Schnittpunkt der Architekturgeschichte

Sanierung der Domschule in Güstrow
(in: BAUKULTUR 6_2015, S. 16-17)

In der Domschule in Güstrow vermittelt ein moderner Haupteingang zwischen dem Schulgebäude aus der Renaissance und einem Anbau aus dem 19. Jahrhundert. Von 2012 bis 2014 wurde das älteste erhaltene Schulgebäude in Mecklenburg-Vorpommern als Haus 3 des benachbarten John-Brinckman-Gymnasiums durch das pbr Planungsbüro Rohling saniert und umgebaut.

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Erschließungsbauwerk zwischen dem Renaissance-Altbau und dem Anbau aus dem 19. Jahrhundert (Foto: Natalie Toczek)

Denkmalgeschütztes Ensemble
Die Baumaßnahme im Auftrag der BIG-Städtebau GmbH wurde mit Fördermitteln des Bundes, des Landes sowie mit Eigenmitteln der Stadt Güstrow finanziert. Das Gebäude der Domschule geht vermutlich auf den Architekten Franz Parr zurück und wurde von Baumeister Philipp Brandin im Jahr 1579 fertig gestellt.
Das als Einzeldenkmal von nationaler Bedeutung geschützte Ensemble besteht aus zwei Gebäudeteilen: dem 3-geschossigen Fachwerkständerbau aus der Renaissance und einem rechtwinklig dazu angeordneten Ziegelbau aus dem Jahr 1868. Die über 400-jährige durchgehende Nutzungsgeschichte als Schule reicht bis in das Jahr 2001.

Bestandsaufnahmen
Anlässlich der Fassadensanierung 2004 wurde eine illusionistische Renaissancemalerei auf Putzuntergrund rekon-struiert. Das seitdem wieder eindrucksvolle äußere Erscheinungsbild des Altbaus aus dem 16. Jahrhundert täuschte darüber hinweg, dass die materielle Substanz im Inneren dringend sanierungsbedürftig war. Die Bestandsaufnahmen ergaben erhebliche Schäden durch zwischenzeitliche Eingriffe, Alterung, Schädlingsbefall und Feuchteeinwirkung sowie statische, strukturelle und gestalterische Mängel. Der Anbau von 1868 war vor allem durch Alterungsspuren, Abnutzung und zurückliegende Setzungen bzw. Rissbildungen sowie Schädlingsbefall und Feuchteeinwirkung gekennzeichnet.

Sanierungsschritte
Für die Anpassung an die räumlichen, technischen sowie bauphysikalischen und raumklimatischen Anforderungen einer modernen Schulnutzung mussten z. B. die Fußböden gegen Erdreich in beiden Gebäuden vollständig neu aufgebaut werden, um Flächenabdichtungen, Dämmung, tragfähige Estrichuntergründe und stufenlose Höhenniveaus zu erreichen. Darüber hinaus sind an den Wänden fehlende horizontale Querschnitts- und äußere vertikale Abdichtungen erdberührender Bauteile nachgerüstet und anschließend der Feuchtehaushalt reduziert worden. Holzkonstruktionen und Gefacheputze einschließlich farbiger, grafischer und ornamentaler Gestaltung waren zur Dokumentation des Renaissance- bzw. Barock-Erscheinungsbildes zu sichern. Nicht sichtbar stabilisieren Stahlelemente das Gebäude. Die Backsteinfassade des Anbaus von 1868 wurde umlaufend saniert, Fensteröffnungen mussten z. T. zu Fluchttüröffnungen vergrößert werden. Innentüren wurden umfassend tischlermäßig und entsprechend der epochentypischen Farbigkeit aufgearbeitet und in den Klassenzimmern die Raumakustik optimiert.

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Klassenzimmer (Foto: Natalie Toczek)

Erschließungsbauwerk
Für die Nutzbarkeit als Klassen- bzw. Fachräume im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss des historischen Gebäudes mussten der Eingangsbereich und die Verteilflächen angemessen vergrößert werden. Hierzu wurde ein neues teilverglastes verbindendes Erschließungsbauwerk als Treppenhaus in den Bestand eingeschoben. Es stellt den hausgeschichtlich ursprünglichen Zugang zu den Gebäuden durch die Öffnung der vormaligen Treppenhauszugänge wieder her. Über einen Personenaufzug sind alle Geschossebenen beider Gebäudeteile barrierefrei zu erreichen. Zusätzlich wurde eine eingelagerte historische Holzwendeltreppe nach Aufarbeitung zwischen dem 1. und 2. Obergeschoss im Altschulteil eingefügt.

Umgang mit der Gebäudehistorie
Ziel der Sanierung war, die Geschichte des Gebäudes anzuerkennen und als Teil der Selbstdokumentation herauszuarbeiten. Das Gebäude wurde mehrfach überformt und zeigt die Merkmale der jeweiligen Stilepochen – der Renaissance, des Barock, des Klassizismus und des Historismus. Hinzu kamen die zweckorientierten Veränderungen des 20. Jahrhunderts. Diese Eingriffe haben sich sowohl in tiefgreifenden Veränderungen des Raum- und konstruktiven Gefüges sowie in der Umgestaltung von Oberflächen- und Detailausbildung der Innenräume niedergeschlagen.
Merkmale der Stilepochen treten an verschiedenen Stellen im Gebäude deutlich hervor und wurden dort erhalten. So wurden z. B. die Folgen des nachhaltigen Eingriffs durch den Anbau von 1868 konstruktiv, gestalterisch und hausgeschichtlich nicht beschönigt, sondern ablesbar gemacht. Nur die Harmonisierungen raumseitiger Oberflächen, wie sie durch den Klassizismus zutage getreten sind, wurden partiell wieder aufgegeben.
Das Erschließungsbauwerk erfüllt insbesondere auch die Aufgabe, die baukörperliche Verfremdung des Altbaus aus dem 16. Jahrhundert durch den Anbau von 1868 erlebbar zu machen. Dies gelingt, weil ein in seiner Substanz gut erhaltener und selbsterklärender Fassadenteil des Renaissance-Altbaus als Innenwand sichtbar gemacht wurde. Hierzu baute man die Ostfassade des Anbaus von 1868 in dem Bereich, in dem sie nahezu rechtwinklig auf das Gebäude der Domschule trifft, und Teile der Geschossdecken zurück, sodass die Fassade des älteren Bauteils wieder in ihrem historischen Zusammenhang erkennbar ist.
Die Treppenläufe sind von der Bestandsinnenfassade des Altbaus so abgerückt, dass auch in der dritten Dimension die historische Tiefe des Gebäudes ungehindert wahrnehmbar ist. Auch der Aufzug nimmt sich in einem vitrinenartigen Schachtbauwerk zurück, um die Geltung des Bestands nicht zu beeinträchtigen. Gravierende Änderungen an der gegebenen Raumstruktur wurden nicht vorgenommen, sodass Raumprogramm und Anforderungen der Nutzer sich an den gegebenen Strukturen orientieren mussten.

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