Europas größte Klimaschutz-Baustelle

Hamburg im Klimawandel
in: BAUKULTUR 4_2009 (S. 20-21)

Klimagerechtes und ressourcenschonendes Bauen ist in aller Munde. Die IBA Hamburg blickt in die Zukunft und zeigt, wie das Bauen von morgen über die bekannten Standards hinaus aussehen wird. Einen Großteil ihrer Projekte widmet die von 2007 bis 2013 auf den Hamburger Elbinseln stattfindende IBA ihrem Leitthema „Stadt im Klimawandel" - einem von drei Themen dieser Bauausstellung. 2010 ist IBA-Halbzeit und Präsentationsjahr: Dann drehen sich die ersten Baukräne über Europas größter Klimaschutz-Baustelle.

Energiebunker und Energieberg
Wie ein schwarzer Monolith steht der 42 m hohe, von Netzen und Kletterpflanzen eingepackte Flakbunker mitten in Hamburg-Wilhelmsburg. Der Betonriese ist einer von wenigen Exemplaren seiner Art in Europa, ein Zeitzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg - und fast schon ein Wahrzeichen des Stadtteils. Er wird eines der Symbole der IBA werden, wenn er 2013 als „Energiebunker" mit einer über 3.000 m2 großen Solaranlage ans Netz geht - inklusive Wärmespeicher für ca. 10.000 m2 Überschusswärme, die in den Wintermonaten genutzt werden kann und zwei regenerativ betriebenen Blockheizkraftwerken, die Wärme und Strom produzieren. Ruinen zu Kraftwerken könnte das Motto lauten: So, wie die Vorgänger-IBA im Ruhrgebiet gezeigt hat, welchen kulturellen Wert die Relikte der jüngeren Stadtgeschichte haben, zeigt die IBA Hamburg, wie scheinbar nutzlos gewordene Großstrukturen zu Energieträgern werden können.

Zum Beispiel die künstliche Hügellandschaft nordöstlich des Energiebunkers in Hamburg-Georgswerder: Hier befand sich einst Europas größte offene Mülldeponie, nur einen Steinwurf vom Zentrum Hamburgs entfernt. Die fast 50 m hohen „Müllberge" sind längst gesichert und grün bewachsen. Die IBA macht aus diesem künstlich entstandenen Grünraum den „Energieberg", der Energie in allen nur erdenklichen Formen liefert: Die bestehenden Windkraftanlagen werden zu einem leistungsfähigen Stromlieferanten für den Stadtteil aufgerüstet. Der sich zersetzende Müll liefert Methangas, das Grund- und Sickerwasser geothermische Energie. Aus der Wiesenmahd auf dem Energieberg wird Biogas gewonnen - und auf den Südhängen der Hügel entsteht eine großflächige Photovoltaik-Anlage. Aus Wohlstandsmüll wird Energie: das zeigt, wie wertvoll jedes noch so überkommene Stück Stadt sein kann.

Klimaschutz plus: mehr als der Standard
Der Clou der IBA-Klimaschutz-Strategie aber vollzieht sich in ganz anderem Maßstab: Mit dem Programm „Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg" soll das über 30 km2 große IBA-Gebiet auf den Hamburger Elbinseln schrittweise auf eine CO2-neutrale und erneuerbare Energieversorgung umgestellt werden. Jedes IBA-Projekt wird seinen Beitrag zu diesem beispiellosen Programm leisten: So werden alle Neubauten mindestens im Standard „EnEV 2007 minus 50 Prozent" gebaut, viele auch im noch anspruchsvolleren Passivhaus-Standard oder darüber hinaus als sog. Passivhaus Plus.
Besonders viel Wert auf klimaschonende Bauweise wird bei den öffentlichen Bauten der IBA gelegt: Das innovative Bildungszentrum „Tor zur Welt" - das Leuchtturmprojekt des IBA-Programms „Bildungsoffensive Elbinseln" - ist durch seine kompakte städtebauliche Anordnung und Architektur von Anfang an energieeffizient gedacht. Die Fensterfläche wurde so optimiert, dass im Sommer weniger Kühlung notwendig ist, massive Decken werden nicht abgehängt, sondern als Speichermasse für Wärme und Kühle genutzt. Die Energieversorgung wird durch eine Feuerungsanlage für regenerative Brennstoffe wie z.B. Holz und Erdgas-Kessel sichergestellt - ergänzt durch große Solaranlagen. Koordiniert werden die Anlagen in einer „gläsernen Energiezentrale", die den Schülern und sonstigen Gästen des Bildungszentrums die Energiegewinnung anschaulich macht.

Wilhelmsburg Mitte: Ein ganzes Quartier wird zum Kraftwerk
Das Herzstück der zukunftsweisenden Energie-Stadtlandschaft auf den Elbinseln wird das neue Quartier „Wilhelmsburg Mitte" werden. Wo heute zwischen Schnellstraße und Fernbahntrasse ein über 50 ha großes Loch in der Stadtstruktur klafft und künftig der Park der Internationalen Gartenschau igs 2013 seine Tore öffnet, wird ein Stadtteil der Zukunft entstehen. 140.000 m2 Bruttogeschossfläche werden hier gebaut, kleinteilig gemischt, mit einem spektakulären Freiraumkonzept und experimentellen Wohnungsbauten vom „Smart Material House" über das „Hybride Haus", das sich den Bedürfnissen seiner Bewohner anpasst, bis zu besonders energiesparenden Pilzhäusern im Wasser. Hier wird gezeigt, wie das klimaschonende Bauen von morgen aussehen wird - und welche Möglichkeiten in der Idee des „virtuellen Kraftwerks" stecken. Die einzelnen Gebäude des Quartiers werden alle zu „Mikrokraftwerken" eines großen Quartierkraftwerks zusammengeschlossen - mit dezentralen Blockheizkraftwerken, die durch Wärmepumpen, Abfallwärme aus dem Schmutzwasser und solarthermische Anlagen unterstützt werden. Das so entstehende Netzwerk-Kraftwerk kann flexibel auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Teilnehmer reagieren, was auch zu günstigen Energiepreisen führt.

Klimafolgen bewältigen: Die IBA geht aufs Wasser
Ein weiterer Baustein der Energielandschaft Elbinseln ist eine große, urbane Biogasanlage, die „krautige Biomasse" der Landschaftspflege der Elbinseln verwerten soll, was bis zu 12.000 t CO2-Einsparung bedeuten könnte. Und auch die IBA Hamburg GmbH selbst geht mit gutem Beispiel voran und baut sich ein energieeffizientes Domizil: Noch 2009 wird das auf einem Ponton schwimmende „IBA Dock" eröffnet, das zusätzlich zu den IBA-Büroräumen auch das Ausstellungszentrum der Bauausstellung beherbergen wird. Das Prinzip des aufschwimmenden Gebäudes soll nicht nur hier Schule machen - schließlich kann man auf diese Weise an wassernahen Standorten den in Folge des Klimawandels erwarteten höheren Sturmfluten besser trotzen. Hochwasser ist seit der verheerenden Hamburger Sturmflut von 1962 ein großes Thema auf den Elbinseln - die IBA zeigt, wie man mit, am und auf dem Wasser bauen kann.

Innere Verdichtung mit bis zu 5.000 neuen Wohnungen
Klima- und Ressourcenschutz beim Planen und Bauen betrifft auch die Frage nach neuen Konzepten der Mobilität, bis hin zu den verkehrsbedingten Emissionen. Wilhelmsburg war und ist Transitland, zerschnitten von Verkehrstrassen, besonders von Lärm und Abgasen belastet. Auch hier hat die IBA einiges bewegt: unter anderem durch die Initiative der IBA-Planer ist die vor Ort kontrovers diskutierte Hafenquerspange - eine Autobahn, die den benachbarten Freihafen besser anbinden soll - neu überdacht worden. Nun werden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Reichsstraße, eine der großen Verkehrsschneisen durch Wilhelmsburg, wird verlegt und am alten Standort zurückgebaut, der Verkehr auf einer neuen Autobahnverbindung im Süden am Stadtteil entlang geführt. Zusätzlich wird der ÖPNV ausgebaut - im Gespräch sind Stadtbahn in die City und verbesserte Barkassenverbindungen über die Kanäle der Elbinseln.
Und ganz nebenbei wird durch die Verlagerung der Reichsstraße Platz für bis zu 5.000 neue Wohnungen geschaffen, die selbstverständlich klimaneutral gebaut und betrieben werden müssen. Damit trägt die IBA einen erheblichen Teil zu der von Hamburg auch aus ökologischen Motiven heraus verfolgten Strategie der inneren Verdichtung bei.

Klimaschutz im Dialog
Es bleibt also auch über 2013 hinaus viel in Bewegung auf den Elbinseln. Ganz wichtig bei den vielen Veränderungsprozessen ist die Beteiligung der Bewohner und Offenheit der Planungen. Die IBA ist nicht denkbar ohne die Beratung durch Experten, die auf vielen Ebenen ihr Wissen zur Verfügung stellen - z.B. im Fachbeirat Klima und Energie. Aber auch die Wünsche der Bürger finden Gehör, sei es im Rahmen der traditionell auf den Elbinseln gut verankerten Beteiligungsmöglichkeiten oder auf den Dialogveranstaltungen der IBA, den IBA-Laboren, zu denen neben Fachleuten ausdrücklich auch Bürger eingeladen sind.

Mit der Kampagne „ Prima Klima-Anlage" unterstützt die IBA gemeinsam zudem mit ihren Partnern Hauseigentümer auf den Elbinseln finanziell bei der klimagerechten Erneuerung ihrer Gebäude - denn in der Sanierung der Bestände steckt ein noch viel größeres Potenzial für den Klima- und Ressourcenschutz als im Neubau. Das Ziel der IBA ist klar: sie möchte die Möglichkeiten zeigen, die es im Bereich des klimaschonenden Bauens und Planens gibt und dabei neueste Erkenntnisse in die Praxis übersetzen. Auf dass die Elbinseln das Labor der klimaschonenden Stadt von morgen werden, das weit über 2013 hinaus zum Vorbild für andere Städte wird - getreu dem IBA-Motto: „Die IBA Hamburg zeigt die Zukunft der Metropole".

www.iba-hamburg.de

 

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