Neubau Depot Ruhr Museum auf dem Welterbe Zollverein in Essen
in: BAUKULTUR 1-2009 (S. 20-22)
Aus dem eingeladenen Wettbewerb mit bundesweiter Beteiligung ging im Februar 2008 das Architekturbüro Ahlbrecht und Scheidt Architekten mit Frank Kasprusch, Bernd Wiehle und Viktoria Ageev, Essen und Berlin, mit einem 1. Preis hervor. Ein 2. Preis wurde nicht vergeben. Das Preisgericht unter Vorsitz von Prof. Gerber empfahl einstimmig die Umsetzung der Planung des 1. Preisträgers.
Städtebauliche Aspekte
Das neue Depot- und Verwaltungsgebäude fügt sich in die orthogonale Struktur und Proportionen von Zollverein XII ein, übernimmt die strenge Geometrie der vorhandenen Gebäude, überführt jedoch die Entwurfsprinzipien in eine noch klarere und minimalistischere Form und damit in unsere Zeit. Der Zugang erfolgt über einen kleinen Vorplatz, der das Ruhr Museum und den Umlenkturm einbezieht und die funktionale Anbindung an das Museum optimiert.
Fassadengestaltung
Das Erscheinungsbild spiegelt die Funktionen wider. Die großflächigen Sichtbeton- und Ganzglasflächen der Fassaden mit ihren puren Materialqualitäten entwickeln das puristische Erscheinungsbild Zollvereins weiter. Die Außenwände bestehen aus Stahlbeton, Wärmedämmung und einem Sichtbetonvorsatz, der aus einem schwarzen Basaltzuschlag und schwarz pigmentiertem Zement hergestellt wird. Die Belichtungsflächen sind als „twinface-Fassade" vorgesehen, die gleichsam den hohen Lärmemissionen des benachbarten Technikgebäudes Rechnung tragen. Die punktgehaltenen Gläser werden bündig mit der Sichtbetonfläche montiert, die Fugen bleiben offen. Zusätzlich geben einige Ausstellfenster ergänzende Möglichkeiten der Belüftung. Vor der dahinter liegenden Holz-Glaskonstruktion werden die Verschattungsjalousien geführt. Die Südfassade ist wegen des Technikgebäudes gänzlich geschlossen. Lediglich der zweite Rettungsweg wird hier über mit Beton verkleidete Öffnungen seitens des Brandschutzkonzeptes vorgesehen.
Der eingerückte Eingangsbereich wird abends mit Ganzglastoren, die flächenbündig in die Fassade integriert sind, verschlossen.
Grundrissdisposition
Im Erdgeschoss erreicht man über den großzügigen Eingangsbereich die Depots der Grafik und der Archäologie sowie die Ausstellungsvorbereitung. Eine Sicherheitsschleuse schirmt die Räume gegenüber Unbefugten ab. Ein Aufzug erschließt das Depot der Fotografie im 1. Obergeschoss und das im räumlichen Zusammenhang unterzubringende Fotolabor.
Das 2. Obergeschoss nimmt die gesamten Büroflächen auf. In der Flurzone sind die Nebenfunktionen untergebracht. Der Flur erhält über verglaste Verbindungen zum 3. Obergeschoss wie auch über gläserne Bürotüren natürliches Licht und somit besondere Aufenthaltsqualitäten. Die Büroetage ist über eine Treppe direkt mit der Bibliothek im 3. Obergeschoss verbunden. Glaswände sorgen für akustischen und brandschutztechnischen Schutz.
Das 3. Obergeschoss nimmt neben der Bibliothek die Projektarbeitsplätze und den Besprechungsraum auf. Die Belichtung erfolgt über die vollverglasten Längsfassaden. In der Bibliothek werden zusätzliche Glasflächen in das Flachdach integriert, welches als fünfte Fassade ausgebildet ist. Die hier aufgestelzten, schwarzen Sichtbetonplatten und die bündig hierzu liegenden Glasoberlichter führen das Erscheinungsbild des Gebäudes fort.
Außenraum
Der Neubau, das Museum und der Umlenkturm umfassen einen kleinen Platzraum, der die Funktionsbeziehung Depot - Museum optimiert. Radwanderweg und Bushaltestelle sind gut auffindbar in das Gesamtgelände integriert.
Der Platz nimmt hinsichtlich seiner Materialität und Ausstattung Bezug auf das Corporate Design des Gesamtgeländes: Beton, Terraway-Beläge, Beleuchtung und Bänke.
Bauphysikalisches Konzept
Depots erfordern sehr eng gesetzte Grenzen der Innentemperatur und der relativen Luftfeuchte, die keinen rapiden Schwankungen unterliegen dürfen. Schon in der Antike wurden Archive und Bibliotheken mit sehr starken Mauern und kleinen Fenstern gebaut, um das Klima konstant zu halten. Üblicherweise ersetzen heute Klimaanlagen mit gekühlter, getrockneter und nachgeheizter Luft die in der modernen Bauweise fehlenden Gebäudemassen und Feuchte regulierenden Materialen. Unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit sind der Strom- und Wärmeverbrauch einer Klimaanlage jedoch nicht akzeptabel. Daher gilt es, die Nachhaltigkeit der herkömmlichen Archive mit dem Klimaanspruch moderner Lüftungstechnik zu vereinen. Folgende Maßnahmen sind dabei erforderlich:
- Computergesteuerte Lüftungsventilatoren und Heizungen
- Massive Wände und Decken, um Wärme zu speichern und die Temperaturen gleichförmig zu halten
- Feuchtespeichernde Oberflächen (günstiges Sorptionsverhalten), um die Luftfeuchte weitgehend konstant zu halten
- Lichte Raumhöhen von ca. 2,6-2,7 m für eine wirksame Querlüftung (2,4 m Nutzhöhe)
- Extrem luftdichte Bauweise, um eine unkontrollierte Belüftung im Winter und im Sommer auszuschließen
- Dampfdichte Ausführung der erdberührenden Bauteile, um Diffusion von Erdfeuchte zu unterbinden
- Sonnenschutz mit 100% Verschattung, um eine sommerliche Erwärmung zu unterbinden
- Stromsparende Beleuchtung und Abschaltung der Grundbeleuchtung, um Wärmeeintrag zu vermeiden
Das Ziel einer sehr konstanten Innentemperatur und einer ebenso konstanten Luftfeuchte soll im Depotneubau des Ruhr Museums durch eine optimierte Regelung erreicht werden. Diese Regelung steuert Lüftungsventilatoren an den Längsfassaden des Gebäudes, die sich öffnen bzw. wieder dicht schließen. Der Wunschwert der Innenfeuchte kann mit der Gebäudeleittechnik eingestellt werden, die Ventilatoren sorgen durch eine feine Dosierung von Außenluft für die Regulierung des Klimas. Den Rest übernehmen die feuchtespeichernden (sorptionsfähigen) Oberflächen und eine große Gebäudemasse. Die Betriebskosten beschränken sich auf die Heizung und die Motoren der Ventilatoren.
Das Archäologie- und Grafikdepot können nach diesem Konzept gebaut werden. Das Fotodepot erhält zusätzlich eine kleine Klimaanlage, die in heißen Perioden die durch das vorgeschlagene Konzept dauerhaft erreichbaren Werte von 16-18°C (und 45-55% Luftfeuchte) auf 10-15°C herunter kühlen kann.
Das hier geplante Konzept zeigt, wie man durch modernste Regelungstechnik Depoträume so konstant klimatisieren kann, wie es bislang nur durch Klimaanlagen möglich war.
Tragwerk
Das Depotgebäude wird als Stahlbetonskelettbau mit aussteifenden Wandscheiben bzw. Kernen errichtet. Der vertikale Lastabtrag erfolgt über 24 cm starke Stahlbetonflachdecken, die auf einer inneren Stützendoppelreihe und hinter der Fassade zurück stehenden Stahl-Stützen im 2. und 3. Obergeschoss bzw. auf massiven Außenwänden im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss auflagern. Das Stützenraster beträgt etwa 5,50 m - 4,10 m - 5,50 m in Gebäudequerrichtung und ca. 5 m in Gebäudelängsrichtung. Die Stützendicke beträgt 24 x 24 cm. Die tragenden Außenwände sind 20 cm stark.
Die Horizontalaussteifung erfolgt in den beiden unteren Geschossen über die drei U-förmigen Außenwände und den Treppenhauskern, in den beiden Obergeschossen über die beiden Queraußenwände und den Treppenhauskern. Die Queraußenwände in den oberen beiden Geschossen wirken dabei als wandartige Träger.