Auf den Spuren der Folkwang-Idee

Das Osthaus Museum in Hagen
in: BAUKULTUR 5_2010 (S. 29-31)

“Vielleicht sind die Museen berufen, die Kirchen der Zukunft zu werden. Warum sollten sie sich nicht wandeln, wie die Zeit sich wandelt?” (Karl Ernst Osthaus, 1919) 

Historisches Folkwang-Museum
Das historische, denkmalgeschützte Gebäude des Osthaus Museums Hagen ist Stein gewordenes Zeugnis für einen kulturgeschichtlichen Wandel von europäischer Dimension, der zu Beginn des 20. Jhrds. seinen Ausgang nahm. Dieser Wandel verdankt sich einer ideen- und einflussreichen Hagener Persönlichkeit: Karl Ernst Osthaus (1874-1921). Als Erbe eines großen Vermögens - entsprechend einer heutigen Kaufkraft von ca. 30-40 Mio. Euro - fasste der junge Osthaus 1899 den Plan, eine der Volksbildung dienende Institution zu gründen. Allem Anschein nach konnte sich die aufstrebende Industriestadt Hagen glücklich schätzen, durch die Privatinitiative eines begüterten Bürgers ein repräsentatives, mit historisierender Fassade prunkendes Bauwerk zu erhalten, das ein klassisches Museum beherbergen sollte. Doch nach dreijähriger Bauzeit entpuppte sich das 1902 eröffnete Folkwang-Museum, von außen noch konventionell anmutend, im Innern als Sensation, sowohl im Hinblick auf die Gestaltung als auch auf die präsentierten Sammlungen.

Schulze_osthausmuseum_1Kunstquartier Hagen mit neuem Eingangsbereich (links) und Osthaus Museum (rechts)
(Foto: Werner Hannappel)

Museum als lebendiger Organismus
So wird noch heute an dem historischen Folkwang-Bau anschaulich, dass Osthaus’ ursprüngliches Konzept während der Realisierung eine grundlegende Wandlung erfuhr. Nicht von Beginn an war der Museumsgründer der Moderne zugewandt. Zunächst wollte er eine naturkundliche Sammlung in dem von einem Berliner Regierungsbaurat neohistoristisch geplanten Ambiente präsentieren. Die gleichzeitige Beschäftigung mit orientalischem Kunsthandwerk öffnete dann jedoch Osthaus’ Blick für den revolutionären Gestaltungsansatz des belgischen Kunstgewerblers und Architekten Henry van de Velde, den er schließlich für den Innenausbau seines Museumsneubaus engagierte. Van de Velde entwarf eine Architektur, die seinem Begriff vom Museum als lebendiger Organismus wie als Laboratorium eine anschauliche Form gab. In einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit dem Architekten wandte sich Osthaus dann der Kunst der europäischen Moderne zu. Van de Veldes revolutionäres Gestaltungskonzept in Verbindung mit der herausragenden modernen Sammlung von Osthaus ließ das Folkwang-Museum in Hagen zwei Jahrzehnte lang zu einem Anziehungspunkt für alle Verfechter der Moderne werden. Als weltweit erstes Museum für zeitgenössische Kunst ging es schließlich in die Kulturgeschichte ein.

Gesamtkunstwerk Gesellschaft
Ebenso nachdrücklich, wie er sich der Auseinandersetzung mit der künstlerischen Avantgarde seiner Zeit widmete, verstand Osthaus sein Museum als Vermittlungsinstanz zwischen Kunst und Leben. Nicht „l’art pour l’art“, sondern Kunst im weitesten Sinne für das Leben fruchtbar zu machen, war das zentrale Anliegen seiner musealen sowie über das Museum in die Stadt hinein und schließlich über die Stadt hinaus reichenden Reformideen. Seine Initiative war mit der Errichtung des Museums nicht erschöpft. Osthaus’ Mission zielte auf die Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens durch Kunst und Kultur. So bemühte er sich darum, hervorragende Künstler nach Hagen zu holen, ihnen Aufträge zu verschaffen, eine Künstlerkolonie, Werkstätten und ein Lehrinstitut zu gründen. Dabei galt sein besonderes Interesse der Architektur und dem Städtebau. Mit ihnen konnte er den Rahmen gestalten, innerhalb dessen das „Gesamtkunstwerk Gesellschaft“ entstehen sollte.

Neue Architektur nach 1900
Karl Ernst Osthaus initiierte in Hagen den Bau einer Arbeitersiedlung, rief ein Gartenstadt-Projekt ins Leben und entwickelte Vorschläge für einen Generalbebauungsplan für das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Als Ideengeber, Vermittler und Auftraggeber verfolgte der Hagener Reformer generell die Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen durch die architektonische Praxis und vor allem durch neue städtebauliche Konzepte. Bedeutende Baukünstler wie Henry van de Velde, Johannes L. Mathieu Lauweriks, Richard Riemerschmid, Bruno Taut, Peter Behrens sowie dessen Schüler Heinrich und Leopold Ludwigs entwarfen und schufen Bauten, die in der Kunstgeschichte als herausragende Beispiele der neuen Architektur nach 1900 ihren festen Platz haben und die zum großen Teil noch heute in Hagen zu bewundern sind.

Hagener Impuls
Heute bezeichnet der 1974 im Rückblick von dem niederländischen Architekturhistoriker Nic Tummers geprägte, kulturhistorische Begriff „Hagener Impuls“ diesen Abschnitt in der Geschichte Hagens, in dem die Stadt Schauplatz für eine im internationalen Maßstab wichtige Entwicklung war: die Jahre zwischen 1900 und 1921, in denen Osthaus als Museumsgründer und Mäzen, als Kulturvermittler und Organisator seine Vision, ”die Schönheit wieder zur herrschenden Macht im Leben” werden zu lassen, beispielhaft in Hagen zu realisieren versuchte.

Verkauf der Sammlung
Nach dem frühen Tod von Osthaus 1921 wurde die Folkwang-Sammlung 1922 nach Essen verkauft, obwohl es eigentlich der Wunsch des Museumsgründers war, die Sammlung in seiner Heimatstadt zu erhalten. Die Forderungen der Erben konnte die Stadt Hagen wegen der Wirtschaftskrise nicht erfüllen. Insofern sind die Städte Hagen und Essen durch die Geschichte der Folkwang-Sammlung in besonderer Weise miteinander verbunden.

Neugründung
Das Osthaus Museum Hagen, das 1945 unter dem Namen Karl Ernst Osthaus Museum neu gegründet wurde, steht bewusst in der heute als Hagener Impuls bezeichneten Tradition. Die Bestände zur klassischen Moderne spiegeln diesen historischen Aspekt. Dazu zählen neben der Museumssammlung gleichermaßen die bedeutenden architektonischen Zeugnisse des Hagener Impulses. Zum anderen wird die Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit im Sinne von Osthaus’ Kerngedanken der Beschäftigung mit aktueller Kunst fortentwickelt, indem sich das Museum als Ort einer spezifischen Sammlung von Werken der internationalen zeitgenössischen Kunst vorstellt.

Neue Sammlungsgeschichte
Die Kunstbestände des 1945 eröffneten Karl Ernst Osthaus Museums umfassten zunächst ein kleines Konvolut von Rohlfs-Bildern sowie rund 500 weitere Werke, vor allem Ankäufe des städtischen Kunstmuseums aus den 1930er Jahren. Objekte aus der ehemaligen Osthaus-Sammlung waren kaum vertreten. Herta Hesse-Frielinghaus, die das Museum 30 Jahre leitete (1945-1975), baute eine neue Sammlung zur Kunst des 20. Jahrhunderts auf. Sie sah sich den Ideen von Osthaus verpflichtet und gestaltete ihre Museumsarbeit im Hinblick auf das Konzept der Hagener Folkwang-Sammlung. Nach der Währungsreform 1948 kaufte die Direktorin vor allem hochkarätige Werke der deutschen Expressionisten sowie aktuelle Kunst. 1955 zog das Museum in den historischen Folkwang-Bau an der Hochstraße, der 1972 durch einen polygonalen Anbau in Sichtbeton erweitert wurde. 1991 wurde unter der Ägide von Michael Fehr (1987-2005) die ursprüngliche Inneneinrichtung des Altbaus rekonstruiert.

Die gezielte Ankaufspolitik seit der Museumsneugründung, bereichert durch die drei Sammler-Nachlässe Becker, Butz und Berg und die Schenkungen Paul Vogt aus den Jahr 2008/09 mit über 400 Werken von Christian Rohlfs, konstituieren die Abteilungen der Klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst im Osthaus Museum Hagen. Einerseits nehmen sie konzeptionell Bezug auf die Folkwang-Sammlung von Karl Ernst Osthaus, andererseits haben sie mit ihren auserlesenen Einzelstücken ein eigenständiges Profil ausgeprägt. Seit den 1990er Jahren wurde eine Sammlung internationaler nichtgegenständlicher Farbmalerei aufgebaut. Außerdem bildet die systematische Beschäftigung mit der Geschichte des Hagener Impulses einen wichtigen Schwerpunkt.

Außenstelle Hohenhof
Als Außenstelle des Osthaus Museums fungiert der Hohenhof in Hagen-Emst, das ehemalige Wohnhaus von Karl Ernst Osthaus und seiner Familie. Der van de Velde-Bau ist ein Ankerpunkt der „Route Industriekultur“ im Ruhrgebiet. Das „Museum des Hagener Impulses“, angesiedelt im Hohenhof, vermittelt einen Überblick über Leben und Wirken des Folkwang-Museumsgründers.

Schulte_Hohenhof_2Außenstelle Hohenhof (Foto: Tobias Roch)

Neben der vollständig erhaltenen Inneneinrichtung der repräsentativen Räume, die ein einmaliges Gesamtkunstwerk aus der Zeit des Jugendstils vor Augen führen, ist eine umfangreiche Ausstellung mit Kunsthandwerk von Henry van de Velde zu besichtigen. Gezeigt werden außerdem Silberarbeiten und Entwürfe von J.L.M. Lauweriks und der Hagener Silberschmiede, eine Dokumentation des zweiten, von Osthaus gegründeten Museums, des „Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe“ (1909-1919) sowie wechselnde Sonderausstellungen zum Hagener Impuls.

Renovierung und Erweiterung
Seit der Wiedereröffnung im August 2009 präsentiert das renovierte und erweiterte Osthaus Museum Hagen seine Sammlungen im historischen Folkwang-Bau: in der Eingangshalle um den Minne-Brunnen und in den Oberlichtsälen im Obergeschoss sind Werke aus der Zeit des Spät-Impressionismus, des Expressionismus und der Klassischen Moderne zu sehen sowie ein Raum mit Werken von Christian Rohlfs. Mit diesen Bildern korrespondieren wechselnde Präsentationen aus der umfangreichen Sammlung zeitgenössischer Kunst. In einem zentralen Raum thematisiert die „Architektur der Erinnerung“ von Sigrid Sigurdsson das Bewusstsein von Geschichte, im Souterrain ist das „Junge Museum“ angesiedelt.

Der Verlust der Sammlung Folkwang ist Bestandteil des kulturpolitischen Gedächtnisses der Stadt Hagen geworden. Der positive Ratsentscheid über den Neubau eines Museums für den bedeutenden Hagener Maler Emil Schumacher und für die Erweiterung des Osthaus Museums ist insofern auch ein Reflex auf die Geschichte.

Museum Folkwang in Essen
In Essen ist der Neubau des Museums Folkwang, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der herausragenden kulturpolitischen Bedeutung der von Osthaus begründeten Folkwang-Sammlung, mit der großzügigen Spende eines Stifters möglich geworden. Es hat programmatischen Charakter, dass der Neubau des Museums Folkwang mit der Ausstellung „Das schönste Museum der Welt“, einer Rekonstruktion der von Karl Ernst Osthaus in Hagen begründeten und der in seinem Sinne weiter entwickelten Sammlung, eröffnet worden ist. Die beiden Museen stehen in der Tradition der Folkwang-Idee. Das Fundament für die Investitionen in die Neubauten und die Aufwertung der Standorte, fast zeitgleich in Hagen und Essen, wurde vor 100 Jahren in Hagen durch Karl Ernst Osthaus begründet.

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