Es ist eine Skulptur...

Interview mit dem Architekten Sergei Tchoban
(in: BAUKULTUR 1_2014, S. 24-27)

Die Architektur war schon immer eine Brücke zu seinem Heimatland. Jetzt hat der in Leningrad geborene und in Berlin lebende Architekt Sergei Tchoban – gemeinsam mit seinem Moskauer Büropartner Sergey Kuznetsov (SPEECH Tchoban & Kuznetsov) – eine weitere Verbindung zwischen seiner Heimat und Berlin geschaffen: ein Museum für Architekturzeichnung. Seit Juni 2013 werden hier die Sammlung der Tchoban Foundation sowie Wechselausstellungen präsentiert. Das in tragendem Sichtbeton ausgeführte Gebäude steht auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei Pfefferberg in Berlin. DAI Präsidiumsmitglied Marion Uhrig-Lammersen besuchte den Architekten Sergei Tchoban vor Ort.

Tchoban PatriciaParinejad
Das Museum für Architekturzeichnung liegt auf dem Areal der ehemaligen Brauerei Pfefferberg in Berlin (Foto: Patricia Parinejad)

Sie erheben Architekturzeichnungen zur Kunst oder erachten Sie Architekturzeichnungen per se schon als Kunst?
Man muss nicht unbedingt ein guter Zeichner sein, um ein guter Architekt zu sein. Aber ja, Architekturzeichnung ist für mich Kunst. Eine andere Art des Denkens. Ich finde, diese Art des Zeichnens hat es verdient, öffentlich ausgestellt zu werden. Zumal das öffentliche Interesse an Architektur – ins-besondere in Berlin – groß ist. Darüber hinaus ist es sehr aufschlussreich, über Zeichnungen von Architekten zu diskutieren. Deshalb werden in diesen Räumen auch wechselnde Ausstellungen stattfinden. Das ist die Idee dahinter.

Sind Sie böse, wenn ich sage, dass Ihr Bau aussieht wie Kisten, die unordentlich übereinander gestapelt sind?
Nein. Das kann man unterschiedlich sehen. Es könnten auch Schubladen sein. Aber in der Anordnung der Geschosse zueinander erkennt man erst die Ordnung. Und in jedem Geschoss befindet sich ein besonderer Raum, und jeder Raum hat eine besondere Ausprägung. Kein Raum gleicht dem anderen, jeder hat eine besondere Qualität. Das wollte ich durch diese Architektur zeigen.

Können Sie das Gebäude mit einem Wort beschreiben?
Es ist eine Skulptur. Ich wollte auch eine Skulptur schaffen, zumal das Grundstück es zugelassen hat. Es eröffnete die Möglichkeit eines dreidimensionalen Ausdrucks. Es eröffnete die Möglichkeit, drei Fassaden zu planen und mit Konsolen zu arbeiten. Das gibt nicht jedes Grundstück her. Mir war auch wichtig, dass es nicht nur bei der Großform bleibt, sondern dass die Planung bis in die Details geht bis hin zu den Türklinken. Ich fand es wichtig, dass man die Zeichenstrukturen auch innen im Gebäude wiederfindet.

Haben Sie einen Vergleich mit einem anderen Gebäude?
Vielleicht gibt es das. Aber man möchte schon etwas Eigenes schaffen. Es ist nicht das Ziel, etwas zu kopieren. Ich mag geometrische Skulpturen. Auch in der Ausstellung findet sich das eine oder andere konstruktivistische Werk, von dem ich sagen kann, es steht mir nah, weil es dem entspricht, was mich während meiner Studienzeit geprägt hat.

Warum haben Sie Beton als Material gewählt?
Beton ist ein spezielles Baumaterial. Es gibt nichts Härteres und nichts schwierigeres zum Verbauen als Beton. Also erwartet man eine besondere Qualität. Mein Wunsch war es, schon über die Außenfassade eine Diskussion über die Art des Zeichnens und die Art des Bauens anzustoßen. Man beginnt, mit feinen Linien einen Bau zu entwerfen, und am Ende muss die Auseinandersetzung mit harten Materialien folgen. Diesen Prozess spiegelt die Fassade wider. Linien, gotische Bögen und Säulen sind in den Beton gegossen. Mir war auch wichtig, dass wir großflächiges Glas, also ein zeitgenössisches, effektvolles Baumaterial, zusammen mit dem elementaren Beton in Verbindung bringen und über all dies die Sprache der Zeichnung setzen. Matrizen mit Zeichnungen sind in die Schalen eingelegt und vor Ort gegossen worden. Das war viel Arbeit und hat sich gelohnt.

Haben Sie zuvor schon mit Beton gebaut?
Wir haben uns erneut stark mit dem Baumaterial auseinandergesetzt und geschaut, welche Möglichkeiten es gibt. Wir wollten etwas Modernes schaffen, das heute gut aussieht, aber gleichzeitig auch gut altert. Es gab viele Ausgangskriterien, aber in der realisierten Weise habe ich noch nie mit Beton gebaut. Normalerweise wird von außen gedämmt. Dies bot sich in diesem Fall nicht an, weil wir eine Hülle schaffen mussten, die auch gegen das Außenklima wirkt. Wir mussten an die Zeichnungen denken, die eine konstante Luftfeuchtigkeit und Temperatur benötigen. Mit dem Beton haben wir quasi eine klimadichte Hülle geschaffen. Das Glas ist der Kontrast dazu, der Ort, in dem wir arbeiten.

Woher stammen die Zeichnungen, die in den Beton gegossen wurden?
Verwendet wurde u. a. eine der ersten Zeichnungen aus meiner Sammlung. Eine Zeichnung von Pietro di Gottardo Gonzaga, die ich bei der Galerie Bassenge in Berlin für damals 1.000 DM ersteigert hatte – denn eine Architekturzeichnung muss ja nicht unbedingt teuer sein, es gibt immer wieder preiswerte phantastische Zeichnungen zu vergleichsweise niedrigen Preisen, das ist auch das Besondere daran. Es sind vergrößerte Ausschnitte dieser Gonzaga-Zeichnung auf dem Gebäude. Man denkt, dass das Gebäude umhüllt ist von Zeichnungen. Die Idee war, ein Gebäude fertig zu stellen mit einer Zeichnung, die schon da war, die aber nicht das geplante Gebäude zeigt.

Sie hätten es sich auch einfach machen können. Sagen können, ich baue das, aber ich zeige Fassadenmalerei?
Das kam nicht in Frage. Es musste schon etwas anderes sein. Etwas, das tiefer verbunden ist mit Architektur. Dekor kann natürlich auf verschiedene Art und Weise gemacht werden. Für Wandmalereien gibt es traditionelle Beispiele. Bei der Fassadengestaltung ist sicherlich auch Farbe ein Thema, aber für den Entwurf des Museums wollte ich es nicht.

Werden Sie auch zukünftig Beton als Baumaterial nutzen?
Beton ist ein schönes Material. Ich bevorzuge meistens Stein, da er eine gewisse Dauerhaftigkeit ausstrahlt. Aber skulpturale Bauten – das ist etwas, das ich in Zukunft gerne verstärkt planen würde. Wesentlich ist für mich jedoch, die Liebe zum Detail auszudrücken, dass man selbst an der Türklinke die Idee des  Gebäudes wiedererkennt. Wie an dieser Eingangstür, durch die an den Wochenenden jetzt bis zu 150 Besucher gehen.

Das Gespräch führte Marion Uhrig-Lammersen.

Tchoban Foundation
Museum für Architekturzeichnung
www.tchoban-foundation.de

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