Baumstammschichten von der Rinde bis zum Kern

Forschungsneubau „Johanna-Quandt-Zentrum“ in Frankfurt am Main
(in: BAUKULTUR 4_2018, S. 26-27)

Im Frühsommer 2017 wurde auf dem Gelände des Universitätsklinikums Frankfurt am Main der Forschungsneubau „Johanna-Quandt-Zentrum“, ein Zentrum für Pädiatrische Stammzelltransplantation und Zelltherapie, vollendet. Seine Fassade ist in ihrer Gestaltung den Führungsprinzipien der Rinde alter Bäume entlehnt. Geplant und umgesetzt wurde der Neubau von der wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh.

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Wesentliches Ziel des Entwurfs war es, eine die Fantasie beflügelnde, verständliche und die Genesung von Kindern fördernde Einheit zu schaffen (Foto: wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh)

Fortschreibung des architektonischen Ansatzes
Der Neubau (Haus 32E) verbindet sich ressourcenschonend und funktional mit dem bereits 2004 fertiggestellten Stammzelltransplantationszentrum (Haus 32D) und der 2002 eröffneten Klinik für Kinder- und Jugendmedizin (Haus 32C). Im Erweiterungsbau befinden sich experimentelle Forschungslaboratorien, klinische Studieneinheiten und eine speziell ausgestattete Bettenstation zur Anwendung innovativer experimenteller Methoden der Stammzelltransplantation und Zelltherapie. Hier werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene behandelt. Das Zentrum zählt zu den größten pädiatrischen Transplantationszentren in Deutschland. Der bereits für die Bestandsbauten entwickelte architektonische Ansatz einer eigenständigen Anlage im weiträumigen Gelände des Universitätsklinikums wurde mit dem Erweiterungsbau fortgeführt.

Einheit von Neubau und Bestand
Wesentliches Ziel des Entwurfs für Neubau und Gesamtensemble war es, eine die Fantasie beflügelnde, verständliche und die Genesung von Kindern fördernde Einheit zu schaffen. Das Verbindungsbauwerk zwischen Bestand und Neubau entwickelt sich aus dem Neubau heraus und legt sich wie eine schützende Hand um das Bestandsgebäude. Beide Baukörper werden so zusammengefasst und bilden eine neue Einheit, ein lorgnetteartiges Format, das die therapeutische und wissenschaftliche Weiterentwicklung und den Austausch innerhalb der Klinik auch baulich dokumentiert. Zwischen beiden Baukörpern, am Bügel der Lorgnette, schafft ein Entree mit anschließendem Foyer einen gemeinsamen öffentlichen Empfangs-, Lounge- und Kommunikationsbereich. Über den Bestandsbau aus 2004 wird die Lorgnette mit dem Bestand aus 2002 vereint.

Leitgedanke des Entwurfs
Das den Aufbau und Innenausbau des Bestandsbaus Haus 32D bestimmende Motiv, das Schalung, Schichtung und Kernbereich einer exotischen Frucht adaptiert, wandelt sich im Neubau unter dem Eindruck der ihn umgebenden Park-situation zu einem Motiv, das Baumstammschichten von der Rinde bis zum Kern, von der Außenhülle bis zur innersten Gebäudezone abbildet. Die den Bauten zugrundeliegenden gestalterischen Ideen – Fruchtkörper und Baum – spiegeln sich in der Anlage der jeweiligen Gebäudefigur wider. Durch die Form und Fassadengestaltung des Neubaus entsteht ein sanfter Übergang zwischen Außenraum und Architektur.

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Durch den in Besenstrichform aufgebrachten Putz wird die Idee der Rindenschalung praktisch umgesetzt (Foto: wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh)

Gestalterische Umsetzung
Die Fassade des Neubaus adaptiert in ihrer Gestaltung die Führungsprinzipien der Rinde alter Bäume. Ein rauer Strukturputz, der ihren Hauptanteil ausmacht, weckt im Wechselspiel mit Intarsien aus kleinkörnigem Feinputz diese Assoziation. Tiefliegende Fensterbänder erinnern durch ihre glatte Oberfläche an borkenfreie Bereiche im Baumstamm. Durch die gewählte Art der Tiefenstaffelung, die eingeschnittenen Bossen und den in Besenstrichform aufgebrachten Putz wird die Idee der Rindenschalung im Bau praktisch umgesetzt. Die äußere Hülle des Neubaus umfließt auch das Bestandsgebäude aus dem Jahr 2004 und formt einen neuen Eingangsbereich im Zentrum beider Bauten. Im Bereich dieses Verbindungsbaus öffnet sich die Fassade über zwei Etagen. Eine großzügige Verglasung des Foyers ermöglicht Durchblicke und Orientierung innerhalb des Gesamtensembles.

Fassadentechnik
Die Fassade des Verbindungsbaus ist als gebogene Pfosten-Riegel-Fassade realisiert. Dadurch kann die gekrümmte Oberfläche des Baukörpers abgebildet werden. Die polygonalen Fassaden des Neubaus sind mit verschiedenen Einsatzelementen ausgestattet. Hier sind im Wechsel Vakuum-Isolations-Paneele (VIP) in Form von opaken Glasflächen sowie Aluminiumtüren und -fenster eingesetzt. Die Gebäudehülle ist entsprechend der Anforderung nach 50 % Unterschreitung der EnEV konzipiert. Geschlossene Fassadenanteile, die eine sehr hohe Dämmqualität aufweisen müssen, um diese Vorgabe zu erreichen, wurden im Bereich des Wärmedämmverbundsystems (WDVS) durch Dämmstärken von 30 cm realisiert. Das ermöglicht auch die witterungsgeschützte und unsichtbare Integration der Sonnenschutzkästen im Fassadenaufbau. Die dargestellten reliefartigen Vertiefungen im WDVS folgen der Logik des Rindenaufbaus. Sie sind als einfache Nuten ohne Abtropfbleche geplant. Die Technikzentrale auf dem Dach des Hauses, eine Stahl-Leichtkonstruktion, ist mit gedämmten Metall-Sandwichelementen verkleidet, denen ein gelochtes Trapezblech als Sichtschutz vorgelagert ist.

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Naturnahe Farben und Materialien sorgen für die Wahrnehmung des Hauses als einen beschützenden Ort (Foto: wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh)

Farb- und Materialkonzept
Dem Entwurfsmotiv „Baum“ folgend ist das Innere des Forschungsneubaus, angelehnt an die Jahresringstruktur eines mehrjährigen Baumes, aus mehreren Raumschichten aufgebaut. Verglasungen sowie naturnahe Farben und Materialien sorgen für die Wahrnehmung des Hauses als einen beschützenden Ort in einer parkähnlichen Anlage.

Funktionsverteilung
Das gemeinsame Foyer leitet Patienten und Besucher entweder zum Kern des Bestandsgebäudes, zu dessen eigener Erschließung und dann weiter zum Hauptgebäude der Kinderklinik oder zur Studienambulanz des neuen Forschungsbaus. Dessen Gebäudemitte wurde zu einem kleinen Innenhof ausformuliert, der die Kernzone des Hauses sanft belichtet. Patienten-, Dienst- und Aufenthaltsräume befinden sich an der dem städtischen Raum und Park hin aufgeschlossenen Außenseite des Gebäudes, in der Gebäudemitte die andienende Kernzone sowie die Schwesternstützpunkte, Nebenräume und notwendige Technikflächen. Die Studienambulanz und die Tagesklinik grenzen an den Empfangsbereich im Erdgeschoss, die Labore und ein großer Seminarraum befinden sich im zweiten Obergeschoss.

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