Klangvolle Textilgestaltung

(in: BAUKULTUR 3_2017, S. 14-15)

Mit Abschluss des Umbaus und der Sanierung von Kloster Vogelsburg kann in der Kirche Mariä Schutz seit 2016 eine besondere Wandgestaltung in Augenschein genommen werden. Die textile Fassade wurde nach dem gestalterischen Gesamtkonzept des Würzburger Architekten Stephan Tittl von SEQ7 SequenzSieben Architekten realisiert.

Architektonische Transformation
Die Klosteranlage Vogelsburg liegt inmitten der fränkischen Weinberge an der Mainschleife bei Volkach. Ihre traditionsreiche und in Teilen tragische Geschichte hat dazu geführt, dass für den Umbau und die Sanierung ein nahezu unverbauter mittelalterlicher Kirchenraum zur Verfügung gestanden hat. Erhaltenswerter Bauschmuck fand sich lediglich an der Außenfassade. Somit waren für den Innenraum aus denkmalpflegerischer Sicht keine wesentlichen Auflagen gefordert. Dies spiegelt sich über die gesamte Planung und Ausführung im breiten Spektrum der Architektur wider – von der Naturstein- und Fassadenrestaurierung, der klassischen Dachsanierung, der Neuanfertigung eines Glockenstuhls an der Gebäudehülle bis hin zum Betonterrazzobelag, dem seilzuggeschnittenen Altar aus Muschelkalk und der organisch geformten, textilen Fassade im Innenraum.

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Die kiemenartigen Öffnungen entwickeln sich sukzessive aus der geschlossenen Fläche heraus (Foto: Daniel Farò)

Textile Wandbespannung
Schon früh war die Entscheidung gefallen, dass die bestehende Holzbalken-decke über dem Kirchenraum mit ihrem Jahrhunderte alten Holzgebälk als nahezu einziges raumprägendes Element bestehen bleibt und diese durch einen neuen Terrazzobelag einen starken Gegenpol in der Materialität erhält. Gleichzeitig gab es zu Beginn der Planung keine konkrete Vorstellung über die Gegenwart einer Orgel, mit der man hätte planen können. Diese Umstände führten in der Folge zu ersten Tendenzen bei der Konzeption des Kirchenraums im Allgemeinen und der Fassade vor der Orgelempore im Speziellen. Zum einen sollte sich diese Fassade – hinter der neben der Orgelempore noch Sakristei- und Nebenräume untergebracht sind – in die vorhandene Wandfläche integrieren. Zum anderen sollte die neue Fassadenfläche im weißen Farbton eine Einheit mit den umliegenden Wänden bilden. Um den schlichten Raumeindruck zu erhalten, galt es, eine Fassade zu entwickeln, die sich optisch geschlossen und gleichzeitig funktional offen zur Entfaltung des Orgelklangs präsentiert. Die Frage, wie eine geschlossene Wand akustisch wirksam gemacht werden kann, fand schnell in Analogie zu einer Lautsprecherbespannung ihre Antwort in der positiven Wirkung von Textilen.

Komplexe Geometrie
Da hinsichtlich der akustischen Anforderungen ein rein perforiertes Textil allein nicht für die Transformation des Orgelklangs in den Kirchenraum ausgereicht hätte, mussten weitere freie Öffnungsquerschnitte zur maximalen Übertragung in die Fassade integriert werden.  Damit diese einen leicht spielerischen, fast schon melodischen Ausdruck erhalten, haben mehrere Fassadenstudien dazu geführt, diese Öffnungen in Form von Kiemen auszubilden. Diese entwickeln sich aus der geschlossenen Fassadenfläche heraus und erweitern sich in ihrer Größe von links nach rechts. Um der starr befestigten Anordnung eine wahrnehmbare Dynamik zu verleihen, wurde neben der rein zweidimensionalen Öffnungsgeometrie zusätzlich eine Dreidimensionalität eingeführt. Somit wirkt die Fassade beim Eintreten in die Kirche auf den ersten Blick durch die Überlappung der räumlich dreidimensional und mit Textil bespannten Bögen eher geschlossen und öffnet sich sukzessive beim weiteren Herumschreiten im Raum.

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Die Mikroperforation der Bespannung optimiert die Schallübertragung von der Orgelempore hinein in den Kirchenraum (Foto: Daniel Farò)

Technische Ausformulierung
Der Betrachter findet visuell eine weiß-geschwungene Textilbespannung vor, die im oberen Bereich 12 kiemenartige Öffnungen aufweist. Zusätzlich befindet sich auf der Bespannung eine Mikroperforation mit knapp 60.000 Löchern pro Quadratmeter, wodurch ein erheblicher Anteil der notwendigen Schallübertragung in den Kirchenraum  gewährleistet ist. Die Perforation ist von vorn kaum sichtbar. Von hinten jedoch hat der Organist einen guten Blickbezug durch die Bespannung hindurch zum Kirchenraum. Die Bespannung wurde bei der Montage jeweils in einzelnen Segmenten Feld für Feld auf zuvor befestigte Klemmschienen aufgebracht. Dabei ist die untere Ebene mit den beiden drehgelagerten Tapetentüren lediglich im Grundriss gekrümmt, während die obere Ebene aufgrund ihrer Dreidimensionalität eine deutlich komplexere Konstruktion aufweist. Durch die Anordnung vertikaler Rechteck-Aluminiumprofile im Raster der darzustellenden Öffnungen wurde im Bereich der Orgelempore eine tragende Unterkonstruktion geschaffen. Zur Ausbildung der kiemenartigen Öffnungen wurde dazwischen jeweils ein CNC-gebogenes 2D- und 3D-Rundrohr mit Kederanschluss aus Aluminium eingesetzt. Durch deren Bespannung entstanden schlussendlich die räumlich individuell geschwungenen Konturen.

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