Ausgabe 4/5_2024: Editorial

(in: BAUKULTUR 4/5_2024, S. 3)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der BAUKULTUR,

denkt man an München, fällt einem nach dem FC Bayern ganz schnell die Innenstadt ein: das Hofbräuhaus, das Rathaus im neugotischen Stil und Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Auch bei den Neubauten fühlt man sich der Tradition verbunden und gleicht diese dem historischen Stadtbild mit Putzfassaden, „Lüftlmalerei“ und roten Ziegeldächern an. Moderne Neubauten wie die Allianz Arena oder die BMW Welt finden sich eher als spektakuläre Showarchitektur in den Randbezirken.

Im Gegensatz zum Erhalt der historischen Gebäude hat man jedoch keine Schmerzen mit dem Abbruch wertvoller Bausubstanz der Moderne, wie z. B. dem Landesversorgungsamt der Brüder Luckhardt (errichtet 1958, abgebrochen 1989), dem Schwarzen Haus (Schreiberbau), einem Verwaltungs-bau der Süddeutschen Zeitung, von Detlef Schreiber, Herbert Groethuysen und Gernot Sachsse (errichtet 1970, abgebrochen 2009) oder dem Osram-Haus von Walter Henn (errichtet 1965, abgebrochen 2015). All diesen Gebäuden, denen sich noch weitere anschließen ließen, ist gemein, dass ihre Repräsentanz für die Architektur der klassischen Moderne in Fachkreisen sehr geschätzt war, sie zum Teil unter Denkmalschutz standen und dennoch neuen, profitträchtigeren Ersatzbauten zum Opfer fielen.

Wie man sieht, schützt der Denkmal“schutz“ ein Haus nicht immer vor dem Abbruch, aber um wieviel schneller wird dem Abbruch anonymer Architektur wie Bürogebäuden, Parkhäusern usw. zugestimmt, um im Ersatzbau ein vielfach höheres Bauvolumen zu generieren oder dem Zeitgeist Rechnung zu tragen. Doch hier müssen wir dringend umdenken: Die Klimabilanz verlangt von uns, nachhaltige Lösungen zu finden. Ohne eine neue baukulturell und gesellschaftlich verankerte Akzeptanz der Um- und Weiternutzung von Bestandsgebäuden werden wir die Erderwärmung nicht mehr aufhalten können. Sicherlich kann es bei Bestandsgebäuden auch strukturelle Probleme, veraltete Bausubstanzen und ineffiziente Energiesysteme geben, die jedoch mit modernen Technologien und innovativen Bauverfahren gelöst werden können. Auch durch Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, Anreizen wie Steuervergünstigungen und Förderprogrammen kann der Erhalt von Bestandsgebäuden attraktiver werden. Die Nutzung der vorhandenen Struktur und Materialien spart im Gegensatz zu Neubauten nicht nur graue Energie, sondern vermeidet die mit der Herstellung der Baustoffe verbundenen CO2-Emissionen erheblich.

Dies ist auch ein wichtiger Aspekt für die Münchener Initiative JustizzentrumErhalten (https://abbrechenabbrechen.de), die seit 2022 für den Erhalt des Justizgebäudes in der Nymphenburger Straße kämpft. Das Gebäude mit neun oberirdischen und drei unterirdischen Geschossen und insgesamt 50.000 m² Geschossfläche wurde 1977 von Kaup, Scholz, Wortmann Architekten im Stil des Brutalismus errichtet. Die Herstellung des Bestandes verursachte Treibhausgasemissionen in Höhe von ca. 24.000 t CO2 (Quelle: Aufgabenstellung Open Call). 2025 wird das Justizzentrum aus seinem aktuellen Standort in ein neu errichtetes Gebäude ziehen, und es ist ungewiss, was mit dem Bestandsgebäude passieren wird. Ein Abriss ist nicht ausgeschlossen. Die Initiative setzt sich für den Bestandserhalt ein und verfolgt das Ziel, in einem offenen Prozess die vielfältigen neuen Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen (Quelle: https://abbrechenabbrechen.de).

Die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ist auch das Ziel des Symposiums des Münchener Architekten- und Ingenieurvereins (MAIV) am 12.10.2024 im Senatssaal des Maximilianeums, bei dem die gesellschaftliche Bedeutung des Bestandes mit allen Varianten und Chancen aufgezeigt werden soll. Wir haben fünf Referenten zum Thema „Umdenken statt Abriss“ eingeladen, ihre bereits erfolgreich realisierten Projekte vorzustellen. Sie werden aufzeigen, dass in einer Zeit, in der die Reduzierung von CO2-Emissionen und die Schonung von Ressourcen oberste Priorität haben, die Erhaltung und Umnutzung von Bestandsgebäuden ein zentraler Schritt in Richtung Nachhaltigkeit ist. Mit dem Symposium wollen wir dem Immobilienstandort München einen Impuls geben, dass es Zeit ist umzudenken und dass die Vorteile der anonymen Bestandsarchitektur erkannt und für eine vielseitige Nutzung und lebenswerte Zukunft weiterentwickelt werden können.

Bis zum 12.10.2024 in München,
herzlichst Ihre
Sabine Neumann
1. Vorsitzende Münchener AIV

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