Jürgen Trittin
(in: BAUKULTUR 2_2019, S. 3)
Liebe Leserinnen und Leser,
verehrte Freunde der Baukultur,
Klimaschutz und Migration sind die Herausforderungen für 2019 – folgt man der Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. Während die Migration ein äußerst kontroverses Thema ist, bestätigen alle Umfragen einen überwältigenden Konsens der Deutschen beim Klimaschutz. Doch warum tun wir uns so schwer damit, diesem Konsens auch Taten folgen zu lassen?
Seit einem Jahrzehnt Merkelscher Kanzlerschaft stagnieren die Treibhausgasemissionen Deutschlands auf hohem Niveau. Zwar entwickeln sich die Erneuerbaren Energien doppelt so stürmisch wie geplant. 2018 wurden über 40 % des Stroms erneuerbar erzeugt. Doch alle Reduktionen in der Stromerzeugung wurden zunichte gemacht durch steigende Verkehrsemissionen und fehlende Minderungen im Gebäudebereich.
Die Energiewende wird nur gelingen, wenn zur Stromwende die Verkehrswende und die Wärmewende kommen. Gerade im Gebäudebereich hängen die Früchte erfolgreichen Klimaschutzes tief. Warum pflücken wir sie nicht?
Statt ideologisch über Nord Stream 2 contra Frackinggas aus den USA zu streiten, würde uns eine Wärmewende zudem energiepolitisch unabhängiger machen. Schon vor über 5 Jahren ergab eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) im Auftrag der GRÜNEN-Bundestagsfraktion, wie sehr sich eine Wärmewende lohnt. Jährliche Investitionen von ca. 23 Mrd. Euro würden am Ende nicht nur fast 390 Mio. Tonnen Treibhausgase einsparen. Bis 2030 würde der Importbedarf Deutschlands um 40 % sinken. Das entspricht dem jährlichen Import Deutschlands aus Russland. Den Investitionen stehen so dauerhafte Einsparungen in Höhe von 75 Mrd. Euro gegenüber, die sonst nicht zuletzt in den russischen Staatshaushalt fließen würden. Die Wärmewende ließe zudem tausende Arbeitsplätze entstehen. Hauptgewinner wäre die Bauindustrie.
Es muss Kopfschütteln auslösen, dass allen Koalitionsabsprachen zum Trotz dies nicht passiert. Die angestrebte Sanierungsrate ist weit von den 3 % des Bestandes entfernt. Eine solche Sanierung heißt nicht, alle Häuser in Kunststoff zu verpacken, wie manche fürchten. Intelligente Sanierung setzt nicht nur auf andere, ökologisch verträglichere Baustoffe. Es geht vor allem auch um die Nutzung erneuerbarer Energien in der Wärmebereitstellung. Hier reden wir von Erdwärmepumpen ebenso wie vom Einsatz von Pelletheizungen.
Aber wir reden auch – für viele lange Zeit ein No-Go – vom Einsatz von Strom in der Wärmebereitstellung. Nicht nur die solarbetriebene Erdwärmepumpe macht Sinn. Wärme-speicher können auch eine Rolle spielen bei der Koppelung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Genau wie E-Autos sind sie in der Lage, überschüssigen Strom aus der volatilen Grundlast von Wind und Sonne zu speichern.
Der Wärmewende stehen heute keine technischen Hindernisse entgegen. Es sind bekannte und vielfach schon angewandte Technologien. Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Mag bei wieder gestiegenen Öl- und Strompreisen aus der eigenen PV-Anlage zur Hälfte des Versorgerpreises eine Rentabilität für solche Investitionen über 15 bis 20 Jahre gegeben sein. Wenn auf diesen Strom dann aber die halbe EEG-Umlage zu zahlen ist, dann rechnet sich die Anlage häufig nicht mehr. Für viele Investoren sind solche Investitionen aber zu langfristig. Deshalb wird seit fast einem Jahrzehnt darüber diskutiert, ob solche Investitionen nicht von der Steuerschuld abzugsfähig werden sollten.
Aber es wird darüber diskutiert. Die Bundesregierung entscheidet nicht. In Zeiten von Haushaltsüberschüssen eine unverständliche Haltung. Denn zum einen wissen wir, dass die durch solche Steuererleichterungen ausgelösten Investitionen innerhalb von zwei bis drei Jahren in Form von zusätzlichen Steuern und Sozialabgaben zurückfließen – von Mitnahmeeffekten zu schweigen.
Die Bundesregierung will das selbstgesetzte Klimaziel für 2020 nicht mehr erreichen. Wenn Deutschland die Verpflichtung des Pariser Klimaabkommens für 2030 einhalten will, wenn es bis dahin 55 % seiner Treibhausgase einsparen will, muss es mit der Wärmewende beginnen.
Es lohnt sich. Es hilft dem Klima. Es schafft Arbeitsplätze. Und es erspart uns, uns zwischen Putin und Trump entscheiden zu müssen. Die Wärmewende schafft Energiesicherheit.
Herzlichst Ihr
Jürgen Trittin
Mitglied des Deutschen Bundestages
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