(in: BAUKULTUR 4_2022, S. 3)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der Baukultur,
Solidarität und Partizipation.
Mir ist aufgefallen, dass in vergangenen Editorials das Thema Solidarität in verschiedenen Kontexten angesprochen wurde. Ob es unser Verhalten zur Eindämmung des Coronavirus beschreibt oder die Notwendigkeit von verändertem Handeln in der Klimakrise oder das hilfsbereite Zusammenstehen in Zeiten des Krieges. Solidarität schenkt im besten Falle Trost, gibt Perspektive und erzeugt eine „solide“ Basis. „Solidarität ist nicht alles, aber ohne Solidarität ist alles nichts“. So könnte man in Abwandlung des Sinnspruches über die Gesundheit formulieren. Und tatsächlich baut unsere demokratische Gesellschaft darauf auf, dass wir im Konsens handeln. Der soziale Friede ist eine Errungenschaft, die nicht hoch genug bewertet werden kann, und stetig müssen wir danach streben. Sicherheit im öffentlichen Raum, der Schutz der Menschen und ihrer Umwelt, der Erhalt der Natur und der gebauten Infrastruktur müssen uns allen ein Anliegen sein. Dies ist nicht mit polizeilichen Ordnungsmaßnahmen zu sichern, sondern es bedarf einer in der Breite empfundenen Wertschätzung – eben Solidarität.
Die Tätigkeit von Architekten und Ingenieuren gibt viel Anregungen zu diesem Thema. Schaut man in die Geschichte, so sind die Gestaltung lebenswerter und gesunder Städte, die Versorgung mit sauberem Wasser und Energie das Werk von Ingenieuren. Fehlgeleitete Entwicklungen, wie etwa die „autogerechte Stadt“ werden heute korrigiert, und der öffentliche Raum erhält seine Bedeutung zurück. Bei der Gestaltung der Städte der Zukunft unter den Aspekten der Nachhaltigkeit entwickeln und realisieren wir gemeinsam Konzepte. Die Lösungen entstehen aus der Anwendung von bewährten Bauweisen, aber auch technischen Neuerungen. Die Wertschätzung der Tätigkeit der Planung hat durch die Vielzahl beachtlicher guter Beispiele deutlich zugenommen. Hieraus leiten wir Ansprüche an die Planer und auch an die Bauherren ab. Sobald dies den öffentlichen Raum betrifft, kommt ein weiterer Anspruch an eine „gute Planung“ ins Gespräch: die Partizipation.
Die frühzeitige Einbindung von möglichst breit gefächerten Bevölkerungsgruppen wird von Prof. Christian Baumgart in seinen „Gedanken zu Planungskultur und Partizipation“ (Anm. 1) als Schwarmintelligenz anerkannt, welche angesichts der zu lösenden komplexen Aufgaben die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz von Planung erhöht. „Mit angemessenen Mitwirkungsmöglichkeiten für Bürger stärken wir die Planungskultur, und eine starke Planungskultur ist ein wesentlicher Eckpfeiler der Baukultur“ (Anm. 2). Bereits 1960 wurden im Bundesbaugesetz die Grundzüge der Bauleitplanung festgelegt und der Abwägungsprozess im Interessensausgleich genannt. Jens Krause beschreibt in seinem Artikel „Bauen im Spannungsfeld zwischen öffentlichen und privaten Interessen“ (Anm. 3) die Zunahme der Anforderungen an den Interessensausgleich in der Überarbeitung des Baugesetzbuches von 2021 und mahnt deren konsequentere Anwendung an. Die hier als Autoren wirkenden Ehrenpräsidenten des DAI haben in ihrer beruflichen Tätigkeit nachhaltig gezeigt, dass Partizipation, wenn sie von allen Seiten verantwortlich gelebt wird, ein erfolgreicher Garant für eine breite Wertschätzung ist.
Lasst uns gemeinsam an einer solidarischen, wertschätzenden und nachhaltigen Welt weiterbauen.
Herzlich, Ihr
Arnold Ernst
DAI Präsident
Anmerkungen
1,2 150 Jahre DAI, Bau: Kunst und Technik, Berlin 2022, S. 44-47.
3 Ebenda, S. 216-219.