Ausgabe 3_2024: Editorial

(in: BAUKULTUR 3_2024, S. 3)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der BAUKULTUR,

und wieder sind tolle, moderne, helle und wunderschöne Gebäude hier in der BAUKULTUR zu finden. Ästhetisch, klimaschonend bis klimaneutral, aus Holz, Lehm, Backstein, Terrakotta – alles natürliche Baustoffe – ergänzt von Stahl und Glas. Dazu noch die Energieversorgung: Geothermie, Solaranlagen, die sogar zur Beschattung von Glasfronten genutzt werden, Ausnutzung der Wärmeleitfähigkeit des Wandmaterials. Die Außenanlagen naturhaft gestaltet, sie fördern Biodiversität und greifen die örtliche Artenvielfalt auf. Regenwasser wird zur Bewässerung des Grüns genutzt. Ein Schritt in die richtige Richtung. Alles das spiegelt das unbedingte Bestreben der Planenden, nachhaltig zu bauen, wider.

Aber da geht noch mehr – und anders! Wo sind die holistischen blau-grün-grauen Lösungen? Wir sind sowohl wissenschaftlich, aber vor allem technisch in der Lage, heute sogar Postitiv-Energiehäuser mit – je nach Standort – quasi Wasserautarkie zu bauen! Und die Multicodierung von Flächen zu ermöglichen. Wo sind die Gründächer mit Solarpaneelen darüber, die die Temperatur in den Räumen darunter bis zu 10° senken können. Oder/und gleichzeitig als Retentionsdach funktionieren, das Regenwasser dort zurückhält, wo es anfällt und damit die Kanalisation entlastet. Wo die grüne Fassade, die Staub fängt und das Gebäude dämmt? Wo die adiabate Kühlung, die eine übliche Klimaanlage nicht nur ersetzen kann, sondern zu 99 % energiesparender arbeitet und die Betriebskosten um das 160-fache (bei Regenwassernutzung) senkt? Und wo die Grauwasseranlage für Trinkwassereinsparung, Kreislaufführung und womöglich sogar für Aquaponik auf dem Dach? Die Regenwassernutzungsanlage, die nicht nur den Garten versorgt, sondern Toiletten spült, Duschen, Waschbecken, Waschmaschinen betreibt und dabei Trinkwasser ersetzt?

Und es gibt noch weit mehr, was unsere Gebäude nicht nur autark, sondern auch resilient macht. Und dazu noch gut für die Umgebung und den Wasser- und Ressourcenkreislauf ist. Und nicht zu vergessen der soziale Faktor der Nachhaltigkeit: Partizipation, Gemeinschaft! Planen und Bauen mit den späteren Nutzern, Anlage von Selbstversorgergärten, community gardens und pocket parks.

Weltweit entstehen Projekte, die weitestgehend alle nachhaltigen Technologien, Verfahren und Produkte in sich vereinen und beispielhaft sind. Singapur ist Vorreiter im blau-grünen Bauen, China mit Sponge-City-Projekten. Auch in Deutschland finden sich unzählige Gebäude, ganze Sponge-Siedlungen in Berlin und vielen anderen Städten. Vorreiter und doch oft noch nicht bekannt.

Dies hier ist keine Kritik, sondern ein Aufruf: Setzen Sie sich zusammen mit den Planenden der Wasser- und Grün-Fachgebiete, planen Sie an einem Tisch! Denn die Zeiten, dass ein Architekturbüro all diese Themen allein abdecken kann, sind vorbei. Wir können nicht Experten in all den hochspezialisierten Fachdisziplinen sein. Wir brauchen das „Im Ganzen Denken“, den holistischen Ansatz. Wir brauchen unsere Kollegen in Landschaftsplanung und -architektur, Bauwesen, Hydrologie, Geologie, Biologie, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz u.a.m., wenn wir wirklich zukunftsfähig und „enkeltauglich“ bauen wollen.

Es ist nicht nur ein „Kann“, nein: es ist ein „Muss“, den sich zuspitzenden Umweltbedingungen klare Maßnahmen entgegenzusetzen. Und dabei geht es – besonders in unseren Städten – um jedes zehntel Grad weniger, weil es die Hitzeinseln abschwächt und damit Leben schont, der Tier- und Pflanzenwelt hilft sowie generell die (Überlebens-)bedingungen verbessert.

Wir alle – die Menschen aus 193 Staaten der Welt – sind mit der Unterschrift unter die Agenda 2023 mit den 17 Zielen der nachhaltigen Entwicklung eine herausfordernde Verpflichtung eingegangen. Und jeden Tag merken wir am Extremwetter, wie langsam wir sind, wie schwer es ist, all die Anforderungen zu erfüllen. Wir müssen die Grenzen unserer eigenen Disziplin erkennen, erweitern und blau-grüne Infrastrukturen nicht länger als bloße Ressource betrachten, sondern als unverzichtbaren Bestandteil der Architektur in unserem Streben nach nachhaltiger Baukultur zur Anpassung an den Klimawandel.

Und nun wünsche ich Ihnen, dass Sie mit der blau-grün-grauen Inspiration die folgenden Seiten lesen und vielleicht schon einige Ansatzpunkte im Kopf für neue Projekte haben!

Ihre
Dipl.-Ing. Angeli Büttner
KLIMA.connection

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