Unten parken, oben wohnen

Garagenaufstockung in Karlsruhe
(in: BAUKULTUR 2_2023, S. 20-21)

Wer kennt sie nicht, die reihenweisen Garagenanlagen vor den Wohnanlagen unserer Städte? Sie beanspruchen große Flächen, während es gleichzeitig an Wohnraum mangelt. In Karlsruhe hat Falk Schneemann Architektur zusammen mit den Tragwerksplanern von wh-p Ingenieure, Stuttgart, drei Garagenanlagen mit Tinyhouses aufgestockt. Unten wird weiter geparkt, darüber zukünftig gewohnt.

Schneemann 1

Architekt Falk Schneemann hatte schon 2017 ein Konzept für Garagenaufstockungen entwickelt und damit einen Ideenwettbewerb gewonnen. Es folgten mehrere Machbarkeitsstudien im Auftrag der Karlsruher Volkswohnung GmbH und nun auch ein realisiertes Projekt: Im Rintheimer Feld in Karsruhe entstanden zwölf Aufstockungen mit ca. 540 m² Wohnfläche. Die Großsiedlung ist im Wesentlichen mit locker stehenden vier- und fünfgeschossigen Häuserzeilen aus den 1950er Jahren und mit Hochhäusern aus den 1970er Jahren bebaut. Auf einer Fläche von ca. 1,3 km² leben dort ca. 2.500 Einwohner. Die Aufstockungen der Garagen waren im gültigen Bebauungsplan realisierbar, da sie hier als Gebäude ohne Nutzungsangaben eingetragen sind. Zudem erhielt die Maßnahme vom Land Baden-Württemberg als innovatives und beispielgebendes Projekt eine Förderung.

Konzept
Bei den Garagenaufstockungen handelt es sich um drei L-förmige und nahezu baugleiche Anlagen. Jede der Anlagen besteht aus drei Einzimmerwohnungen und einer Zwei- bzw. Dreizimmerwohnung. Die wohl aus den 1970er Jahren stammenden Garagen bleiben als solche in Betrieb. Neue Stellplätze mussten nicht nachgewiesen werden, da die LBO Baden-Württemberg dies für Aufstockungen von Gebäuden, die älter als fünf Jahre sind, nicht fordert. Die Lastabtragung erfolgt über die Garagen, die nur lokal auf Grund von relativ kleinen Fundamenten mit Stahlstützen auf Punktfundamenten ertüchtigt werden mussten. Die Dachlandschaft der Aufstockungen ergibt sich aus den Funktionsbereichen der einzelnen Einheiten: niedrig im Bereich von Küchen und Bädern und hoch in den Wohnbereichen. Trotz der geringen Größe von knapp 30 m² bieten so auch die Einzimmerwohnungen ein großzügiges Wohngefühl mit angemessener Privatsphäre. Erschlossen werden die Wohnungen über außenliegende Treppen und Laubengänge. Aus Brandschutzgründen sind die Fassaden vollständig mit Titanzink verkleidet.

Schneemann 2

Ökologie
Das Projekt ist kreislaufgerecht und sortenrein ausgeführt und wurde in dieser Hinsicht von Prof. Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beraten. Kreislaufgerechtes und sortenreines Bauen bedeutet, dass Materialien, Baustoffe und Bauteile so verwendet und eingebaut werden, dass sie ohne Vermischung oder Anhaftung anderer Fraktionen nach Ende des Lebenszyklus auf der ursprünglichen Qualitätsstufe wiederverwendet oder wiederverwertet werden können. Dies resultiert in einem weitestgehenden Verzicht auf das Verkleben, Verschäumen, Nassabdichten oder den Einsatz von Materialmixturen verschiedener Materialfraktionen, wie z. B. dem Verzicht auf nicht monomateriale Folien, verklebte Schichtaufbauten, chemische Imprägnierungen oder Kompositholzstoffe wie Leimholz oder verklebte Holzwerkstoffplatten.

Urban Mining
Bei den Aufstockungen kam zudem Urban Mining zur Anwendung, d. h. es wurden Holzböden und Holztüren aus Abrissgebäuden aufgearbeitet und in die neuen Einheiten eingebaut. Hinsichtlich Heizung, Elektro und Telekommunikation funktionieren die Aufstockungen als Satelliten der Bestandsgebäude und sind an deren Technikzentralen angeschlossen.

Standortflexibilität
Die Aufstockungen können nach einer Zeit des Gebrauchs demontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden können. Bei einer weitergehenden Verdichtung des Quartiers auf Grundlage eines neuen Bebauungsplanes müssen die Aufstockungen daher nicht abgerissen und entsorgt werden, sondern können versetzt und weiter bewohnt werden. Obwohl das Versetzen einen gewissen Aufwand bedeutet, ist der ökonomische und ökologische Vorteil gegenüber einem Abriss enorm. Entsprechend wurde die Versetzbarkeit intensiv beplant, wobei Wert auf eine gute Balance zwischen einem nicht zu sehr erhöhten Aufwand bei der Planung und Errichtung und einem möglichst geringen Aufwand bei der Versetzung gelegt wurde.

Blick in die Zukunft
Die Garagenaufstockungen stehen für die Potenziale, die sich aus einem kreativen Umgang mit baulichem Bestand, Baurecht und der Praxis des Nachverdichtens ergeben. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Schaffens von Wohnraum als auch hinsichtlich typologischer und gestalterischer Aspekte. Die Garagenaufstockungen sind darüber hinaus ein Versuchs- und Forschungsprojekt zum kreislaufgerechten und mobilen Bauen. Nach der Fertigstellung im Frühjahr 2023 wird das Projekt entsprechend evaluiert und dokumentiert.

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