(in: BAUKULTUR 5_2019, S. 12-13)
Berlin, wie wir es heute kennen, wird am 1.10.2020 100 Jahre alt. Erst mit dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920 wuchs Berlin in seine heutigen Grenzen: Aus 8 Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken entstand über Nacht eine Metropole von 878 km² Fläche und knapp 3,9 Millionen Einwohnern. Eine große Herausforderung!
Unter ganz anderen Rahmenbedingungen der Beziehungen von Kernstadt zu Randbezirken, von Wohnen und Arbeit, von individueller und öffentlicher Mobilität, von städtebaulicher und architektonischer Gestaltung begegnen uns heute ähnliche Aufgaben: Die Vernetzung von Stadt und Umland muss dringend neu gedacht und politisch neu gefasst werden, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nachhaltig begegnen zu können.
Stadtplanerisches Jahrhundertereignis
Vor gut 100 Jahren stand die neue Metropole vor ähnlichen Herausforderungen, denn in der Kaiserzeit wuchs Berlin mit seinen Nachbarstädten und Vororten jährlich um 90.000 Einwohner, also etwa doppelt so dynamisch wie heutzutage. Im Jahr 1908 brachten die Berliner Architektenvereine dank einer großen privat finanzierten Kampagne einen Wettbewerb zur Gestaltung von Groß-Berlin auf den Weg. Dieses stadtplanerische Jahrhundertereignis prägt Berlin bis heute. Der „Groß-Berlin-Wettbewerb“ stellte 1910 die Weichen für die Entwicklung zur heutigen Metropole. Die letzten 100 Jahre waren jedoch alles andere als eine lineare Entwicklung vorwärts. Während in den krisengeschüttelten Jahren der Weimarer Republik erstaunliche Projekte der Infrastruktur und des Wohnungsbaus realisiert werden konnten, brachte die nationalsozialistische Diktatur Abriss, Krieg und Zerstörung, aber auch erste Ansätze der autogerechten Stadt. Die Spaltung Berlins bremste das stürmische Wachstum, verhinderte aber auch eine großräumige Zersiedelung.
Einzigartige Potenziale
Heute ist Berlin nicht nur ein Zeugnis einzigartiger Geschichte – als Bahnmetropole, als Autometropole, als Bühne zweier Diktaturen, als Experimentierfeld für unterschiedlichste Formen und Trägerschaften des Wohnungsbaus, als Widerspruch von Stein und Grün, als ungeliebte Hauptstadt. Berlin hat auch einzigartige Potenziale, die auf dieser besonderen Geschichte beruhen – nicht zuletzt die unglaubliche Vielfalt an Zentren. So besitzt die Metropole heute allein drei Hauptzentren von internationalem Rang: die Berliner Mitte, die City West und die Potsdamer Mitte. Doch von Anfang an hat die Metropole Schwierigkeiten mit sich selbst, mit einer angemessenen politischen Form: Der Widerspruch zwischen Bezirken und Magistrat bzw. Senat sowie zwischen Berlin und Brandenburg hat die widersprüchliche Entwicklung immer begleitet. Hier müssen Hürden überwunden werden.
Städtebaulicher Ideenwettbewerb
Um Strategien zur Entwicklung der Hauptstadtregion diskutieren zu können, werden Leitkonzepte und Leitprojekte benötigt. Um diese zu erlangen, schrieb die Berlin 2020 gemeinnützige GmbH im Vorfeld des Jubiläums im Juli 2019 den zweiphasigen Internationalen Städtebaulichen Ideenwettbewerb „Berlin-Brandenburg 2070“ aus, der Architekten und Stadtplaner dazu auffordert, interdisziplinäre Konzepte für die städtebauliche Zukunft der Großstadtregion zu entwickeln.
Gegenstand der ersten Phase ist die Erarbeitung von Leitideen und -bildern, einer räumlichen Entwicklung der Großstadtregion Berlin-Brandenburg im Sinne eines Metropolenmodells mit dem Zeithorizont auf das Jahr 2070 sowie eine exemplarische städtebauliche Darstellung (Maßstabssprung) für einen kleinen Teilraum im Jahr 2070 auf vorgegebenen digitalen Formaten.
In der zweiten Phase geht es um die Vertiefung struktureller Entwicklungszusammenhänge im Rahmen eines Gesamtplans im M 1:100.000 sowie um Vorschläge zu drei konkreten Teilräumen, die auf der Grundlage von 10 vorgegebenen Themenschwerpunkten frei gewählt werden können. Von den drei ausgewählten Teilräumen muss einer in Brandenburg und einer in Berlin liegen.
Teilnahmeberechtigt sind Architekten und/oder Stadtplaner in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitekten. Es wird für die Wettbewerbsbearbeitung empfohlen, bei Bedarf Fachplaner weiterer Disziplinen beratend mit heranzuziehen, so z. B. Mobilitäts- oder Verkehrsplaner. Es können sich auch Institutionen und Firmen etc. beteiligen. Die Architektenkammer Berlin und die Brandenburgische Architektenkammer wirken beratend mit. Die Baukammer Berlin und die Brandenburgische Ingenieurkammer werden beteiligt. Der Regierende Bürgermeister hat die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen.
Präsentation der Wettbewerbsergebnisse
Ab dem dritten Quartal 2020 werden die Resultate des Wettbewerbs im Rahmen der Ausstellung „100 Jahre (Groß-)Berlin. Ein unvollendetes Projekt” der Öffentlichkeit präsentiert. Die Ausstellung wird daher sowohl zurück als auch nach vorne blicken. Die von der Ausstellung eröffneten Denkräume betreffen nicht nur die Hauptstadtregion, sondern haben paradigmatische Bedeutung über Deutschland hinaus. Explizit sucht die Ausstellung den Vergleich mit den Städten London, Moskau, Paris und Wien, die sich in den letzten 100 Jahren zu dynamischen Metropolregionen entwickeln konnten. Erneut können Berlin und seine Nachbarn in Brandenburg im Zuge eines solchen Projektes europaweit eine Vorbildfunktion übernehmen.
Ideenwettbewerb und Ausstellung bilden ein großes Projekt, in das viele weitere institutionelle Partner eingebunden sind, darunter das Architekturmuseum der TU Berlin, das Center for Metropolitan Studies der TU Berlin, der Council for European Urbanism Deutschland, der Deutsche Werkbund Berlin, die Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg, die Hermann-Henselmann-Stiftung, das Kommunale Nachbarschaftsforum und die Stiftung Zukunft Berlin. Mit dem Stadtmuseum Berlin besteht eine enge Kooperation.
Weitere Informationen: www.bb2020.de