Erratischer Findling

Wohnhaus bei Stuttgart
(in: BAUKULTUR 1_2018, S. 12-13)

Das markante, monolithisch aus Dämmbeton gestaltete Wohnhaus E20 befindet sich an einer ruhigen Straße im dörflich geprägten Pliezhausen bei Stuttgart. Steimle Architekten haben ihrem Entwurf die Bezeichnung „Findling“ gegeben, was seine Anmutung passend beschreibt.

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Außen erscheint der Dämmbeton durch eine sägerauhe Holzbretterschalung als lebendig strukturierte Hülle (Foto: Brigida González)

Distanz zur Nachbarschaft
Der Neubau zeigt sich mit wenigen, tief in die massive Betonschale eingeschnittenen Öffnungen zum Straßenraum: Während das kristallin geformte Haus mit seinen parallel geführten Längsseiten noch den vorhandenen baulichen Kontext aufgreift, hebt es sich durch seine spitz zulaufenden Schmalseiten deutlich von seinen Nachbargebäuden ab. Das sanft ansteigende Grundstück unterstützt die kantig-skulpturale Wirkung des auf einem 6-eckigen Grundriss entworfenen Gebäudes.

Raumbezüge
Über einen tief aus dem Betonkörper geschnittenen Eingang erreicht man zunächst das Gartenzimmer. Eine einläufige Treppe führt weiter nach oben in das Wohngeschoss. Aus dem schmalen, aber hohen Empfang wird ein sich öffnender, durch die mehrfach gekantete Dachform klar umgrenzter Raum: Enge und Weite, Umschlossenheit und Offenheit treten beim Weg durch das Haus in einen ständig wechselnden, spannungsreichen Dialog. Die horizontal in die 50 cm starke Betonhaut gesetzten Fensteröffnungen rahmen den Blick auf die umgebende, von kleinen Hügeln bewegte Landschaft. Alle Räume des Wohnhauses korrespondieren mit seiner kristallinen Form: Aus den trapezförmig positionierten Wänden ergeben sich vielfältige neue Raumbezüge, die auf dem Wohngeschoss durch die nach oben schräg geschnittenen Deckenflächen ihre besondere Prägung erfahren. Die direkt an den Wohnraum angrenzenden Individualräume zonieren als gegenüberliegende Parallelogramme den offenen Grundriss zwischen der Küche und dem Essbereich.

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Die nach oben schräg geschnittenen Deckenflächen verleihen dem Wohnbereich sein besondere Prägung (Foto: Brigida González)

Massive Hülle
Innen und außen bestimmt Dämmbeton als monochrome massive Schale in seiner Reduktion und Robustheit das Wesen des Hauses. Außen erscheint er durch eine sägerauhe Holzbretterschalung als lebendig strukturierte Hülle. Innen kontrastieren gefaltete, bewusst glatt ausgeführte Betonoberflächen mit den atmosphärisch warmen Einbauten aus massivem Eichenholz.

Architekturpreis Beton 2017
Das Haus gehört zu den 4 mit dem Architekturpreis Beton 2017 ausgezeichneten Projekten. Aus der Jurybegründung: "Die freie Komposition nutzt die konstruktiven und plastischen Materialeigenschaften des Betons; die fließenden Grundrisse im Inneren, die gefalteten Decken sowie die mal engen und niedrigen, mal weiten und hohen Räume ergeben ein spannungsvolles dreidimensionales Zusammenspiel. Zur Landschaft am Rand der Schwäbischen Alb öffnet sich das Gebäude mit großen, teilweise über Eck eingeschnittenen Fensterflächen. Als preiswürdig und zukunftsweisend bewertete die Jury daneben vor allem die Verwendung von Leichtbeton mit Blähtonzuschlag. So konnten die 50 cm starken Außenwände als Massivkonstruktion errichtet werden. Außen und innen sind bei diesem Haus eins – logischerweise prägen unbehandelte Betonwände auch die Wohnräume, im Kontrast mit weißem Putz und hellem Eichenholz. Der einschalige Dämmbeton erlaubt nicht nur ein energieeffizientes, ressourcenschonendes Bauen, auch der Verzicht auf komplizierte, ökologisch problematische Wärmedämmverbundsysteme ist bei dieser innovativen Bauweise positiv hervorzuheben. Zugleich gewinnt die Architektur damit ihre Gestaltungsfreiheit zurück: zu sehen an diesem skulptural geformten, expressiven Sichtbetonmonolith."

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