Schweden und Deutschland
Ausgabe: BAUKULTUR 4-2007 (S. 6)
Wir wollten wissen, welchen internationalen Stellenwert deutsche Architektur, Ingenieurwesen und Städtebau einnehmen. Hierfür entwickelten wir einen Katalog mit sieben Fragen zu Themen aus dem Bereich Baukultur, deren Beantwortung wir den Botschaftern der europäischen Länder in Berlin überließen. Im Rahmen einer Serie veröffentlichen wir die Stellungnahmen in den kommenden Ausgaben. Die Reihenfolge der Länder ist dabei willkürlich, den Start machen wir mit der Botschafterin des Königreichs Schweden, I.E. Ruth Evelyn Jacoby. Wir bedanken uns bei allen Botschafterinnen und Botschaftern, die sich bei der Beantwortung unseres Fragebogens beteiligt haben.
Das Interview führte Marion Uhrig-Lammersen.
Welchen Stellenwert messen Sie den Bereichen Architektur, Städtebau und Ingenieurwesen in Ihrem Land zu?
Der moderne Wohlfahrtsstaat wäre ohne Architektur und Stadtplanung nicht denkbar. Natürlich gibt es eine soziale Ingenieurskunst mit nicht ganz vorteilhaften ideologischen Implikationen. Aber ich glaube, dass die meisten Schweden der Gesellschaft, die zwischen den beiden Weltkriegen und während der 1960er Jahre gewachsen ist, viel Sympathie entgegenbringen. Trotz der großen Expansion und trotz der Mengen an Zement, Asphalt, Stahl und Beton, die verwendet wurden, sind die Proportionen in meinem Heimatland doch ziemlich menschlich geblieben. Mein Eindruck ist, dass das Interesse für Architektur in den letzten zehn Jahren noch gewachsen ist. Heute will man schön, umweltverträglich und vor allem menschlich bauen. Architekt zu werden ist ein sehr attraktiver Beruf!
Schätzen Sie diese Bereiche in Ihrem Land auch als „Export- bzw. Importartikel“ ein?
Die Baubranche ist wohl sowohl Exporteur als auch Importeur. Einige spektakuläre Bauten neuerer Zeit in Schweden, wie etwa der Turning Torso in Malmö des Spaniers Santiago Calatrava von 2005, wurden von ausländischen Architekten entworfen. Bei der Planung des neuen Stadtteiles in Stockholm, Södra Station, hat auch Bofill mitgewirkt. Gleichzeitig zählen schwedische Architekturbüros wie Sweco FFNS und White Arkitekter mit ihren mehr als 350 Mitarbeitern auch weltweit zu den großen Akteuren. Einer der ältesten Vororte Stockholms, Vällingby, ist jahrzehntelang in der ganzen Welt als Modell für moderne Vorortsarchitektur geschätzt worden.
Welche Rolle spielen deutsche Partner dort für Sie?
Von den europäischen Architekturbüros, Bauunternehmen und Stadtplanern, die in Schweden aktiv gewesen sind – und immer noch sind – gehören die Deutschen wohl zu den wichtigsten.
Kann der Bereich Architektur als Brücke zwischen Ihrem Land und Deutschland gesehen werden?
Ich glaube schon, dass man die Architektur gewissermaßen als Brücke betrachten kann, vor allem in der Geschichte beider Länder, wenn man bedenkt, dass wichtige historische Bauwerke in Schweden von deutschen Einwanderern gebaut wurden und umgekehrt auch Schweden ihre architektonischen Spuren in Deutschland hinterlassen haben: Nicodemus Tessin, der unter anderem das Stockholmer Schloss gebaut hat, hatte seine Wurzeln in Stralsund. Alfred Grenander, der einen großen Teil der Berliner U-Bahnhöfe gestaltet hat (und über den die Botschaft eine Ausstellung gemacht hat, die gerade im Technikmuseum in Berlin zu sehen ist), war Schwede. Viele schwedische Architekten wurden in Deutschland ausgebildet.
Welcher Baustil ist für Ihr Land typisch?
Schweden ist ja sehr lange sehr ländlich geprägt gewesen, und erst seit den 1930er Jahren leben mehr Menschen in den Städten als auf dem Lande. Daher hat Schweden nicht die gleiche Art von städtischer Kultur wie Mitteleuropa. Rote Holzhäuser prägen heute noch die schwedische Landschaft, viele von ihnen werden heute als Ferienhäuser genutzt (Schweden ist weltweit das Land mit den meisten Ferienhäusern pro Einwohner).
Besonders geprägt wurden die Städte und Ortschaften aber durch ein breites soziales Wohnungsprogramm seit Beginn des vorigen Jahrhunderts. Seit Ende der 1920er Jahre war der stärkste Stil ein sozialdemokratisch inspirierter Funktionalismus mit traditionellen Elementen. Die Architektur spielte damals eine wichtige Rolle für die Umsetzung der sozialdemokratischen Vision. In diesen frühen Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde aber auch ein kreativer Neoklassizismus mit einigen großartigen Gebäuden vor allem in Stockholm als „Swedish Grace“ international bekannt, er ist vor allem mit dem Namen Gunnar Asplund verknüpft. Schlichtheit zieht sich durch die Geschichte der schwedischen Architektur bis heute, vielleicht ist sie ihr typischstes Merkmal.
Welches neuere Bauwerk ist aus Ihrer Sicht das bedeutendste Ihres Landes?
Im Moment spielt für mich natürlich die schwedische Botschaft in Berlin eine sehr bedeutende Rolle, die 1999 von Gert Wingårdh gebaut wurde. Hier wurden traditionelle schwedische Materialien wie Granit aus Småland, Kalkstein aus Gotland, viel Birkenholz und ein wenig Kupfer verwendet und mit einer klaren und offenen Formgebung kombiniert, die trotzdem stellenweise ganz verspielt ist. Ein schöner Arbeitsplatz.
Welches Gebäude in Deutschland beeindruckt Sie am meisten und warum?
Ich bin von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin sehr beeindruckt. Das Gebäude hat Charakter, spiegelt eine ganze Epoche und wirkt noch heute sehr stark. Auch das Bodemuseum finde ich sehr, sehr schön - nicht zuletzt, weil es so harmonisch an der Spitze der Museumsinsel liegt.