BAUKULTUR 6_2022: Editorial

(in: BAUKULTUR 6_2022, S. 3)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der Baukultur,

Ende September haben wir in Münster den DAI Tag gefeiert. Der Münsterländer AIV hatte in angenehmer Gastfreundschaft eingeladen und zusätzlich die Fachtagung „Mobilität in Stadt und Land“ durchgeführt. Man könnte meinen, die Stadt Münster sei gerade für dieses Thema als Tagungsort prädestiniert, weil sie in Deutschland als Fahrradstadt gilt. Tatsächlich hatte sich ein beachtliches Team von Referenten gefunden, die einerseits für die Städte Wien und Dortmund deren Best-Practice-Ergebnisse vorgestellt und andererseits in den Sektoren öffentlicher Nahverkehr, Fahrrad und Automobil Perspektiven für eine verantwortliche und nachhaltige Mobilitätsentwicklung aufgezeigt haben.

In der gemeinsam verfassten Münsteraner Erklärung stellen wir Forderungen an die Stadtgesellschaft, die bereits heute weit mehr als die Hälfte der Menschheit beheimatet: Es ist vor allem die Bauwirtschaft, die für Bauten und Infrastruktur weltweit für etwa 38 % der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Die Zukunft unserer Erde im Klimaschutz und einer nachhaltigen Ressourcenverwendung wird daher in den Städten entschieden. Aber auch die Mobilität in der Stadt verbrennt Energie und bestimmt gleichermaßen unseren Lebensraum und ist somit gleich in zweifacher Weise neu zu denken.

Der ungebrochene Trend weg von der autozentrierten Stadt mit neuen Formen der postfossilen Mobilität, wie „Shared Mobility“ oder dem autonomen Fahren, wird die Städte leiser, sicherer und sauberer machen. Die Räume für Fußgänger, Radfahrer, öffentlichen Verkehr, Lieferverkehr und individuellen Autoverkehr sind bald neu zu verteilen. Den aus meiner Sicht umfassendsten Ansatz für diese Verhandlungen propagiert Prof. Marco te Brömmelstroet vom Institut für Stadtplanung an der Universität Amsterdam, der nicht neue Verkehrsbauten, Reglements und Zonierungen vorschlägt, sondern weniger Regelungen für insgesamt weniger Verkehr fordert. Mobilität ist nicht Selbstzweck und kann in funktionsgemischten belebten Städten mit deutlich weniger Aufwand erlebt werden. Die hier bereits vorliegenden Konzepte und Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen einen städtischen Raum, in dem Kommunikation, Begegnung und Entschleunigung die neuen Dimensionen darstellen. Dieser Stadtumbau hat gerade erst begonnen.

Vor diesem Hintergrund war die Verleihung des Großen DAI Preises für Baukultur an Prof. Christa Reicher in diesem Jahr in Münster besonders glücklich gewählt. Sie ist wie kaum eine andere Stadtplanerin in der Lehre aber auch im eigenen Entwerfen an zahlreichen bedeutenden Planungsvorhaben in Deutschland und den benachbarten Ländern erfolgreich beteiligt. „Christa Reicher hat einen konzeptionellen Blick auf den Raum. Sie versteht Entwurf und Planung als interaktiven Prozess. Und sie integriert. Über Disziplinen und räumliche Ebenen, über gesellschaftliche Sektoren und politisch-soziale Positionen oder fachliche und akademische Kulturen hinweg. Sie überwindet die Grenzen, indem sie sie ganz selbstverständlich, mit großer Klarheit und aller Konsequenz aufhebt“, so stellte sie die Bremer Senatsbaudirektorin Prof. Dr. Iris Reuther in ihrer Laudatio vor. „Solche Architekten und Akademiker braucht das Land in Zeiten wie diesen.“

In seiner Festrede anlässlich der Preisverleihung betonte der Präsident des Bundesumweltamtes Prof. Dr. Dirk Messner die große Dringlichkeit von wirksamen Maßnahmen beim Bauen und in der Organisation unserer Städte zur Eindämmung der Folgen der Klimaerwärmung. Er dankte dem DAI für sein kontinuierliches Mahnen und Wirken in diesen Aufgaben und betonte die hervorragende Zusammenarbeit mit der Preisträgerin als Vorsitzende der Kommission Nachhaltiges Bauen KNBau im Umweltbundesamt UBA.

Der DAI Tag 2022 gab Anregungen zur weiterführenden Diskussion der Inhalte in den Architekten- und Ingenieurvereinen. Daher freue ich mich ganz besonders auf die Fachtagung des DAI 2023, die wir auf Einladung des AIV zu Berlin-Brandenburg mit dem Schwerpunkt des Rückbaus von Verkehrsbauten durchführen werden. Wir gehen beim Thema Stadtumbau den nächsten Schritt. Vielen Dank dafür.

Herzlich, Ihr
Arnold Ernst
DAI Präsident

Genderhinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in unseren Inhalten bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern überwiegend die männliche Form. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Informiert bleiben, Partner finden, Baukultur erleben!

Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. Mitgliederzeitschrift Mitglied werden