Architekturfotograph Harald Müller-Wünsche

Zwischen Dokumentation und Interpretation Der Architektur-Fotograf Harald Müller-Wünsche Die Aufnahmen links stammen von Harald Müller-Wünsche und zeigen die neue Zahnklinik in Würzburg. Den Text über den Fotographen hat freundlicherweise Herr Prof. Josef Kern zur Verfügung gestellt. Eine umfassende Geschichte der Architekturfotografie, so notwendig wie hilfreich sie auch wäre, steht bis heute aus. Ein Blick in die Fachliteratur lehrt, dass das allererste Foto eine Architektur-aufnahme gewesen sei. Seit einigen Jahren weiß man es besser: Das älteste Foto, die im Sommer 1825 entstandene Reproduktion eines flämischen Druckes des 17. Jahrhunderts, stammt von Nicéphore Nièpce. Der Franzose nannte sein Werk „Heligrafie“, also „von der Sonne gezeichnet“. Erst mit dem „Point de Vue“ von 1826/27 entstand dann eine veritable Architektur-fotografie. Sie wurde ebenfalls von Nièpce aufgenommen und zeigt den Blick aus seinem Fens-ter auf benachbarte Häuser. Der Urheber verwendete für sein erstes, nach jahrelangen Versu-chen endlich gelungenes Foto eine mit lichtempfindlichem Asphalt beschichtete Metallplatte. Heute wird gerne digital gearbeitet; ernsthafte Architekturfotografen halten jedoch am klassi-schen analogen Filmmaterial fest, bevorzugen das Mittelformat, nutzen bewusst Stativ und lange Belichtungszeiten, um möglichst viel kalkuliertes Licht einzufangen – und sie bedienen sich gelegentlich der Nachbearbeitungs-Möglichkeiten am Computer. Von solchen Manipulationen hält der in Würzburg lebende Harald Müller-Wünsche nichts. Der Lichtbildner, Jahrgang 1947, war ursprünglich in einem Ingenieurbüro tätig, ehe er sich 1970 als Autodidakt der Architekturfotografie zuzuwenden begann. Das nötige Rüstzeug, um alsbald professionell Honoraraufträge und die Publikation seiner Arbeiten in der Fachliteratur, in Maga-zinen oder Präsentationsbroschüren für sich verbuchen zu können, erwarb er bei Workshops der renommierten Kamerabauer Hasselblad und Linhof. Wichtiger als bits und bytes ist ihm das „denkende Auge“: Das Bild ist im Kopf bereits fertig, ehe er den Auslöser drückt. Im Klartext bedeutet dies, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, die „Seele“ der Architektur begriffen zu haben, zu wissen, wie es um das Licht steht, um die rechte Atmosphäre. Denn es „bleibt einem manchmal nur ein flüchtiger Eindruck des gewünschten Effekts, wenn das Sonnenlicht die Ober-fläche eines Gebäudes streift oder sich die Sonne für einen kleinen Augenblick hinter einer gro-ßen schwarzen Wolke hervorwagt.“ Damit erweist sich Müller-Wünsche gewissermaßen als Nachfahre der Impressionisten, die das gleiche Ziel, nämlich das Festhalten flüchtiger Eindrücke verfolgten (und im Übrigen einen engen Bezug zur Fotografie ihrer Zeitgenossen pflegten). Die Bildsprache, die Kompositionstechnik des Lichtbildners Müller-Wünsche ist jedoch eine ganz moderne, zeitgenössische: Sein Formwille bewegt sich am Rande der Abstraktion – die Archi-tektur gibt ihm Kubisches vor, liefert prismatische und kristalline Formen, und so manche Arbeit gemahnt an die Konkrete Kunst. Seine Optik möchte den Betrachter in die Darstellung hinein ziehen. Ihm liegt daran, „auch mal von der gewohnten Wirklichkeit abzugehen und ihr eine neue Konzeption entgegenzusetzen.“ Das vorgegebene Motiv wird durch Licht, Farbe, und Komposi-tion von Harald Müller-Wünsche der Realität entrissen und einem gewandelten Dasein im Bild zugeführt. Müller-Wünsche, seit 2001 freischaffend und immer interessiert an neuen Auftragsarbeiten, pflegt parallel zur professionellen Fotografie eine zweite Leidenschaft: Er reist rund um die Welt, um sich – natürlich mit der Hasselblad - sein ganz persönliches Bild zeitgenössischer Architektur zu machen. Dabei kommen überraschende Werke heraus, die keineswegs dazu gedacht sind, in einer Fachzeitschrift das Wesen eines Neubaus zu veranschaulichen. Sie rühren weder die Werbetrommel für den Architekten, noch für den Statiker, den Bauingenieur, den Landschafts-gärtner. Damit verlässt er die Ebene des (wenn man so will) „Nützlichen“ und stößt auf das Ge-biet der Kunst vor. Es geht Müller-Wünsche dabei um seine subjektive Interpretation moderner Baukunst, um die Entwicklung einer unverwechselbaren, individuellen bildnerischen Handschrift, um Kreativität, die aus der vorgefundenen architektonischen und/oder städtebaulichen Situation etwas Eigenes gestaltet. Er strebt also weniger die Wiedererkennbarkeit eines Gebäudes oder Ensembles an, sondern die Gestaltung neuer Bildkompositionen. Er verlässt die gewohnte Per-spektive, blickt nach oben, sucht den außergewöhnlichen Standort, nutzt Spiegelungen, Licht, Schatten, gelegentlich auch die kalkuliert eingesetzte Doppelbelichtung, die er als „Bildüberlage-rungen“ bezeichnet. Wer sich an die eingangs angedachte Geschichte der Architekturfotografie heranwagt, mag dabei einen Lieblingsgedanken Harald Müller-Wünsches aufgreifen, der gerne den Lichtbildner Andreas Feininger (den Sohn des Bauhaus-Meisters) zitiert: „Fotografie ist eine Bildsprache. Die einzige Sprache, die überall in der Welt verstanden werden kann.“

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