Büro- und Betriebsgebäude in Schweinfurt

Verwandlung eines Un-Ortes
(in: BAUKULTUR 4_2016, S. 14-15)

Für den Neubau der Firmenzentrale eines Altmetallhändlers im Schweinfurter Hafen wählten Schlicht Lamprecht Architekten als robuste Hülle das naheliegende Material: Cortenstahl. Im profanen Umfeld eines Gewerbegebietes präsentiert sich das relativ kleine Gebäude in markantem Rostrot ausgesprochen selbstbewusst.

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Korrodierte Stahlplatten legen sich wie eine zweite Haut um das Gebäude (Foto: Stefan Meyer)

Betriebsames Treiben
Lastwägen überqueren donnernd das Gelände, Metallschrott türmt sich bergeweise, Lärm und Staub prägen die Atmosphäre. Innerhalb dieses betriebsintensiven Treibens wünschte sich eine Unternehmerfamilie ein Büro- und Betriebsgebäude, in dem in Ruhe gearbeitet, organisiert, miteinander kommuniziert werden kann, einen Ort, der das Geschäftsfeld selbstverständlich widerspiegeln sollte. Auf dem Betriebsgelände wird Altmetall angenommen, sortiert, an Stahlwerke und Gießereien abgegeben. Alle Funktionen des Betriebsablaufes sind hier vereint.

Rau und ruhig
Der Neubau zeigt sich ruhig und zugleich wehrhaft. Cortenstahl in 3 mm dicken Platten als robustes Material der Hülle widersteht den äußeren Einflüssen auf dem Hof. Kreisrunde Ausstanzungen mit kleinen Zacken stellen in der Fassade den Bezug zur Arbeit des Unternehmens her, das Ausstanzreste recycelt. Zweifach verglaste Fenster bringen die erwünschte Ruhe. Als Herzstück überrascht der ruhige Innenhof, zu dem sich alle Büro- und Aufenthaltsräume orientieren. Im Gegensatz zum rauen Stahl prägen hier warme und natürliche Materialien die Oberflächen.

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Die Materialität und die offene Stellung der Lärchenholzbretter mit ihrer hinterlegten Dämmung tragen zur Ruhe im Innenhof bei (Foto: Stefan Meyer)

BDA Preis Bayern 2016
Der Bau wurde mit dem BDA Preis Bayern 2016 ausgezeichnet. Die Jury würdigte u. a. das erstaunlich komplexe Raumprogramm des in seinem Umfeld eher winzig wirkenden Gebäudes. Es waren mehrere psychologische und damit auch organisatorische Aspekte zu beachten: Sichtkontakt zum Arbeitshof und zum Verarbeitungsbereich, Zonen der Stille im lärmstarken Tagesbetrieb und die enge Verbundenheit der Firmenleitung zu den Mitarbeitern.
Das Gebäude organisiert sich mit gläsernen Innenseiten um einen stillen Hof, der mit Holzlamellen und geduckten Pflanzen im Kies die Anmutung eines Zengartens entfaltet. Die Innenorientierung durch raumhohe Fensterfronten erlaubt den ständigen Sichtkontakt zwischen den verschiedenen Arbeits- und Pausenbereichen.
Das massive Gebäude mit seinem hermetischen Auftritt präsentiert sich in allen Arbeitsbereichen überraschend hell. Das gilt besonders für den Besprechungsraum im 2. Obergeschoss, der nach drei Richtungen einen Blick über das Schweinfurter Industriegebiet erlaubt und den Zugang zum begehbaren Dach ermöglicht. Die freundliche Atmosphäre bekommt ihre individuelle Prägung durch die kreisrunden Lichtfilter mit ihren 4 kleinen Zacken, die einer häufig eingelieferten Stanzform der Autozulieferer entspricht. Wenn man dieses sehr persönliche und kommunikative Gebäude „Rostlaube“ nennt, dann ist das ein aufrichtiges Kompliment für die poetische Verbindung von Schrott und Idyll.

Theodor-Fischer-Preis 2015
Der Bau wurde auch mit dem Theodor-Fischer-Preis 2015 ausgezeichnet. Laut Juryurteil weist das Projekt eine bemerkenswert hohe Durcharbeitungsqualität auf von der städtebaulichen Setzung auf dem Grundstück über die Baukörperfigur, die innere Strukturierung, die Fassadengestaltung und -gliederung bis hin zu den Details des Innenausbaus. Entstanden sind dabei atmosphärisch dichte Räume, die die zunächst unwirtlich erscheinende Umgebung aus Schrottmaterial, Betriebsverkehr, Betriebsmaschinen und umgebenden Großindustrieflächen zu verwandeln vermögen.
Nach außen wird ein Zeichen über die Bedeutung guter Formgebung in der Arbeitswelt gesetzt, das identitätsbildend für Kunden und Mitarbeiter des Betriebes wirkt. Nach innen entstehen gut strukturierte, transparente Raumfolgen mit ruhigen Büroräumen und Rückzugsflächen, die einen Gegenpol zu Hektik und Lärm der Arbeitsumgebung anbieten. Die hohe Raumqualität der Innenräume kommt nicht nur den Büros der Firmenleitung zugute, sondern in gleichem Maße auch den Betriebsräumen der Mitarbeiter.
Für das Engagement zur hochwertigen Bauinvestition im betrieblichen Bereich, den Mut zur ungewöhnlichen, aber schlüssigen Materialwahl und die Fürsorge zur Herstellung einer humanen Arbeitswelt ist die Leistung des Bauherrn besonders herauszustreichen. In einer in der Regel durch wirtschaftliche Zwänge bestimmten Arbeitswelt stellt das Betriebsgebäude ein herausragendes, vielschichtig überzeugendes und beispielgebendes Projekt dar. Eine häufig leider vernachlässigte Gebäudegattung wird hier zum Ausgangspunkt für ein funktionelles wie poetisch schönes Haus. Mit der Verwandlung eines „Un-Ortes“ in ein Stück Lebenswelt zeigen Architekten und Bauherr die Kraft und die Möglichkeiten von guter Architektur auf. Das „Haus eines Schrotthändlers“ braucht keinen Vergleich mit der anspruchsvollen Architektur im Stadtgebiet zu scheuen.

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