Laudatio
(in: BAUKULTUR 1_2014, S. 10-12)
Den DAI Literaturpreis 2013 erhielt der Münchener Architekt und Architekturkritiker Gerhard Matzig. Die Verleihung fand anlässlich des DAI Tages 2013 in Koblenz statt. Die Laudatio von SWR-Moderator Reinhard Hübsch geben wir hier in stark gekürzter Form wieder. Die vollständige Version finden Sie unter folgendem Link: Laudatio
DAI Literaturpreis 2013: DAI Präsident Prof. Christian Baumgart (links) überreicht die Urkunde und Plakette an Gerhard Matzig (rechts)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
lieber Gerhard Matzig,
wären Sie heute in Begleitung Ihrer Frau angereist, dann, lieber Herr Matzig, hätte ich zunächst ihr gratuliert, und zwar zu dem Haus, das Sie bewohnen, und – zu einem Ehemann und Gatten, der eine der schönsten Liebeserklärungen an seine Gattin verfasst hat, die ich jedenfalls jemals gelesen habe. Erschienen ist diese Liebeserklärung im Jahr 2010, und zwar unter dem Titel „Meine Frau will einen Garten“, Untertitel „Vom Abenteuer, ein Haus am Stadtrand zu bauen“, und allein dafür gebührt Ihnen der Literaturpreis des DAI, des Verbands der Deutschen Architekten- und Ingenieurvereine.
Und damit wollen wir auch schon aus diesem Buch zitieren: „Die Sonne strahlt, die Wolken wolken“ beobachtet Matzig im selbst gemalten Bild seiner Tochter, – was für ein schöner Pleonasmus; oder über den Unterschied von Urlaub und Ferien: „Ferien. Das ist schon mal ein Plural. DER Urlaub, aber DIE Ferien.“ Womit uns allen überdeutlich wird: DIE Ferien sind allemal mehr wert als DER Urlaub. Von dort ist es für den literarischen Flaneur auch nur ein kurzer Spaziergang zum Ferien-Haus, in dem die Ferien – hausen. Womit wir nun, endlich, wird mancher unter Ihnen aufstöhnen, bei der Architektur angekommen sind. Aber Sie können auch gleich wieder abstöhnen, denn hier in Koblenz haust, um mit Matzig zu sprechen, heute die Literatur, nicht die Architektur.
Und so wollen wir ihn denn auch loben, den Literaten im Architekten Matzig, der nicht nur schön und nahezu beiläufig zu formulieren weiß, und beiläufig ist, by the way, auch genau so gemeint: Er lädt zum beiläufigen Lauf durch seine Gedanken ein, es ist ein kluger Spaziergang, auf dem er uns mitnimmt, immer weht eine leichte Brise durch seine Zeilen, die Brise der Ironie, ein Hauch Vergnüglichkeit, der den Weg auch manche Steigung hinauf erfrischend leicht macht. Er lügt dabei gelegentlich so munter drauflos, dass wir anfangs aus dem Schmunzeln, später aus dem Lächeln und noch später aus dem Gelächter kaum herauskommen wollen: Wie er seinen späteren Wohnort Waldtrudering zu Obermenzing verdreht und anonymisiert, wie er aus dem wahren Architekten Andreas Meck in seinem Roman die Architektin Liu Sung-Grau macht, eine Domina der Baukultur, die irgendwie eine entfernte Verwandte von Tadao Ando sein muss und die (grau!) er zur „Gräulichen“ verjuxt, deren ersten Entwurf er mit dem Gedanken kommentiert „Ich bin glücklich“, was sich im popmusikalisch geprägten und getönten Hirn Matzigs und also in seinem Roman so artikuliert: „our house, in the middle of our street, dumdum, our house, bimbam, tröttrött, dingdong“ .
Ja, so fröhlich kann Architekturkritik sein. Matzig hat auch keine Scheu, Architektur als Teil der populären Kultur zu sehen: die „carchitecture“, mit der BMW, VW, Porsche und Mercedes Werbung für ihre Produkte machen, ist für Matzig ebenso ein Ort des Alltags wie die Sportarchitektur, die dramatisch überhöht zum Pop-, zum massenkulturellen Event wird; der Blob, Lego, Townhouses, Ikeas Billy, der Carport – Ingredienzien einer Welt, in der auch, wohlgemerkt: AUCH Architektur eine Rolle spielt. Vielleicht mutiert sie dabei gelegentlich zum Kunstwerk. Vielleicht. Viel leichter aber geriert sie sich als Nicht-Kunst. Und dann zitiert Matzig gern Adolf Loos und sein Verdikt: „Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschied vom Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen.“
Zurück zu Matzigs Prosa mit dem Titel „Meine Frau will einen Garten“ – da schwärmt er im Planungs- und Ehestreit so hinreißend von seiner Pia, der Ehefrau, der klugen, die genau im richtigen Moment einlenkt und zum Essen bei Ikea (Achtung: Popkultur / Architektur / Innenarchitektur), einlädt (wobei man wissen muss: sie hasst Köttbullar und all die anderen Schwedenhappen, während ihr Gatte die Stufen zum Glück, möglicherweise!, so dekliniert: Baumarkt – Tchibo – Ikea); ich weiß, lieber Herr Matzig, das ist ein wenig ungerecht. Aber nur ein wenig. Wenn Frau Matzig ihren Mann freiwillig an die Elchtheke begleitet, dann muss sie ihn einfach lieben. Also, eine Liebesgeschichte ist heute zu feiern, und wer diese amour architecture gelesen hat, der fragt sich und den Verleger: Wann kommt bitte schön Teil II?
Gerhard Matzig ist wahrlich ein Belle-trist, ein Autor des Belle, des Guten, ja des sehr Guten. Aber er kann auch das Sachliche. Das finden wir in schöner Regelmäßigkeit in der Süddeutschen Zeitung (und anderswo), wo er sich in Lohn und Brot befindet (und nebenbei, auch: in guter Gesellschaft). Schauen wir ins Feuilleton, in die Architekturkritik der Süddeutschen Zeitung, die allemal einen guten Ruf hat. Hier also schreibt Gerhard Matzig, und seit wann? Vor wenigen Tagen bat ich den Preisträger um Auskunft, und weil die Antwort-Mail so viele Anknüpfungspunkte bietet, will ich sie kurz zitieren: „Eigentlich müsste mir der Süddeutsche Verlag dieser Tage eine Uhr als Präsent überreichen (nach Lage im Printwesen: eine Swatch), denn vor genau 20 Jahren, im Jahr 1993, erschien mein erster Artikel. Seit dieser Zeit schreibe ich für die SZ, erst frei und gegen Zeilenhonorar, seit 1994 als „Pauschalist“ (eine wunderbare Berufsbezeichnung), seit 1997 als Redakteur etc.“
Soweit Matzig, dessen rundes Schreibjubiläum wir also hier ebenfalls feiern können, und was sich seither durch das Internet in den Medien getan hat, auch und gerade in den Printmedien, wäre eine eigene Betrachtung wert. Die Süddeutsche Zeitung gibt es noch, neben der FAZ gehört sie zu den Meinungsführern in Deutschland, doch allüberall kämpft man mit rückläufigen Abonnentenzahlen und Werbeeinnahmen, also wird gespart, gern im Redaktionellen, sehr gern bei der Kultur, bei der die Architektur und Architekturkritik gewöhnlich ressortiert – wo sie, die Baukunst, aber immer weniger reflektiert wird, da wird auch bald der Stand der Baukultur sinken.
Genug des Menetekels – seit 20 Jahren also schreibt Gerhard Matzig für die SZ, und ein „best of“ daraus ist unter dem Titel „Vorsicht, Baustelle!“ vor Jahren in der renommierten Reihe „Bauwelt Fundamente“ erschienen. Nun wird Journalismus aus dem Tag für den Tag geschrieben, aber Matzig schreibt über den Tag hinaus. Und wie er das macht, skizziert er im Vorwort: „Das Was, das Wo, das Wann, das Wie. So beginnen die wichtigen Fragen im Journalismus. Mir am liebsten ist jedoch das Warum“. Dass ihn das fertige Haus, die klassische Architekturkritik nur am Rande interessiert, flicht er en passant ein, um sich dann doch als kundiger Architekturnichtkritiker zu erweisen. Er zitiert nämlich Architektinnen und Architekten, die ihm, dem vorgeblichen Nichtkritiker, etwas bedeuten, und, lieber Kollege, wären wir beide jetzt entre nous, dann würde ich Ihnen gestehen, dass mir dabei das Herz aufging. Wer Behnisch als „Sehnsuchtsmenschen der Architektur“ charakterisiert, wer im ersten Beitrag Frank Lloyd Wright nennt, diesen „man of desire“, der hat nicht nur mein Hirn, der hat auch mein Herz gewonnen – das würde ich Ihnen sagen, wären wir unter uns; da das aber nicht der Fall ist, muss ich mit dieser sehr persönlichen Anmerkung warten, bis wir uns irgendwann unter 4 Augen – Sie verstehen?
Also, von Behnisch und Wright ist eingangs des Bandes „Vorsicht, Baustelle!“ auf’s Schönste die Rede, im darauf folgenden Beitrag erinnert Matzig an die Sprengung jener Siedlung in St.Louis/Missouri, die Architekturgeschichte geschrieben hat, und dazu fallen Sätze wie diese: „Am 15. Juli 1972 ist der Zorn herabgestiegen aus der Hitze des Tages. Die legendäre Siedlung Pruitt-Igoe, eine gigantische Raumskulptur aus 2.780 Wohnungen, die von drei Architekten zusammengefiebert wurde zu einem Hitzeraum aus Rationalismus, Funktionalismus, Pragmatismus und Behaviorismus, zu Fanal und Fanfare“ – soll ich weiterlesen? Sie wollen also mehr hören von jenem Kollegen Matzig, der angesichts der Planungen zum Aufbau von Ground Zero in New York resigniert „Dominanz, Demut und Dienstleistung“ erkennt, der kopfschüttelnd „Hybris minus Gedenkaufwand“ mathemarchitektursubtrahiert, der uns den libeskindischen Kitsch vor Augen hält, der da am Reißbrett entworfen wurde in Form eines Freedom Tower, exakt 1.776 Fuß hoch.
2009 addierte Matzig auf, dass die deutschen Städte sich mit so genannten Star-Architekten unverwechselbar machen wollen, also mit den Gehrys und Hadids, den Coop himmelblauen und Herzog-und-de-Meurons, und sich genau damit austauschbar machen; 2006 reflektierte er unter dem Titel „eine Pose ist eine Pose ist eine Pose“ die tiefe Krise des Berufsstandes „Architekt“ resp. „Architektin“, und deutete damals bereits an, was heute, zumindest in Berlin, alltäglich ist, dass nämlich die Architektinnen und Architekten zu ihren eigenen, arbeitshungrigen Auftragsbeschaffern mutiert sind. Davon schrieb und schreibt Gerhard Matzig. Und wie. Und wie? Ja, davon müsste noch einmal die Rede sein, aber wenn ich das hier „coram publico“ täte, dann würden mich die Kolleginnen und Kollegen hinter den Schreibtischen, an den Studiomikrofonen, an den Schnittplätzen der Fernsehredaktionen der Nestbeschmutzung, der Arroganz zeihen, und deshalb, lieber Gerhard Matzig, sprechen wir nachher, unter 4 Augen, davon, was da alles zu hören und zu lesen ist.
So ist gern auch von „Untiefen“ die Rede, wobei die Flachpfeifen gar nicht merken, dass Untiefen nicht sehr tief sind, sondern un-tief, dass es also seichte Stellen sind, in die sie da eintauchen wollen, und dann, lieber Gerhard Matzig, müssen wir, nachher, ganz unter uns, auch über die Themen sprechen, die da Einzug gehalten haben in die so genannten Kulturprogramme und Feuilletons, meist Wasserstandsmeldungen aus den Untiefen unseres Kulturbetriebs, mit Details, die keinen klugen Kopf resp. Köpfin interessieren. Und, lieber Herr Matzig, unter uns: Geht Ihnen die Magazinierung der Radioprogramme nicht auch...
Okay, ich breche ab. Lieber, verehrter Kollege Matzig – was für ein Vergnügen sind da Ihre Texte. Kluge Themen, streitlustig, und, zu guter Letzt: Wie Sie argumentieren, wie Sie Sprache zu Wort kommen lassen – wunderbar.