Oberlandesgericht in Stuttgart
(in: BAUKULTUR 2_2020, S. 16-17)
Das neue Oberlandesgericht Stuttgart versteht sich als ein herausgehobenes öffentliches Gebäude, das Beständigkeit, Würde und Selbstverständnis ausstrahlt. Der hohe architektonische Anspruch des von Thomas Müller Ivan Reimann Architekten geplanten Prozessgebäudes ist ein Ausdruck des großen Stellenwertes, den die Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft genießt.
Das 2019 fertig gestellte Sitzungsgebäude befindet sich auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in direkter Nachbarschaft zu dem in den 1970er Jahren für die RAF-Prozesse provisorisch errichteten Mehrzweckgebäude. Durch seine exponierte Lage markiert es den Übergang zwischen dem öffentlichen Stadtraum und dem abgeschirmten Justizareal. Dabei orientiert er sich zum großzügigen Vorplatz hin und löst sich durch seine klare und präzise Formensprache aus der heterogenen Umgebung heraus.
Für die Sicherheit konzipiert
Bei der Konzeptionierung des Neubaus galt es, die gestiegenen Sicherheitsanforderungen der Terrorismus-Strafprozesse so zu integrieren, dass sie den architektonischen Ausdruck des Gebäudes möglichst wenig bestimmen. Dank zweier Sitzungssäle können jetzt besonders sicherheitsintensive Gerichtsverfahren unabhängig voneinander parallel verhandelt werden.
Äußere Erschließung
Der knapp 3.000 m² große Baukörper steht auf einer rechteckigen Grundform und ist in das leicht abfallende Gelände eingepasst. Daraus ergibt sich auf der Süd-Ost-Seite ein Hochparterresockel, der mit einer großzügigen Eingangstreppe den Hauptzugang des öffentlichen Bereichs bildet. Im Nord-Westen befindet sich der interne Zugang für Gerichtspersonal, Polizei und Prozessbeteiligte, der ebenerdig über die Freianlagen erreicht wird. Beide Zugänge verfügen über einen mit Wachpersonal besetzten Kontrollbereich.
Öffentlich – nicht öffentlich
Die innere Organisation unterteilt sich entsprechend der Gebäudezugänge in einen öffentlichen und einen nicht öffentlichen Bereich. Zwei Garteninnenhöfe dienen der Belichtung aller sicherheitsrelevanten, nach innen orientierten Räume. Die Wegeführung durch das Gebäude sowie die Raumanordnung sind durch die komplexen Anforderungen des Prozessablaufes und die Sicherheitsvorgaben geprägt.Im Anschluss an den Kontrollbereich gelangen Besucher in hohe Foyers, die durch großzügige Fensterflächen im Obergeschoss Tageslicht erhalten. Die beiden großvolumigen Prozesssäle sind trotz ihrer Lage im Inneren des Gebäudes mittels Oberlichter in der Dachebene ebenfalls natürlich belichtet. Sie verfügen über separate Zugänge für Richter, Prozessbeteiligte, Polizei und Besucher. Die Trennung der Bereiche erfolgt durch Sicherheitsglaswände. Das Obergeschoss gliedert sich in mehrere, voneinander getrennte Zonen. Die sicherheitsrelevanten Räumlichkeiten gruppieren sich um die Gartenhöfe. Die Büros für Verteidiger, weitere Aufenthaltsräume sowie der Speisesaal sind zu den landschaftlich gestalteten Außenflächen hin orientiert.
Rund um die Fassade
Die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen spiegeln sich auch in der Gestaltung der Fassaden wider, die sich in ein weitgehend geschlossenes Erdgeschoss und in ein mit Fensterelementen strukturiertes Obergeschoss gliedern. Die Putzstruktur im Erdgeschoss ist als Wellenputz mit heller, glattgezogener Oberfläche ausgebildet, die dem monolithisch anmutenden Baukörper eine textile Leichtigkeit verleiht. Die Eingangsbereiche sind mit Chloritgneis Dorfergrün Naturstein verkleidet und verbinden den Eindruck der Wertigkeit mit einem hohen Maß an Widerstandsfähigkeit. Die Obergeschossfassade ist als tiefe, plastisch profilierte Metallfassade mit sich wiederholenden Fensterelementen gestaltet. Die je nach Ausrichtung und unterschiedlichen Nutzungsbereichen zwischen transparent und opak wechselnden Fensterelemente geben dem Gebäude umlaufend einen einheitlichen Ausdruck. So tragen sie dazu bei, das neue Prozessgebäude zu einem Ort zu machen, der stellvertretend für Beständigkeit, Würde und Recht steht.