Regula Lüscher
(in: BAUKULTUR 4_2017, S. 3)
Liebe Leserinnen und Leser,
verehrte Freunde der Baukultur,
oft heißt es, Berlin sei die Stadt, die niemals schläft. Berlin lebt und entwickelt sich nicht nur am Tag, sondern auch am Abend und in der Nacht. Als die ersten Lichtmasterpläne ab Ende der 1980er Jahre in Berlin aufgestellt wurden, stand die nächtliche Inszenierung des Stadtbildes im Vordergrund. Insbesondere ging es in diesen ersten Plänen um die lichttechnische künstlerische Betonung prominenter Bauwerke, um deren Wirkung im Stadtbild hervorzuheben.
Als ich im Jahr 2007 mein neues Amt als Senatsbaudirektorin in Berlin antrat, waren die vielfältigen Probleme der öffentlichen Beleuchtung offensichtlich: Einerseits schmücken reich verzierte Kandelaber Berliner Boulevards, Plätze und Brücken, die es zu erhalten, technisch zu modernisieren und zu pflegen gilt, andererseits hat Berlin einen großen Bestand an überalterten Leuchten, die dringend eines Ersatzes oder Modernisierung bedürfen.
Selbst viele Jahre nach dem Fall der Mauer war die Teilung der Stadt auch an der Leuchtenausstattung ablesbar, über 30.000 aus Zeiten der DDR stammende Leuchten im ehemaligen Ostteil der Stadt befanden sich in einem nicht hinnehmbaren überalterten Zustand. Aus ökonomischer Sicht stellten sich die enorme Vielfalt unterschiedlicher Leuchten und die große Anzahl an Gasleuchten im Westteil der Stadt als ein Problem dar. Die Orientierung an den oberen Grenzen einer neu eingeführten DIN führte zu einem ungewöhnlich hohen Lichtniveau bei neuen Straßenbauvorhaben. Für die Beleuchtung von besonderen Wegen in Grünanlagen und die Beleuchtung von Gebäuden fehlten verbindliche Grundsätze. Die Beleuchtung für das Stadtbild besonders bedeutender Gebäude erfolgte nach eher zufälligen Aspekten, z. B. beim Neubau oder der Sanierung.
Ich hatte mich deshalb entschlossen, ein Lichtkonzept für Berlin zu entwickeln, das alle Aspekte der öffentlichen Beleuchtung behandelt: Stadtbild, Ökonomie, Ökologie und Sicherheit. Über einen Zeitraum von drei Jahren wurde mit Unterstützung eines beauftragten Planungsbüros und eines 6-köpfigen Lichtbeirats sowie weiterer externer Fachberater ein Lichtkonzept entwickelt, das unter wirtschaftlichen, ökologischen und sicherheitsrelevanten Aspekten ein angenehmes, angemessenes, differenziertes Lichtniveau festschreibt und dabei Leuchtentypen für die unterschiedlichen Straßenräume vorgibt, die die städtebauliche Charakteristik von Straßennetzen und Quartieren unterstreichen helfen. Dem für Berlin typischen Lichtniveau galt unsere besondere Aufmerksamkeit. In Nachtrundfahrten prüften wir gut und schlecht beleuchtete Straßen aus Sicht der visuellen Wahrnehmung und des Gesamteindrucks. Festzustellen war, dass der Sehkomfort bei warmweißem Licht deutlich besser ist als bei einer gelben Lichtfarbe. Wir stellten fest, dass ein hohes Lichtniveau oft zu einer ungleichmäßigen Lichtverteilung führt und damit den Sehkomfort mindert. Geh- und Radwege waren in Berlin oft schlecht oder sogar gänzlich unbeleuchtet. Als Ersatz für die besonders anfällige und kostenintensive Gasreihenleuchte wurde mit Hilfe des Lichtbeirats eine neue Leuchte entwickelt, die heute in vielen Berliner Straßen eine angenehme Lichtatmosphäre erzeugt und von der Bevölkerung sehr gut angenommen wird. Erstmalig konnten wir im Lichtkonzept Grundsätze für die Objektanstrahlung in Berlin entwickeln sowie Orte besonderer Lichtbedeutung festlegen.
Das Lichtkonzept ist mittlerweile seit 6 Jahren eingeführt. Die lichttechnischen Parameter sind Bestandteil aller Planungen neuer Straßenbauvorhaben. Viele überalterte Leuchten konnten durch neue, mit energieeffizienten Technologien und nach ökologischen Aspekten gestaltete Leuchten ausgetauscht werden. Mittlerweile ist die warmweiße Lichtfarbe in der nächtlichen Beleuchtung der Berliner Straßen Usus. Viele Gebäude werden nach den Grundsätzen des Lichtkonzepts so beleuchtet, dass sie sich möglichst natürlich in das Stadtbild einfügen und es dadurch bereichern. Im Bemühen, mit moderaten Leuchtstärken angenehme und atmosphärisch stimmige Lichtsituationen zu schaffen, kann das Berliner Lichtkonzept als zukunftsweisend und einmalig bezeichnet werden. Es ist besonders umwelt- und energieschonend und trägt dazu bei, der Lichtverschmutzung entgegen zu wirken.
Besondere temporäre lichttechnische Inszenierungen, wie die Illumination des Brandenburger Tores zu besonderen Anlässen, die Anstrahlung des Funkturms während der Grünen Woche, das jährlich im Oktober stattfindende Festival of Lights oder die aktuell stattfindende künstlerische Beleuchtung der Bauwerke im Regierungsviertel ergänzen das Lichtkonzept und bringen eine ungewohnte, weil zeitlich begrenzte, Aufmerksamkeit und Spannung in die Stadt.
Ihre
Regula Lüscher
Senatsbaudirektorin / Staatssekretärin der Stadt Berlin