erfasst, was uns damals bewegte.
Das also war das Werk von Max Bächer und er selber war ja derjenige, der reflexiv mit seinem eigenen Schaffen umging, weshalb er zum Meister der Beurteilung, zum Meister des Urteils wurde. Nicht nur als Lehrer, als Professor, im Sinne des "profiteri", des "Bekennens", sondern eben auch als Preisrichter und darüber hinaus als Schreibender, als kritisch Beobachtender, als intellektuell analysierender Architekt. Dies ist selten, denn Architekten scheinen sich etwas darauf zu Gute zu halten, nicht exakt formulieren zu können, mehr zu vernebeln, als zu erhellen. Wer aber hat besser und präziser dieses Schwadronieren der Kollegen zerlegt, als er, wer genauer die Phraseologie der Erläuterungsberichte von Wettbewerben seziert, als er, wer hat den Finger in die Wunde unbeholfener Sprachlichkeit bis zur Heiterkeit gelegt, als dieser Max Bächer? Und in seinen zahlreichen Artikeln, Essays, Vorträgen und Reden, das Ungenaue und Eitle entlarvt bis zur Lächerlichkeit? Da war eine Lust an der Sprache, am Wort, am Begriff, die Freude an der Formulierung, auch an der Sottise, der teilweise ätzend scharfen Kritik dem Unredlichen gegenüber, das hellhörig machte und das Richtige sagte. Hier war und ist jemand, der die Dinge genau nahm, hinter die Kulissen guckte und entlarvte, Kritik übte im besten Sinne. Unvergessen seine Philippika angesichts der Erläuterungsberichte, unvergessen seine zahlreichen Einleitungen zu Themenheften unserer Zeitschrift "Der Architekt", dessen redaktionellem Beirat er viele Jahre angehörte. Er war es, der über Kitsch schrieb und den legendären Satz prägte: "Wer frei von Kitsch ist, der werfe den ersten Zwerg". Der lapidar angesichts zu apodiktisch vorgetragener Statements zur Baukultur formulierte: "Baukultur ist in, man wäscht sich wieder" und der zahlreiche fiktiv aufgezeichnete Gespräche zwischen aus der Baugeschichte hervorgehobenen Persönlichkeiten der Architektur erfand und über diese grandiosen Zwiegespräche über die Jahrhunderte hinweg Erkenntnis vermittelte und Nachdenklichkeit anstiftete wie bei dem legendären Dialog zwischen Iktinos, dem Erbauer des Parthenon und Mies van der Rohe, die er beide über das Eckproblem philosophieren ließ und dabei Phraseologie, Eitelkeit und Wissenswertes souverän zusammenfasste oder aber in einem anderen "Interview" die 100-jährigen zu Wort kommen ließ, die sich zu Recht über falsche Zuordnung und Beurteilung verwahrten und denen er Äußerungen in den Mund legte, die die politische Korrektheit – die es bekanntlich ja auch in der Architekturkritik gibt – zähneknirschend hinnehmen musste.
In diesen knappen Skizzen leuchtete mehr Erkenntnis und Wissen auf, als in seitenlangen Traktaten und umständlichen Berichterstattungen. Sie waren geistreich und erhellend, Salz in der gereichten Suppe, deren Schalheit sofort offenbar wurde durch seine Formulierung. Zu Recht wird Dir, lieber Max, heute deshalb der Literaturpreis des DAI überreicht, die angemessene Anerkennung jahrelanger Bemühungen, Redlichkeit nämlich zu ihrem Recht kommen zu lassen. Erkennbar dabei die Lust am Wort, die sich in über 300 Beträgen, in Schriften und Büchern manifestierte und äußerte. Ist es vielleicht das Süddeutsche, dass schillersche Erbe, das sich darin meldet? Die Freude am funkelnden Begriff, an Analyse und präziser Erkundung des zu behandelnden Gegenstandes, an jener Geistigkeit, die die Grundlage bildet für Kritik und Weiterführung zum Besseren? War es nicht Schiller, der in seinem großen Gedicht "Das Ideal und das Leben" jene Geistgeprägtheit künstlerischer Produktion aussprach, die bis heute für uns das Wesen jeder artistischen Artikulation, sei es in der Skulptur, im Gedicht, in der Malerei oder eben auch in der Architektur auszumachen scheint:
"Wenn das Tote bildend zu beseelen,
mit dem Stoff sich zu vermählen,
tatenvoll der Genius entbrennt,
da, da spanne sich des Fleißes Nerve
und beharrlich ringend unterwerfe
der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleicht,
rauscht der Wahrheit tief versteckter Born
nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
sich des Marmors sprödes Korn.
Aber dringt bis in der Schönheit Sphäre
und im Staube bleibt die Schwere
mit dem Stoff, den sie beherrscht, zurück.
Nicht der Masse qualvoll abgerungen,
schlank und leicht wie aus dem Nichts entsprungen,
steht das Bild vor dem entzückten Bild."

Wie sagte doch Thomas Mann in seiner großen Rede 1955 anlässlich des 150. Todestages von Schiller nach dem Zitat dieser Zeilen: "Wie ist das gesagt! Wie verbindend leiht es Sprache – pathetisch, aber exakt – dem Sinnen und Trachten jeder künstlerischen Existenz!"
Exaktes Pathos, also genaue Begeisterung: Ist es nicht das, dessen wir alle bedürfen und ist es nicht das, was auch hinter den Beiträgen von Max Bächer stand und steht? Ist es nicht diese analytische Genauigkeit, die wir brauchen, um uns selbst über den Sinn unserer Arbeit klar zu werden, jenem Sinn, den wir der Gesellschaft vermitteln wollen, mit unserem ehrenamtlichen Engagement, sei es nun in den AIV, dem DAI oder eben auch im BDA? Jenen Wert, den gute Planung ausmacht, die Unabhängigkeit des Freien Berufes, als verantwortlich begriffene Treuhänderschaft für eine besser gestaltete Wirklichkeit? Ist es nicht die Kritik, die uns befähigt, genau zu sein, uns richtiger und besser handeln lässt, uns unserer Verantwortung im Handeln deutlicher bewusst werden lässt? Ich denke, dass in diesen Zeilen das zu finden ist, was Max Bächer auszeichnet und weshalb wir ihn hier heute zurecht feiern!
Vor einer Woche tagte der 2. Konvent zur Baukultur in Potsdam. Die Stiftung ist eingerichtet und kann ihre Arbeit beginnen. Du, lieber Max, hast ihre Werdung kritisch begleitet, hast Dich auch gewehrt gegen manche Anmaßung, die man nachvollziehen kann, hast nicht zu Unrecht gewarnt vor falschen Weichenstellungen. Aber dass hier ein neuer interdisziplinärer Denk-, Diskurs- und Dialograum entsteht, dem man viel Positives abgewinnen kann, der sich kritisch und wach dem Zustand der Baukultur unseres Landes zuzuwenden versucht, das wirst auch Du als Positivum vermerken. Die Stiftung ist in meinen Augen ein Ergebnis auch Deiner Erfahrung, Deiner jahrelang bewertenden und beharrlichen Arbeit und vielleicht auch die institutionalisierte Fortsetzung Deiner anmahnenden Anregungen. Vielleicht entsteht hier eine Instanz, die Verbände und Institutionen übergreifend vorantreibt, was auch Dich immer bewegt hat: Nämlich die Schaffung einer ästhetisch funktional und vernünftig geordneten Baukultur, die das Bewusstsein unserer Zeit auf hohem Niveau widerspiegelt und Einfluss nimmt auf die Verfahren und Ergebnisse der baulichen Produktion in unserem Land. Das dies Not tut, steht außer Frage, denn betrachtet man den Zustand unserer öffentlichen Räume, das Chaos der Zwischenstädte und den Wildwuchs der Verkehrsinfrastrukturen mit Leitplanken, Schildern und Ampeln, bis hin zu den abgrundtief hässlichen, der Fälschungssicherheit unterworfenen KFZ-Kennzeichen ohne graphisch-ästhetische Beratung – die Du zu Recht als einer der ganz Wenigen scharf kritisiert hast – so wird überdeutlich, wie viel wir in unserem vom Krieg äußerlich und vor allem innerlich zerstörtem Land immer wieder und immer noch zu tun haben. Dass Du mit Deinen Worten, Deinen Reden, Deinen scharfen präzisen und sogleich heiteren Kritiken darauf hingewiesen hast, ist Dein bleibendes Verdienst, über Deine Leistung als Architekt hinaus. Ich verneige mich vor Dir für dieses Vermächtnis als Dein Schüler, Dein Freund, als freier Architekt, der durch Dich sich aufgefordert sieht, die wirklich wichtigen Dinge, nämlich die geistigen Dinge öffentlich zu machen, zu Sprache zu bringen und in der Gestaltung unserer Umwelt Wirklichkeit werden zu lassen. Dass es uns nicht egal ist, wie unsere Welt aussieht, dass wir uns herausgefordert fühlen, an ihrer Verbesserung zu arbeiten, dass wir uns gestärkt sehen in unserer schwierigen Arbeit als Architekten und Ingenieure in unserem Anspruch die Welt bewohnbarer zu machen und sie für die kurze Spanne unseres Wirkens fortzuschreiben, zu einem das Leben beglückenden Zustand: Das verdanken wir auch Dir und Deinem Engagement als leidenschaftlicher "praeceptor aedificatoriae". Dieser Anspruch hat Dich Zeit Deines Lebens geleitet und Du hast ihm Ausdruck verliehen in Tat und Wort, unbeirrbar und ohne zu schwanken, fest im Sinne, weil überzeugt.
Meine sehr verehrten Damen und meine Herren, ich habe Schiller zitiert, da kann Goethe nicht weit sein und so ende ich in seiner Vaterstadt mit einem Schlusswort, das an uns alle gerichtet ist, der wir uns der Sache der Architektur, des Bauens, der Baukultur im umfassendsten Sinne verpflichtet fühlen, gerade in Zeiten, die dieses Engagement in vielerlei Hinsicht schwierig erscheinen lassen:
"Denn der Mensch, der zu schwankender Zeit
auch schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel
und bildet es weiter und weiter.
Wer aber fest auf dem Sinne beharrt,
der bildet die Welt sich!"

Genderhinweis
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